Finkenwerder. Helfer aus ganz Norddeutschland verhinderten kurz vor Heiligabend Schlimmeres. Was Lokalpolitiker nun von der Stadt fordern.

Das war eine Beinahe-Katastrophe mit Ansage: Bei der Sturmflut in den Tagen vor Weihnachten drohte die Alte Süderelbe über die Ufer zu treten und das südliche Finkenwerder zu überfluten. Einige Höfe am Osterfelddeich waren bereits vollgelaufen.

Dabei war es kein Wasser aus der Elbe, das die Sturmflut hereingedrückt hatte, sondern Regenwasser aus allen anliegenden Stadtteilen, das in die Alte Süderelbe lief und wegen der Sturmflut nicht abfließen konnte. Die Feuerwehr musste Pumpen sowie Helferinnen und Helfer aus ganz Norddeutschland zusammenziehen, um das Wasser wegzubekommen. Anlieger hatten vor so einer Situation schon länger gewarnt.

Altländer Obstmarschen und Neugrabener Moorgürtel entwässern in den ehemaligen Fluss

Der Name „Alte Süderelbe“ ist historisch richtig, aktuell aber irreführend: Seit 1962 ist die Alte Süderelbe ein mehr oder weniger stehendes Binnengewässer und nicht mehr Teil des Fluss-Systems. Bereits 1790 wurde die Süderelbe zwischen Moorburg und Mühlenberger Loch zu einem Nebenarm des Hauptstroms, der damals zum Nutzen der Hamburger Hafenentwicklung ab hier in den Köhlbrand umgeleitet wurde. Nach der Sturmflut 1962, als von der Süderelbe her Finkenwerder, Francop und Neuenfelde vollgelaufen waren, wurde der Nebenarm endgültig abgedeicht.

Viele Ortsverbände des THW kamen zum Einsatz nach Finkenwerder – und natürlich die Feuerwehren.
Viele Ortsverbände des THW kamen zum Einsatz nach Finkenwerder – und natürlich die Feuerwehren. © Lenthe-Medien | Lenthe-Medien

Ganz ohne Zufluss ist die Alte Süderelbe jedoch nicht: Die Obstmarschen in Francop und Teilen Neuenfeldes entwässern in den ehemaligen Fluss, ebenso der Neugrabener Moorgürtel, wenn dieser wiederum viel über Sandbek, Scheidebach und Falkengraben mehr Regenwasser aus der Neugrabener und Fischbeker Heide aufgenommen hat, als er halten kann.

Wegen dieser Zuflüsse entwässert die Alte Süderelbe nahe der Finkenwerder Gaststätte „Zum Storchennest“ in einem Siel in das Köhlfleet und damit in die Elbe. Deichsiele öffnen allerdings nur bei Niedrigwasser – und das fällt bei einer Sturmflut aus.

Es gibt Pläne, das Gewässer wieder an die Tideelbe anzuschließen

Die Anwohner der Alten Süderelbe fordern deshalb schon lange ein tidenunabhängiges Schöpfwerk am „Storchennest“. Das ist auch schon seit Jahren von der Bürgerschaft beschlossen und geplant. Nur gebaut ist es noch nicht, und so bald wird es auch nicht realisiert.

Corine Veithen (Grüne) am „Storchennest-Siel“, wo die Alte Süderelbe über das Köhlfleet in die Elbe entwässert. Die Politikerin fordert hier seit Jahren ein Schöpfwerk.
Corine Veithen (Grüne) am „Storchennest-Siel“, wo die Alte Süderelbe über das Köhlfleet in die Elbe entwässert. Die Politikerin fordert hier seit Jahren ein Schöpfwerk. © xl | Lars Hansen

Gründe dafür gibt es mehrere: Zum einen gibt es Überlegungen, die Alte Süderelbe wieder als Tidegewässer an den Hauptstrom anzubinden. Einflussreiche Öko-Enthusiasten befürworten den Plan. Die Anwohner sind dagegen. Zum Anderen gab es Planungsverzögerungen, weil das Schöpfwerk nicht nur die Alte Süderelbe entwässern soll, sondern ihr im Falle großer Trockenheit über ein separates System auch Elbwasser zuführen soll, mit dem dann die Obsthöfe ihre Felder feucht halten können. Im Genehmigungsverfahren für das Bewässerungswerk gab es juristische Bedenken.

Pläne für ein Schöpfwerk sind beschlossen, liegen aber auf Eis

„Die Gesamtverzögerung führte dazu, dass die Projekt-Realisierungsgesellschaft ReGe 2023 mitteilte, keine Kapazitäten mehr zu haben, das Entwässerungsschöpfwerk weiter zu planen und umzusetzen“, sagt Renate Pinzke, Sprecherin der Umweltbehörde BUKEA.

Pinzke betont, dass das Bewässerungsschöpfwerk und damit die Verzögerungen, nicht in der Verantwortung ihrer Behörde lägen, welche lediglich die Entwässerungsanlage verantwortet. Pinzke: „Aktuell findet eine Klärung der Sachlage statt. Es ist geplant, im ersten Quartal 2024 einen neuen Zeitplan für den Bau des Schöpfwerkes zu entwickeln.“

„Schon die Sturmflutsaison 2021/2022 hat gezeigt, dass die Sturmtiefs mittlerweile auch starken Regen mitbringen. Hamburg war völlig unvorbereitet und musste Pumpen aus Bremen anfordern. So war es in diesem Jahr wieder!“

Corine Veithen,
Grünen-Politikerin aus Neuenfelde

Politiker aus Finkenwerder und dem Hamburger Teil des Alten Lands sind besorgt über die Verzögerung: „Bislang wollte man uns immer damit beruhigen, dass die Entwässerung über das Deichsiel ja gut funktioniert, weil Starkregenereignisse im Sommer stattfinden, wenn keine Sturmfluten das Öffnen des Siels verhindern“, sagt die Neuenfelderin Corine Veithen, Grünen-Abgeordnete in der Harburger Bezirksversammlung.

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„Dabei hat schon die Sturmflutsaison 2021/2022 gezeigt, dass die Sturmtiefs mittlerweile auch starke Regenbänder mit sich ziehen. Hamburg war völlig unvorbereitet und musste Pumpen aus Bremen anfordern. So war es in diesem Jahr schon wieder. Und der Schöpfwerkbau ist immer noch in weiter Ferne!“

Betroffene Antwohner berichten, die Umweltbehörde sei nicht erreichbar gewesen

Zusammen mit Veithen war auch ihre Grünen-Parteifreundin Gudrun Schittek, Bürgerschaftsabgeordnete aus Cranz, an den Einsatzstellen. Sie kritisiert vor allem das komplizierte Kompetenzgemenge, das sie beobachtete: „An die Alte Süderelbe grenzen zwei Bezirke, die wenig miteinander kommunizieren, nämlich Harburg und Mitte; für den Hochwasserschutz in diesem Bereich ist grundsätzlich die BUKEA zuständig, in einigen Bereichen aber auch die Wirtschaftsbehörde über die HPA und im Katastrophenfall übernimmt die Innenbehörde.“

Betroffene Anwohner, die die Umweltbehörde alarmieren wollten, welche bei Schönwetter den Hochwasserschutz verantwortet, berichteten, dort am Freitag niemanden erreicht zu haben.

Umweltbehörde ist für Hochwasserschutz zuständig – aber nicht im Notfall

BUKEA-Sprecherin Pinzke stellt das auch nicht in Abrede: „In solchen Notlagen muss immer die Feuerwehr angerufen werden“, sagt sie. „Die koordiniert und organisiert den Katastrophenschutz und hat für Fachfragen einen Kontakt in der BUKEA, der 24 Stunden erreichbar ist. Außerdem war in diesem Fall ein Mitarbeiter der BUKEA auch vor Ort.“

Zum Abpumpen mussten Einsatzkräfte und Gerät aus ganz Norddeutschland zusammengezogen werden.
Zum Abpumpen mussten Einsatzkräfte und Gerät aus ganz Norddeutschland zusammengezogen werden. © Lenthe-Medien | Lenthe-Medien

„Letztendlich ist es nicht zu großen Überflutungen gekommen, weil alle Helfer trotz der verwirrenden Kompetenzen pragmatisch zusammengearbeitet haben“, sagt Gudrun Schittek. „Der Regenwasserzulauf aus dem Moor und dem Alten Land wurde gedrosselt, sodass die Pumpen von THW und Feuerwehr am Storchennest die Menge bewältigen konnten, und es waren irgendwann auch genügend Kräfte und Pumpen vorhanden.“

Verhinderte Hochwasser-Katastrophe: Wann bekommt Finkenwerder sein Schöpfwerk?

Die Drosselung des Zulaufs ist keine Entscheidung, die man schnell fällt: Damit bleibt das Wasser länger in den dahinterliegenden Gebieten. Andererseits hätte ein zu hoher Anstieg der Alten Süderelbe bedeutet, dass sie über die zu niedrigen Wehre ins Hinterland hineinläuft.

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Für Corine Veithen steht fest, dass nun der Bau des Schöpfwerks am „Storchennest“ und weiterer Schöpfwerke in Neuenfelde forciert werden muss. „Außerdem ist es doch peinlich für die Stadt und gefährlich für die Anwohner, dass die Feuerwehr über keine Pumpen mit ausreichender Leistung verfügt, und diese telefonisch aus Bremen und Schwerin erbitten muss. Solange die Schöpfwerke noch nicht gebaut sind, muss die Hamburger Feuerwehr selbst solche Pumpen haben. Sie müssen sofort angeschafft werden!“

Beim Weihnachtsgottesdienst in der St.-Nikolai-Kirche applaudierte man den Helfern

Die Menschen in Finkenwerder sind mit einigen nassen Füßen und Feldern davongekommen. Es hätte aber auch anders ausgehen können. Das ist den Finkenwerdern bewusst. Beim Weihnachtsgottesdienst in der St.-Nikolai-Kirche applaudierten sie den Helfern von Feuerwehr und THW. Während des Einsatzes brachten sie frische Berliner, Börek und Butterkuchen vorbei. „Allen in der Region ist klar, dass wir Glück im Unglück und den Helfern viel zu verdanken hatten“, sagt Corine Veithen.