Harburg. Beratungsstelle am Schwarzenberg schlägt Alarm: „Werden Probleme kaum allein lösen können.“ Woran es vor allem mangelt.

  • Die Drogenberatungsstelle Abrigado leistet seit mehr als 20 Jahren akzeptierende Drogenarbeit in Harburg
  • In dieser Zeit hat sich die Hamburger Drogenszene radikal gewandelt
  • Die Auswirkungen bekommen auch die Drogenberater des Abrigado mit voller Wucht zu spüren

Selbst der Abendblatt-Reporter staunte, als er vor einigen Tagen im Umfeld der Harburger Drogenberatungsstelle Abrigado unterwegs war. Hauseigentümer und Vermieter Ralph G. (Name ist der Redaktion bekannt) hatte zu der Besichtigung eingeladen, um die Vermüllung der angrenzenden Grundstücke zu zeigen.

Und tatsächlich: Die Mengen an Müll, benutzen Einwegspritzen und menschlichen Fäkalien am nördlichen Abhang Richtung Helmsweg übertrafen alle Erwartungen – leider.

Das Elend der Junkies in Harburg: Öffentliche Sanitäranlagen fehlen komplett

Ralph G. ging es dabei nicht darum, die Existenz des Abrigado an sich infrage zu stellen – im Gegenteil. Nur fühle sich der 66-Jährige vom Abrigado-Trägerverein „freiraum hamburg“, vom Bezirk und der Sozialbehörde im Stich gelassen: Mehr als 10.000 Euro habe er allein im vergangenen halben Jahr für die Sicherung seiner beiden Grundstücke bezahlt.

Direkt hinter dem Abrigado campieren die Drogenabhängigen auf dem Privatgelände – und lassen allerhand Müll und andere Hinterlassenschaften zurück.
Direkt hinter dem Abrigado campieren die Drogenabhängigen auf dem Privatgelände – und lassen allerhand Müll und andere Hinterlassenschaften zurück. © LENTHE-MEDIEN | LENTHE-MEDIEN

Doch es nütze nichts. „Manchmal kommen die Abhängigen bis auf die Terrassen meiner Mieter und suchen einen Ort, um ihre Notdurft zu verrichten oder klauen Getränke. Dazu kommt eine große Lärmkulisse rund um die Uhr“, erzählte Ralph G. dem Abendblatt. „Einige treue und jahrelange Mieter haben ihre Wohnungen bereits gekündigt.“

Abrigado-Trägerverein benennt klar, woran es in Harburg fehlt

Die Geschäftsleitung des Abrigado-Vereins „freiraum hamburg“ auf inzwischen auf die Vorwürfe des Vermieters reagiert. Die ausführliche und in weiten Teil beklemmend zu lesende Stellungnahme liegt der Redaktion vor. Grob zusammengefasst ergibt sich folgendes Bild: Die Abrigado-Betreiber wissen um die Probleme und bedauern sie ausdrücklich, sehen sich allerdings vielen Problemen ausgesetzt, die auch sie nicht allein lösen können – und verbinden ihre Antwort deshalb ihrerseits mit einem dringenden Appell.

Die Drogenambulanz Abrigado auf dem Harburger Schwarzenberg: Für viele Menschen die letzte aller Möglichkeiten.
Die Drogenambulanz Abrigado auf dem Harburger Schwarzenberg: Für viele Menschen die letzte aller Möglichkeiten. © xl | Lars Hansen

„Die beschriebenen Problematiken sind uns bekannt und wir verstehen den Unmut, die Irritationen und Ängste sowohl des Vermieters als auch der Mieter*innen und Anwohner*innen uneingeschränkt“, heißt es gleich zu Beginn der Stellungnahme des Abrigado-Vereins. „Auch für uns stellen die beschriebenen Sachverhalte eine tägliche Herausforderung dar, die leider oft sowohl unser Aufgabenfeld als auch unseren Zuständigkeitsbereich überschreitet und die wir somit trotz größtmöglichem Aufwand und Einsatz kaum alleine dauerhaft werden lösen können.“

Flyer in mehreren Sprachen wurden an die Gäste verteilt

Erste Maßnahmen seien bereits getroffen worden: Zum einen sei das Park-Reinigungsprojekt des Abrigado aufgestockt worden, um gezielt den jüdischen Friedhof und den nördlichen Abhang Richtung Helmsweg regelhaft reinigen zu können. Zum anderen sei mit der Polizei vereinbart worden, „diesen Bereich der Grünfläche erhöht zu bestreifen“.

Und: „Seitens des Abrigado wurden Flyer in mehreren Sprachen an unsere Zielgruppe hinsichtlich des respektvollen Verhaltens gegenüber dem Umfeld und damit auch gegenüber den Mieter*innen und Anwohner*innen ausgehändigt.“

Das Maß an Verelendung beschäftigt Helfer und Anwohner

Schnell kommen die Abrigado-Betreiber auf einen Punkt zu sprechen, der auch Ralph G. beim Termin mit dem Abendblatt umtreibt: Die extreme Verelendung der Menschen, die Hilfe in der Drogenambulanz suchen, und die schwer mit anzusehen sei. Dabei zieht der 66-Jährigen den Vergleich zum Jahr 2002, als er das erste Haus am Helmsweg kaufte: „Es gab noch nicht so eine Verelendung, und wenn das Abrigado schloss, gingen die Menschen in ihrer Not auch nach Hause.“

Diese Beobachtung teilt das Abrigado. Groß sei das Maß an Verelendung, „mit dem wir jeden Tag konfrontiert sind und auf das wir im Rahmen all unserer Angebotsmöglichkeiten bestmöglich zu reagieren versuchen“.

Wo finden suchterkrankte Obdachlose in Harburg einen Schlafplatz?

Auch das von Ralph G. angesprochene Problem der menschlichen Fäkalien in den Privatanlage sei bekannt. In diesem Zusammenhang nennen die Abrigado-Betreiber „das Fehlen von öffentlichen Sanitäranlagen in Einrichtungsnähe“ als eindeutige Ursache: Zur „Defäkation im öffentlichen Raum“ komme es vor allem zu den Schließzeiten der Hilfseinrichtung.

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Wichtig ist den Abrigado-Leitern aber darüber hinaus ein grundsätzliches Problem: Es fehle für die schwer suchterkrankten Gäste der Hilfseinrichtung „dringend an konsumtoleranten Übernachtungsmöglichkeiten – mit Schutzzonen für weibliche Betroffene bzw. diverse Personen sowie an medizinischen Zugängen für Nicht-Versicherte“.

Die Ambulanz des Abrigado sei zwar tagtäglich aufsuchend im Einsatz und werde zweiwöchentlich durch Ärzte und Ärztinnen unterstützt. Doch den umfangreichen Bedarf der Betroffenen könne dieses Angebot trotzdem nicht abdecken.

Die Folge: Der Nutzungsdruck, der auf dem Abrigado laste, verlagert sich insbesondere in den betriebsfreien Zeiten offenbar in das direkte Umfeld.