Hamburg. Eingetretene Türen und körperliche Angriffe: Die Aggression in Kliniken und Hamburger Arztpraxen wächst – und kostet Millionen Euro.
Die Situation in Hamburg ist dramatisch: Immer mehr Ärzte, Pfleger und Krankenschwestern im Krankenhaus und Arztpraxen werden von Patienten angegriffen, beleidigt und beschimpft. Davor warnt die Kassenärztliche Bundesvereinigung.
Betroffene schildern, dass Patienten Türen eintreten, mit Gegenständen werfen, Feuerlöscher von den Wänden reißen und die Mitarbeiter bedrohen und beleidigen. Die Übergriffe haben in den vergangenen Jahren erheblich zugenommen. Die Folgen sind dramatisch.
Arzt Hamburg: Gewalt gegen Mediziner und MFA in Krankenhaus und Praxis nimmt zu
Ortsbesuch in einer Arztpraxis im Hamburger Osten: Die Eingangstür der Praxis ist demoliert, gelbes Klebeband hält die Scheibe gerade noch zusammen. Ein Patient hat die Tür vor wenigen Tagen eingetreten, weil er seiner Meinung nach „zu lange“ warten musste.
Nachdem der alkoholisierte Mann zunächst im Wartezimmer randaliert hatte, wurde er vom Arzt der Praxis verwiesen, kehrte dann aber zurück und trat die Glastür ein. Die Mitarbeiter mussten die Polizei rufen, die den Patienten mitnahm.
Beleidigt, bedroht und beschimpft: Patienten werden immer aggressiver
Kein Einzelfall. Auch andere Ärzte und Krankenhäuser berichten auf Abendblatt-Anfrage von einer zunehmenden Aggressivität bei den Patienten.
„Gewalt gegen medizinisches Personal ist ein großes und zunehmendes Problem!“, sagt Mathias Eberenz, Sprecher der Asklepios Kliniken. Das Thema beschäftige alle Mitarbeitenden im Gesundheitswesen – vom Rettungssanitäter über die Hausarztpraxen bis zum Personal in den Notaufnahmen, auch Chefärzte litten darunter.
„Auch in den Asklepios Kliniken spüren wir sehr deutlich, dass Patienten und Angehörige immer öfter fordernd und aggressiv auftreten, verbal und körperlich. Brennpunkt der Aggressionen sind die Notaufnahmen, in denen es immer öfter zu Übergriffen kommt. Von Drohungen und Beleidigungen bis zu körperlicher Gewalt“, so Eberenz. Regelmäßig müsse die Polizei zu Hilfe gerufen werden.
Hamburger Krankenhäuser setzen Sicherheitspersonal ein: Die Kosten liegen in Millionenhöhe
Daher setze Asklepios notgedrungen seit einigen Jahren Sicherheitspersonal ein, um Mitarbeitende und Personal gegen Übergriffe zu schützen und Randalierende des Hauses zu verweisen. Auf eigene Kosten.
„Der finanzielle Aufwand für diese zusätzlichen Sicherheitsmaßnahmen beläuft sich alleine für die Hamburger Asklepios Kliniken auf fast zehn Millionen Euro jährlich – mit steigender Tendenz! Wir erwarten hier von der Politik und den Kostenträgern ganz klar, dass sie endlich Verantwortung übernehmen und die anfallenden Kosten refinanzieren. Den größten Anteil der Sicherheitsmaßnahmen, die ja in den Akutkliniken stattfinden, bekommen wir derzeit in keiner Weise erstattet. Hier stehlen sich Politik und Krankenkassen aus der Verantwortung“, sagt Eberenz.
Auch das UKE spricht davon, dass Übergriffe von Patienten erheblich zugenommen. Derzeit stagniere die Zahl der Übergriffe auf einem hohen Niveau und erfordere eine ständige Präsenz des Sicherheitsdienstes, so das UKE.
Arzt Hamburg: Körperliche Attacken täglich in fünf Praxen?
Dr. Dirk Heinrich arbeitet seit 1996 als HNO-Arzt in Hamburg-Horn. Dass die Gewalt gegen medizinisches Fachpersonal zunimmt, sei ein Phänomen der letzten Jahre. Vorher habe er das kaum beobachtet, aber nun komme es fast täglich zu Vorfällen. Nicht alle eskalieren in körperlichen Angriffen, aber Beleidigungen und Beschimpfungen seien an der Tagesordnung. „Die Patienten sind fordernder geworden“, sagt der Facharzt. „Körperliche Attacken passieren höchstens einmal alle zwei Jahre, aber wenn sie das auf 3500 Ärzte in Hamburg runterbrechen, trifft es täglich fünf Praxen.“
Er weiß, wovon er spricht: Heinrich ist selbst schon mal von einem Patienten angegriffen worden. Als dieser der Praxis verwiesen wurde, trat er dort die Tür ein. Der Schaden: 7000 Euro. Heinrich hat in dieser Hinsicht einiges erleben müssen. In seiner Zeit als Sprecher der medizinischen Leiter im Impfzentrum in den Messehallen erhielt er Morddrohungen.
Kein Einzelfall: Der HNO-Arzt erzählt von einem Patienten, der sich Morphin verschreiben lassen wollte. Als er dieses nicht umgehend erhielt, fing er nach Angaben von Heinrich an, am Tresen zu rütteln und den Arzt als „Mengele“ zu beschimpfen.
Damit bezog er sich direkt auf den KZ-Arzt Josef Mengele, der während des Zweiten Weltkrieges im Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau die Selektionen übernahm und Experimente an Menschen durchführte. In Hamburg verurteilte das Gericht den randalierenden Patienten später zu einem Bußgeld von 2500 Euro.
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Gewalt gegen Ärzte: Eine Hausärztin hat ihre Praxis dauerhaft geschlossen
Ortswechsel: eine andere Praxis, ein anderer Arzt, die gleiche Beobachtung. „Das Aggressionspotenzial ist gestiegen. Die Menschen sind fordernder und flippen schneller aus, wenn sie nicht das bekommen, was sie wollen“, sagt Dr. Torsten Hemker und spricht von einem gesamtgesellschaftlichen Problem.
Hemker ist Orthopäde und Vorsitzender des Berufsverbandes in Hamburg und weiß aus Gesprächen, dass vor allem die Medizinischen Fachangestellten (MFA) am Empfang unter der zunehmenden Aggressivität zu leiden haben. „Sie werden täglich damit konfrontiert“, sagt Hemker und erzählt von einem Patienten, der seine Krücke auf den Tresen gehauen hat, oder von einem anderen, der dem Arzt ins Gesicht schlagen wollte.
Noch mögen es Einzelfälle sein, aber sie scheinen zuzunehmen.
Besonders bitter ist der Fall einer Hausärztin, in deren Praxis ein Patient randalierte. Als sie die Polizei rief, wurden die Beamten von dem Mann angegriffen und verletzt. Die Hausärztin hat ihre Praxis inzwischen geschlossen. Dauerhaft.