Hamburg. Eine Pflegerin wählt für Patientin den Notruf und wird an Arzt-Notdienst verwiesen. Vier Stunden später stirbt die Frau. Hilfe kommt zu spät.
- Todeskampf von Seniorin dauerte mehrere Stunden
- Trotz Notruf des Pflegedienstes kam kein Arzt zu der alten Dame
- Als der Rettungswagen schließlich kam, war es zu spät
Am vergangenen Mittwoch, 22. Mai 2024, verstarb eine Seniorin gegen Mittag in ihrem Einzelhaus in Neugraben-Fischbek. Ein plötzlicher Tod war es offenbar nicht, der alten Dame ging es seit Stunden schlecht. Trotz mehrerer Versuche erschien über Stunden kein Arzt, um nach ihr zu sehen. Ein Tod, der möglicherweise hätte verhindert werden können? Antworten auf diese Frage werden noch gesucht.
Denn bereits am frühen Morgen, um 7 Uhr, hatte eine Pflegedienstmitarbeiterin, die die alte Dame regelmäßig besuchte, den Rettungsdienst alarmiert, weil es der Kundin schlecht ging. Der Rettungsdienst kam nicht. Telefonisch wurde die Anruferin angewiesen, stattdessen die Nummer des Kassenärztlichen Notdienstes 116 117 zu wählen. Doch das gestaltete sich offenbar sehr schwierig.
Vera A.s Allgemeinzustand veranlasste Pflegerin, Rettungsdienst zu alarmieren
Wie jeden Morgen hatte auch am Mittwoch ein Pflegedienst gegen 7 Uhr am Morgen die agile Seniorin Vera A. in ihrem Haus in der Straße Hogenbrook besucht, um ihre Kompressionsstrümpfe anzuziehen. So gerüstet erledigte die betagte Dame mit ihrem Rollator bis zu ihrem Tod normalerweise die Dinge des Alltags. Doch schnell bemerkte die Pflegefachkraft am frühen Mittwoch: Heute stimmt etwas nicht. Vera A.s Allgemeinzustand veranlasste die Pflegerin, den Rettungsdienst der Feuerwehr zu alarmieren.
Ein Disponent nahm den Notruf entgegen, ging ein Fragenprotokoll durch und entschied: A. sei ein Fall für den Ärzteruf der Kassenärztlichen Vereinigung. Man möge bitte die Nummer 116 117 wählen. Offenbar gab im Telefonat einen Zwischenruf der Seniorin, dass es ihr schon zwei Tage nicht gut gehe, den Ausschlag zu dieser Empfehlung. Ein Rettungswagen rückte nicht in die ruhige Wohnsiedlung aus.
Der ärztliche Hausbesuch blieb aus
Dreimal versuchte es die Mitarbeiterin des Pflegedienstes in der Folge bei der Hotline des Kassenärztlichen Notdienstes 116 117. Dreimal blieb der Anruf offenbar unbeantwortet. Dann ein erneuter Notruf bei der Feuerwehr. Nun wurde sie direkt durchgestellt. Gegen 7.15 Uhr versprach ein Telefondisponent, dass ein Arzt in den kommenden 90 Minuten nach der Patientin schauen werde. Doch der ärztliche Hausbesuch blieb aus.
Um kurz nach 9 Uhr meldete sich Vera A. erneut beim Pflegedienst. Der Arzt sei noch nicht angekommen, ihr ginge es aber noch schlechter. Erneut versuchte der Pflegedienst, die 116 117 zu erreichen. Und offenbar wurde den Pflegekräften erneut ein schneller Arztbesuch versprochen.
Als gegen 11.30 Uhr eine Nachbarin nach der alten Dame schauen will, ist sie nicht mehr ansprechbar und leblos.
Sofort wird mit der Reanimation begonnen
Zeitgleich findet sich auch die Kassenärztin an der Wohnanschrift ein. Sofort wird mit der Reanimation begonnen und erneut der Notruf 112 gewählt. Diesmal eilen ein Notarzt und ein Rettungswagen zum Einsatzort. Doch es ist zu spät. Nach mehr als zwei Stunden wird der Tod der alten Dame festgestellt.
Nun fragen sich nicht nur die Mitarbeiter des Pflegedienstes: Hätte der Tod der verwitweten Rentnerin durch schnelleres Handeln des Rettungsdienstes verhindert werden können? Stellte die Rettungszentrale die Meinung einer examinierten Pflegekraft mit berufsbedingten medizinischen Grundkenntnissen in Frage?
Bei der Polizei wurde eine Todesursachenermittlung aufgenommen
Klar ist bislang nur so viel: Bei der Polizei wurde eine Todesursachenermittlung aufgenommen. Eine Anzeige (Aktenzeichen liegt der Redaktion vor) wegen unterlassener Hilfeleistung ist ebenfalls gestellt worden. Zur Frage, ob es weitere interne Ermittlungen gibt, verweist die Ermittlungsbehörde an die Staatsanwaltschaft, die ihrerseits mitteilt, „dass noch kein entsprechendes Ermittlungsverfahren anhängig ist“.
Zumindest unangenehme Fragen müssen sich nun Feuerwehr und kassenärztliche Vereinigung gefallen lassen. Sowohl Feuerwehr als auch Kassenärztliche Vereinigung, bestätigen, dass es zum Tod der Patientin gekommen sei, wollen sich aber mit Blick auf interne Aufarbeitung noch nicht äußern. Erste Presseanfragen vom Onlineportal Süderelbe24.de, das am Sonnabend zuerst über den Vorgang berichtete, ließen die Institutionen unbeantwortet.
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Gemeinsam fahren Feuerwehr, Kassenärztliche Vereinigung und Innenbehörde seit Mitte Januar die Kampagne „116 117 oder 112 – Die richtige Nummer im richtigen Moment“, bei der es um die Sensibilisierung für Anrufe in der Rettungszentrale der Feuerwehr nur im Notfall geht. Nicht ohne Grund: Immer wieder kam es in der Vergangenheit vor, dass der Rettungsdienst mit einem Rettungswagen zu Einsätzen gerufen worden, die besser bei einem Hausarzt aufgehoben sind.
Doch im konkreten Fall kam der erste Notruf von pflegerischem Fachpersonal. Mitarbeiter von Pflegediensten haben die Verpflichtung, den Gesundheitszustand ihrer meist älteren Kunden im Blick zu behalten. Dafür erhalten sie eine medizinische Grundausbildung. Ob Fehleinschätzungen vorlagen, müssen nun Ermittlungen zeigen.