Hamburg. Weil privaten Firmen Mitarbeiter für Krankentransporte fehlen, muss Feuerwehr übernehmen – und hat weniger Kapazität für Notfälle.

Sie hatten vorher schon genug Probleme, sagen die Beamten selbst: Angesichts der wachsenden Stadtbevölkerung und vor allem steigenden Notrufzahlen arbeiten die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Rettungsdienstes in Hamburg oft am Limit, sind häufig später am Einsatzort als geplant.

Nun verschärft sich die Lage noch. Privaten Firmen, die in der Regel die Krankentransporte von Patienten ohne akuten Notfall übernehmen, geht das Personal aus. Die städtischen Retter müssen einspringen. „Das ist auf Dauer nicht zu leisten, es muss etwas passieren“, heißt es dazu aus dem Apparat.

Feuerwehr Hamburg: 4500 Krankentransporte 2022

Wie der Senat in der Antwort auf eine Kleine Anfrage des CDU-Abgeordneten Dennis Gladiator bestätigt, steigt die Zahl der Einsätze für die Feuerwehr weiter an – knapp 273.000-mal mussten Rettungswagen im vergangenen Jahr ausrücken, im ersten Halbjahr 2022 waren es nun allein 147.000 Einsätze. Seit Langem gibt es Unmut darüber, dass die tatsächliche Zahl der Notfälle nicht wirklich zunehme, aber Hamburgerinnen und Hamburger schneller und öfter grundlos die 112 wählten.

„Seit einiger Zeit“ kämen nun „vermehrt Krankentransporte“ hinzu, heißt es weiter – allein 4500 Einsätze zwischen Januar und Juni. Dies sorge dafür, dass die „für die Notfallrettung eingeplanten Ressourcen gebunden werden und für einen Notfalleinsatz nicht zur Verfügung stehen“.

Acht Minuten bis Einsatzort? Klappt nur bei der Hälfte

Das hat Folgen. Bei dem Ziel, möglichst in allen Fällen innerhalb von weniger als acht Minuten am Einsatzort zu sein, kommt der Rettungsdienst nicht voran – obwohl mit einer Gesetzesnovelle auch Hilfsorganisationen wie das Deutsche Rote Kreuz (DRK) nun stärker eingebunden wurden. Nur in etwas mehr als der Hälfte der Fälle sind die Retter so schnell wie beabsichtigt vor Ort, in den Bezirken Wandsbek und Bergedorf liegt die „Erfüllungsquote“ teilweise sogar unter 50 Prozent. Am höchsten war der Wert in Eimsbüttel und Nord mit etwa 60 Prozent.

Ein Feuerwehrsprecher wollte sich auf Anfrage nicht zu den Problemen äußern, verwies auf die schriftliche Antwort des Senats. Von einem großen Dienstleister im Krankentransportwesen, dem Falck-Konzern, heißt es, der Personalmangel habe sich über Jahre aufgebaut – „es ist aber nicht so, dass wir damit alleine dastehen“, so Sprecher Steffen Windelberg. Auch die Hilfsorganisationen seien betroffen. Zudem werde alles versucht, um neues Personal zu rekrutieren. Wie in anderen Branchen sei das aber schwierig.

Studie: Jeder dritte Notruf ist kein Notfall

Nach Abendblatt-Informationen denkt die Feuerwehr bereits über eine Reaktion nach. Selbst personell weiter aufzurüsten scheidet dabei aber aus. Man habe bereits alle Hebel in Bewegung gesetzt, um so viele neue Sanitäterinnen und Sanitäter wie möglich auszubilden, so ein Beamter. Weitere Rettungswagen zu beschaffen ist ebenfalls nicht ohne Weiteres möglich und hängt auch an der Finanzierung durch die Stadt und Krankenkassen. In einem ersten Schritt hat die Feuerwehr die Richtlinie für die Besetzung von Krankentransportwagen angepasst. Ein Rettungssanitäter und ein Rettungshelfer reichen demnach aus. Das soll erleichtern, dass die Wagen auch besetzt werden können und die Feuerwehr nicht einspringen muss.

Eine langfristige Lösung ist das aber nicht. Das schwerwiegendste Problem bleibe die immer weiter ansteigende Zahl von Einsätzen. „Die Feuerwehr kann gar nicht so schnell mitwachsen, selbst wenn Geld und andere Faktoren keine Rolle spielen“, so ein Beamter. Studien zeigten in der Vergangenheit, dass hinter bis zu jedem dritten Notruf gar kein akuter Notfall stecke. Die Tendenz, vorschnell die 112 zu wählen, habe sich in der Pandemie eher noch verstärkt. „Wir beobachten seit langer Zeit, dass das Anspruchsdenken sich weiter verbreitet, immer sofort einen voll ausgestatteten Rettungswagen zu haben, der zu einem nach Hause kommt.“

Feuerwehr: Wartezeit über 12 Minuten bei Notruf

Auf der anderen Seite sei es der Anspruch der Feuerwehr, auch in wahrscheinlich nicht lebensgefährlichen Fällen zur Sicherheit möglichst schnell vor Ort zu sein. Bei einem Herzinfarkt oder einem Schlaganfall können Sekunden entscheidend sein. Der CDU-Politiker Gladiator, der die Einhaltung der sogenannten Hilfsfristen regelmäßig abfragt, macht den Senat bereits seit Längerem für den langfristig eher negativen Trend bei der Geschwindigkeit der Retter verantwortlich. Ankündigungen hätten „nichts an der Realität“ verändert, zudem seien die Unterschiede bei den Erfüllungsquoten zwischen den Stadtteilen extrem hoch.

Wie aus den Antworten auf die aktuellen Anfragen des CDU-Abgeordneten weiter hervorgeht, war der Rettungsdienst im ersten Halbjahr 2022 in mehr als 24.000 Fällen nicht in spätestens acht Minuten vor Ort, wie es den Zielen entspräche. In fast 9000 Fällen betrug die „Verspätung“ dabei lediglich maximal eine Minute. Bei 4300 Alarmierungen mussten Patienten allerdings länger als 12 Minuten warten.

Dass es gerade in Randstadtteilen länger dauern kann, liegt auch an „weißen Flecken“ auf der Karte der Rettungswachen, die die Feuerwehr seit längerem mit dem Bau neuer Standorte tilgen will. Auf der anderen Seite mussten den Senatsangaben zufolge in den Bezirken Harburg und Nord in den vergangenen Monaten die meisten zusätzlichen Krankentransporte noch von der Feuerwehr übernommen werden, da den privaten Dienstleistern das Personal fehlte.

Eigentlich sollte die bessere Einbindung der Hilfsorganisationen auch die Geschwindigkeit im Rettungsdienst erhöhen. DRK, Arbeiter-Samariter-Bund (ASB) und andere hatten darauf gedrängt, öfter auch Notfälle übernehmen zu dürfen – wie das Abendblatt aufdeckte, gab es in Einzelfällen sogar Streit darum, wer einen bestimmten Patienten vom Alarmierungsort in ein Krankenhaus bringen durfte. Im Rettungsdienst geht es auch um viel Geld – die Krankenkassen erstatten dafür jährlich einen Betrag von mehr als 50 Millionen Euro.

Die Gesetzesnovelle sah schließlich aber auch klar vor, dass die Feuerwehr weiter über die Verteilung der Einsätze sowie inhaltliche Richtlinien entscheidet – und auch weniger brenzlige Transporte übernimmt, wenn es nötig ist.