Harburg. Stundenzahl, die in der Woche zu leisten ist, bleibt gleich, kann aber frei eingeteilt werden. Für wen das die perfekte Lösung ist.

  • Angesichts des Pflegenotstands müssen sich auch Kliniken etwas einfallen lassen, um neue Mitarbeiter zu gewinnen
  • Ein Hebel ist dabei die Arbeitszeit: Fünf Tage die Woche zu arbeiten ist nicht für jeden das richtige Modell
  • Wie man das am besten herausfindet? Indem man es ausprobiert, so wie das AK Harburg

Deutschlandweit ringen Krankenhäuser um Fachkräfte für die Pflege. Der Beruf gilt als kräftezehrend, der Schichtdienst als kaum mit Familienleben oder Freizeit vereinbar. Um den Arbeitsplatz im Krankenhaus attraktiver für junge Menschen zu machen und so dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken, hat das Asklepios Klinikum (AK) Harburg einen Versuch gewagt. Im April hat eine erste Station die Vier-Tage-Woche eingeführt. Fünf Monate später stellt sich die Frage: Welche Folgen sind spürbar?

Pflegenotstand an deutschen Kliniken: AK Harburg testet neue Arbeitszeitmodelle

Gerald Siemen, Stationsleiter der Urologie, berichtet von positiven Entwicklungen. Er hat das Projekt „Vier-Tage-Woche“, oder wie er es nennt „Zehn-Stunden-Tag“, an den Start gebracht hat. „Einige Mitarbeiter sind stabiler geworden, weil sie mehr Freizeit haben“, sagt er.

Krankenhaus
Mitarbeiter der Urologie im AK Harburg haben seit April die Wahl: zwischen normalem Schichtdienst oder vier Zehn-Stunden-Diensten pro Woche. (Symbolbild) © DPA Images | Marijan Murat

Er selbst arbeitet seit 15 Jahren am AK Harburg, zehn Jahre lang war er ausschließlich im Schichtdienst tätig. Dieser sei sehr anstrengend, weiß er, gerade bei zunehmendem Alter. Für manch einen sei es da angenehmer, die Stundenzahl in wenigen Tagen abzuarbeiten, um dann mehr Tage zu haben, die komplett frei sind und an denen Erholung möglich ist.

Die Stundenzahl, die im Monat zu leisten ist, bleibt also unverändert. Aber die Pflegerinnen und Pfleger haben die Wahl zwischen normalem Schichtdienst oder vier Zehn-Stunden-Diensten pro Woche. In Siemens Team arbeiten 25 Kolleginnen und Kollegen, zwölf von ihnen haben sich für das neue Modell entschieden. Alle könnten ihre Entscheidung aber auch jederzeit widerrufen, betont der Stationsleiter.

Die Mutter eines schwerbehinderten Kindes profitiert von der Flexibilität

Zwei Mitarbeitende profitierten ganz besonders von dem neuen Modell, berichtet Siemen. Eine von ihnen ist Mutter eines schwerbehinderten Kindes, sie ist also selbst auf einen Pflegedienst angewiesen, der sich in ihrer Abwesenheit um ihr Kind kümmert.

Vor der Einführung der Zehn-Stunden-Dienste habe sie oft Probleme damit gehabt, die Betreuung ihres Kindes mit dem Schichtdienst zu vereinbaren, sagt Siemen. Da sie sowieso stundenreduziert arbeite, brauche sie den Pflegedienst nun nur noch an bis zu drei Tagen in der Woche. Dadurch könne sich der Pflegedienst besser aufstellen, sei verlässlicher und stabiler. „Für sie ist es nun viel einfacher, ihre Woche zu managen“, sagt Siemen.

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Ein anderer Mitarbeiter, für den sich der Umstieg ebenfalls in besonderem Maße gelohnt hat, kommt gebürtig von den Philippinen. Durch die längeren Dienste hat er schneller seine Stunden abgearbeitet und kann früher nach Hause fliegen, um seine Familie zu besuchen. Sechs Tage habe er demnächst am Stück frei, seine Urlaubstage habe er angehängt – somit lohne sich der lange Flug.

Der Krankenstand ist seit der Einführung der Vier-Tage-Woche gesunken

Für das Klinikum bleibe die wirtschaftliche Situation unverändert, sagt Siemen. Die Mitarbeiterin oder der Mitarbeiter sei zwar erst einmal teurer, weil sie oder er schneller die Schichtzulage erhalte. Aber das Klinikum spare bei einer guten Planung eine Schicht pro Tag. „In erster Linie wollen wir aber Zufriedenheit auf der Station erreichen, und neue Mitarbeiter gewinnen“, sagt Siemen. Seit der Umstellung sei außerdem der Krankenstand gesunken, die Dienstpläne hätten kaum noch geändert werden müssen.

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Siemen hat noch einen weiteren Vorteil für die Pflegerinnen und Pfleger beobachtet: Dadurch dass der Pflegende zum Beispiel von 8 bis 18 Uhr am Stück dieselbe Patientengruppe auf der Station betreut, falle der Druck weg, alles in kürzester Zeit erledigen zu müssen. Der Pflegende könne entspannt eine Dreiviertelstunde lang Mittagspause machen und habe danach noch genügend Zeit, die Belange der Patienten abzuarbeiten. Genauso gebe es Mitarbeitende, denen zehn Stunden am Stück zu lang sind, und die im Schichtdienst weiterarbeiten.

„Es muss für beide Seiten einen Benefit geben“

Bei den unterschiedlichen Arbeitsmodellen sei es wichtig, dass die Leitung die Stundenzahlen im Blick behalte, damit kein Durcheinander entsteht, weiß Siemen. „Man darf das allerdings nicht als Personalpuffer für sich selbst sehen“, gibt der Stationsleiter zu bedenken.

Er berät mittlerweile auch andere Häuser zu der Umstellung auf die Vier-Tage-Woche und warnt davor, die Zehn-Stunden-Dienste bei der Erstellung von Dienstplänen als Lückenfüller zu benutzen. „Es muss für beide Seiten einen Benefit geben“, sagt er, „sowohl für die Mitarbeiter, als auch für die Station.“

New Work in der Pflege: Wie denken die Patienten darüber?

Und die Patienten? Haben sie den Unterschied bemerkt? Wenn die Patienten den ganzen Tag über von ein und derselben Kraft betreut werden, habe dies viele Vorteile, die Übergabe am Mittag falle beispielsweise weg, es gebe weniger Informationsverlust.

Manche hätten schon gefragt: ,Mensch, sind Sie immer noch hier?‘, sagt Siemen. Einmal habe eine Pflegekraft geantwortet: ,Ja, aber ab morgen bin ich sechs Tage lang weg‘. Das habe dann für Verwirrung gesorgt, der Patient habe sich gewundert: ,Wieso haben Sie denn so viel frei?‘

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Die langen Dienste wurden von Patienten auch schon des Öfteren mit Personalmangel in Verbindung gebracht. „Aber das stimmt so nicht, wir haben keinen generellen Personalmangel auf den Stationen“, sagt Siemen. Fakt sei, dass immer weniger junge Menschen Lust haben, die Pflegeberufe zu erlernen. Deswegen müsse man etwas ändern.

Fachkräftemangel in der Pflege: Zwei weitere Stationen am AK Harburg führen neues Modell ein

Auf vielen Stationen sei das Durchschnittsalter der Pflegekräfte deswegen relativ hoch. In der Urologie ist dies nicht der Fall, zwischen 20 und 45 Jahre alt sind die Pflegekräfte in Siemens Team. Und innerhalb der vergangenen Monate hat der Stationsleiter drei neue Bewerbungen erhalten.

Das sei super, sagt er, und Resultat des neuen Arbeitsmodells. Zwei weitere Stationen des AK Harburgs sind aktuell ebenfalls dabei, die Vier-Tage-Woche als Alternative zum Schichtdienst einzuführen, die Gefäßchirurgie und das Beatmungszentrum.