Harburg. Müll, Spritzen und Fäkalien allerorten: Hausbesitzer in der Nähe der Hilfseinrichtung fühlen sich im Stich gelassen. Ein Ortsbesuch.

Seit den 1980er-Jahren gibt es in Hamburg Drogenhilfseinrichtungen wie das Abrigado am Schwarzenberg. „Diese Beratungsstellen mit niedrigschwelligem Zugang und integrierten Drogenkonsumräumen dienen der Beratung und einem umfassenden Gesundheitsschutz“, fasst es die Sozialbehörde in einer Pressemitteilung im Jahr 2021 zusammen.

Dass es in Hamburg Anlaufstellen wie diese braucht, ist unumstritten. Doch im Umfeld des Abrigado wird inzwischen auch eine andere Frage gestellt: Wer schützt eigentlich die Anwohner?

Drogenberatungsstelle Abrigado in Harburg: Anwohner beklagen unhaltbare Zustände

Ralph G. (voller Name ist der Redaktion bekannt) besitzt zwei Häuser im Helmsweg, dessen Grundstücke unmittelbar an das Abrigado grenzen. Seit langem klagt der 66-Jährige über eine zunehmende Vermüllung seiner Grundstücke, über Drogendealer und Abhängige, die zu jeder Tages- und Nachtzeit unbefugt seine Grundstücke betreten und dafür Hindernisse mit Gewalt beiseite räumen.

Ein Grundstück in der Nähe des Abrigado, von Müll übersäht.
Ein Grundstück in der Nähe des Abrigado, von Müll übersäht. © LENTHE-MEDIEN | LENTHE-MEDIEN

„Ich habe im letzten halben Jahr mehrfach die Zäune verstärken und wieder herrichten müssen. Nützt nichts, im Zweifel zersägen Abrigado-Nutzer die massiven Stahlstreben mit einer Akkuflex“, berichtet der Hauseigentümer. Mehr als 10.000 Euro habe er allein im vergangenen halben Jahr für die Sicherung seiner beiden Grundstücke bezahlt.

In den Gebüschen liegen Schlafsäcke, Einwegspritzen und menschliche Fäkalien

Verzweifelt sucht der Hauseigentümer Verbündete in einem Kampf, den er allein nicht gewinnen kann. Dabei ist er bei weitem nicht der einzige Anlieger, der den Verein „freiraum hamburg“ kritisiert und ihm Untätigkeit vorwirft.

Vom Abendblatt-Besuch wurde offenbar ein Dealer überrascht – und ließ Heroin im Schwarzmarktwert von 4000 bis 5000 Euro einfach liegen.
Vom Abendblatt-Besuch wurde offenbar ein Dealer überrascht – und ließ Heroin im Schwarzmarktwert von 4000 bis 5000 Euro einfach liegen. © LENTHE-MEDIEN | LENTHE-MEDIEN

Bei einem Ortstermin zeigt Ralph G. dem Abendblatt-Reporter die Grünanlagen der betroffenen Grundstücke und Wohnanlagen. Während die Häuser sehr gepflegt wirken, endet dieser Zustand unmittelbar an einem begrünten Hang den Schwarzenberg hinauf. „Ich habe es mittlerweile aufgegeben, die Anlagen zu pflegen. Alles wird kaputtgetrampelt. Alte Bahnschwellen, die als Stufen dienen sollten, werden als Drogendepots herausgerissen“, erklärt Ralph G.

In den Gebüschen liegen Schlafsäcke, Einwegspritzen, Plastikflaschen und menschliche Hinterlassenschaften, die auf eine Toilettennutzung hindeuten.

Manchmal kämen die Abhängigen bis auf die Terrassen seiner Mieter

Die Zäune zum Grundstück sind heruntergetrampelt, „manchmal kommen die Abhängigen bis auf die Terrassen meiner Mieter und suchen einen Ort, um ihre Notdurft zu verrichten oder klauen Getränke. Dazu kommt eine große Lärmkulisse rund um die Uhr“, so der genervte Hauseigentümer. Und fährt direkt fort: „Mieter können ihr eigenes Wort auf dem Balkon nicht mehr verstehen, einige treue und jahrelange Mieter haben ihre Wohnungen bereits gekündigt.“

Aktuell prüfe er, ob es möglich ist die Sozialbehörde oder den Betreiberverein „freiraum hamburg“ für die finanziellen Schäden haftbar zu machen.

Wo man auch hinschaut, der Hang ist übersät mit alten Schlafsäcken und Zeltplanen. Hier campieren die Drogenabhängigen oder nutzen die Grünfläche als Toilette.
Wo man auch hinschaut, der Hang ist übersät mit alten Schlafsäcken und Zeltplanen. Hier campieren die Drogenabhängigen oder nutzen die Grünfläche als Toilette. © LENTHE-MEDIEN | LENTHE-MEDIEN

Vor zwei Wochen habe er noch einmal den Zaun verstärkt, aber auch diese Maßnahme läuft für G. und seine 33 Mieter ins Leere. „Die Situation ist viel schlimmer als in den vergangenen Jahren und hat sich zusehends verschärft,“ so G. Zum einen haben sich die Drogen offenbar gewandelt, zum anderen sei die Klientel seit geraumer Zeit wie ausgewechselt.

Junkies und Dealer gibt es hier schon lange, nur die Verelendung sei neu

Zwar gab es auch schon 2002, als er das erste Haus am Helmsweg kaufte, Abhängige und Drogendealer auf dem Schwarzenberg, doch die waren ganz anders drauf. „Es gab noch nicht so eine Verelendung, und wenn das Abrigado schloss, gingen die Menschen in ihrer Not auch nach Hause.“ Heute hingegen campierten sie dauerhaft von Montag bis Sonntag auf einem kleinen Platz mit „Denkmal“ hinter Drogenhilfeeinrichtung und jüdischem Friedhof.

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Den Vorgang bestätigt das Bezirksamt, weist aber die Kritik zurück. „Man hätte zur besseren Überwachung der Szene in Amtshilfe für die Polizei eine Sichtachse herstellen müssen. Die Toilette wurde wegen Corona aufgestellt, später ist sie wieder entfernt worden“, so Bezirksamtssprecherin Sandra Stolle gegenüber dem Abendblatt.

Man könne nicht in die Toilette schauen und bekomme nicht mit, wenn dort ein Drogendeal stattfinde oder ein medizinischer Notfall vorliegt. Grundsätzlich sei der Eigentümer selbst für die Sicherung seines Grundstückes verantwortlich.

Schon 2023 habe auf Betreiben des Bezirksamtes eine Begehung stattgefunden

Ralph G. vermutet, dass die Menschen, die auf seinen Grundstücken leben, inzwischen aus dem gesamten südlichen Umland kämen und oftmals gar keine Wohnung mehr hätten. Schon 2023 habe auf Betreiben des Bezirksamtes eine Begehung mit Vertretern verschiedener Behörden, der Polizei und auch dem Betreiber des Abrigado stattgefunden, doch verändert habe sich nichts. Nur schlimmer sei es geworden.

Auch Spritzen liegen überall auf dem Grundstück. Kinder der Mieter dürfen hier schon lange nicht mehr spielen.
Auch Spritzen liegen überall auf dem Grundstück. Kinder der Mieter dürfen hier schon lange nicht mehr spielen. © LENTHE-MEDIEN | LENTHE-MEDIEN

Dafür nennt er direkt ein Beispiel: Auf Drängen der Polizei sei ein Grünstreifen auf öffentlichem Grund gerodet und eine auf dem Platz am Denkmal aufgestellte Dixi-Toilette abgebaut worden. „Durch die neue Sichtachse haben sich die Plätze für Drogenverstecke auf mein Privatgrundstück verlagert“, sagt der Hauseigentümer. „Es hat lediglich eine Verdrängung der Szene von öffentlichem Grund auf mein Grundstück stattgefunden. Geholfen ist damit niemanden.“

Nicht er, sondern die Behörden und Betreiber seien in der Pflicht, etwas zu unternehmen. Der betreibende Verein müsse endlich in die Pflicht genommen werden. Im schlimmsten Fall müsse man die Einrichtung eben schließen, findet G.

Erst kürzlich stahl ein Drogenabhängiger einer Frau

Wie dringend eine Verbesserung des Umfeldes allerdings ist, zeigen zwei Vorfälle aus dem vergangenen Tagen. In der Nacht vom 27. auf den 28. Mai konnten Polizisten einen Drogenabhängigen am Helmsweg festnehmen, nachdem er zunächst einer Anwohnerin Wein und andere Getränke von der Terrasse stahl und dann versuchte, in einen Keller einzubrechen. Als dem 35-Jährigen dies nicht gelang, legte er sich zum Schlafen in den Kellereingang, dort wurde er festgenommen.

Blick auf die gepflegte Wohnanlage am Helmsweg. Der grüne Hang vor den Balkonen ist für Junkies und Dealer ein idealer Rückzugsort.
Blick auf die gepflegte Wohnanlage am Helmsweg. Der grüne Hang vor den Balkonen ist für Junkies und Dealer ein idealer Rückzugsort. © LENTHE-MEDIEN | LENTHE-MEDIEN

Erst Anfang der Woche nahmen zivile Polizeibeamte einen 21- und einen 41-Jährigen auf dem Grundstück am Helmsweg fest, nachdem sie die Männer beim Drogendeals beobachteten. Bei der Durchsuchung der beiden mutmaßlichen Drogendealer fanden die Beamten zunächst Bargeld, auf dem jüdischen Friedhof nebendran aber auch eine Tasche, in der sich eine kleine Crackküche befand.

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Wie das Abendblatt exklusiv erfuhr, wird die Sicherung am alten jüdischen Friedhof am Schwarzenberg in absehbarer Zeit noch einmal verstärkt. Der Friedhof hatte erst 2021 eine stabile und robuste Zaunanlage erhalten, doch diese reicht offenbar nicht aus, um die Drogenszene fernzuhalten.