Harburg. Archäologen gruben sich bis ins Harburger Mittelalter vor. Nun ist ihre Forschungsstätte Geschichte. Wie es mit dem Areal weitergeht.

  • Fast ein Jahr lang wurde im Binnenhafen zur Harburger Geschichte geforscht
  • Archäologen legten mittelalterliche Gebäudereste frei
  • Nach erfolgreicher Erkundung darf die Fläche nun bebaut werden

Seit Juli vergangenen Jahres war ein elfköpfiges Team im Harburger Binnenhafen dabei, an dem archäologisch trächtigen Standort des ehemaligen Gasthauses „Weißer Schwan“ zu graben. Bis ins 14. Jahrhundert sind die Geschichtsforscher vorgestoßen – tiefer geht‘s nicht. Heute, Anfang Juni 2024, deutet nur noch wenig darauf hin, dass hier über Monate zur Harburger Geschichte gegraben, geforscht und gefunden wurde.

Goldgräber-Stimmung im Binnenhafen: So geht es auf dem Areal weiter

Für den letzten Akt der Ausgrabung wurden Ende April bereits die beiden großen Zelte abgebaut, die das Projekt vor Regen schützten. Einen Monat lang hatten die Passanten freien Einblick in die Grabungsstätte, wenn sie an der Ecke Schloßstraße/Kanalplatz entlang gingen. Beim Abbau gab es ein technisches Problem: Die Zeltbauer hatten nicht bedacht, dass Archäologen in die Tiefe graben – die Befestigungen am Zeltdachfirst und die Beleuchtungsröhren waren nun nicht mehr mit Leitern erreichbar. Ein Hubsteiger musste besorgt werden.

Offen für alle einsehbar: Die archäologische Grabungsstätte an der Schloßstraße im Harburger Binnenhafen.
Offen für alle einsehbar: Die archäologische Grabungsstätte an der Schloßstraße im Harburger Binnenhafen. © HA | Angelika Hillmer

Als das Gestänge weggeräumt war, hatten die Archäologinnen und Archäologen den Steg zwischen den beiden Grabungsfeldern (Schnitten) in Angriff genommen, um auch diesen Bereich noch zu untersuchen. Dafür war das Projekt, das zunächst Ende April abgeschlossen werden sollte, um einen Monat in die Verlängerung gegangen.

Auch Alltagsgegenstände fielen den Forschern in die Hände

Mit dem Decksand wurde bereits eine der beiden Grabungsgruben teilweise verfüllt. Die unterschiedlichen Zeithorizonte verschwanden nach und nach unter Sand. Bis ins Mittelalter (Ende des 14. Jahrhunderts) sind die Forscher mit dem Projekt vorgedrungen.

Das elfköpfige Grabungsteam in historischer Goldgräber-Manier, analog aufgenommen und im Labor entwickelt. Zweiter von rechts: Grabungsleiter Dr. Martin Eckert. 
Das elfköpfige Grabungsteam in historischer Goldgräber-Manier, analog aufgenommen und im Labor entwickelt. Zweiter von rechts: Grabungsleiter Dr. Martin Eckert.  © Martin Eckert | Martin Eckert

„Wir haben einige bemerkenswerte Funde gemacht“, sagte Grabungsleiter Martin Eckert dem Abendblatt, etwa eine komplett erhaltene Hausecke mit Schwellbalken und Pfosten eines 700-jährigen Fachwerkhauses. „Das Haus ist offenbar abgebrannt, man sieht dort auch Brandschutt. Die Schichtung und die gefundene Keramik weisen darauf hin, dass das Haus dem Stadtbrand von 1396 zum Opfer fiel. Es wurde vermutlich irgendwann Ende des 13., Anfang des 14. Jahrhunderts gebaut – wir sind hier in der untersten Siedlungsschicht.“

Auch Alltagsgegenstände wie spätmittelalterliche Keramik, kaputte Tafelmesser, Gürtelschnallen, spitz zulaufende Schuhe, wie sie im Mittelalter Mode waren, fielen den Archäologen in die Hände. Sogar Kinderschuhe. Der moorige Untergrund, die Torfschichten, auf denen die Häuser erbaut wurden, haben organische Substanzen wie Holz und Leder recht gut konserviert.

Weiter als bis um 1300 kann Grabung nicht reichen

Zwar wird die Keimzelle Harburgs, die Horeburg, ins 11./12. Jahrhundert datiert. Doch Siedlungsreste aus dieser Zeit sind höchstwahrscheinlich verloren: Die ersten Gebäude lagen nördlich vom heutigen Grabungsareal, etwa dort, wo sich heute der Lotsekanal befindet. Sie fielen um 1650 dem Festungsbau zum Opfer. Mehr als die Relikte eines Hauses, das um 1300 errichtet wurde, konnte von der Grabung an der Harburger Schloßstraße/Ecke Kanalplatz also nicht erwartet werden.

Ein Blick ins nördliche Grabungsfeld an der Harburger Schloßstraße, hier noch unter dem Zeltdach.
Ein Blick ins nördliche Grabungsfeld an der Harburger Schloßstraße, hier noch unter dem Zeltdach. © Angelika Hillmer | Angelika Hillmer

Bis 1965 stand auf dem heutigen Baugrundstück der Gasthof „Weißer Schwan“. Seine Wurzeln reichen bis 1819, doch schon zuvor hat des dort eine Gastwirtschaft gegeben. Die Archäologen legten einen Vorgängerbau frei, der zwischen 1695 und 1709 errichtet worden sein muss. Er steht auf einem Grundstück, das offensichtlich aus mehreren Parzellen bestand. Das Forschungsinteresse im Mai richtet sich auf diese mittelalterliche Siedlungsstruktur.

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Grundstück vom „Weißen Schwan“ besteht aus mehreren Parzellen

Die mittelalterlichen Häuser standen im 14./15. Jahrhundert auf Wurten, aufgeschütteten Erdhügeln aus Torf- und Kleischichten. Mit ihnen schützten sich die ersten Siedler gegen das Hochwasser der Elbe. Auf jeder Wurt stand ein Haus, zwischen den Wurten verliefen Gräben. Die einzelnen Parzellen waren schmal und lang, reichten bis zum heutigen Westlichen Bahnhofskanal.

Mit dem Festungsbau und dem entstandenen Kanalplatz änderte sich die Siedlungsstruktur. Am Kanalplatz wurden Häuser gebaut, sodass die anliegenden Schloßstraßen-Parzellen, die „schmalen Handtücher“ zum Kanal, entsprechend gekappt wurden. Damit die arg verkleinerten Grundstücke noch sinnvoll zu nutzen sind, wurden mehrere zusammengelegt.

Am 22. April werden die Planen der Zelte, die die Grabung
Am 22. April werden die Planen der Zelte, die die Grabung "Weißer Schwan" an der Harburger Schloßstraße schützten, heruntergenommen. Ein Tag später wird das Gerüst abgebaut. © Angelika Hillmer | Angelika Hillmer

Doch wie viele Parzellen gab es vor der Zusammenlegung auf dem Grabungsareal? Um diese Wissenslücke zu beseitigen, muss nun der Steg zwischen den ehemaligen Zelten weichen. Grabungsleiter Eckert freut sich auf diesen letzten Akt der Grabung, auch wenn sein Team jetzt dem Hamburger Wetter ausgesetzt ist – „dann ziehen wir uns halt Regenmäntel an“.

Grabungsfläche im Binnenhafen: Entstehen hier bald Studentenwohnungen?

Wer heute die Straßenecke passiert, ahnt nichts mehr von der Grabung. Zu sehen ist eine Sandfläche, aus der noch die stählernen Stützen, die die Grabung sicherten, herausschauen. Sie werden gerade demontiert. Anschließend wird voraussichtlich Gras über die Relikte der Harburger Geschichte wachsen.

Nach Abschluss der wissenschaftlichen Arbeiten kann die Fläche bebaut werden. Es gibt noch kein konkretes Projekt. Studentenwohnungen sind im Gespräch. Doch zuvor werden wohl noch ein paar Jahre ins Land gehen. Erst einmal muss der Bebauungsplan geändert werden.