Harburg. Shopping ohne Stress: Warum ein Edeka-Markt in Harburg vier Stunden pro Woche das Licht dimmt und die Kassen stumm schaltet.
Stille Stunden beim Einkaufen: Der Verzicht auf schräge Reklame, helles Licht, Gepiepe an den Kassen und Dudelfunk gewinnt immer mehr Freunde. Auch in Harburg wird das Konzept seit gestern umgesetzt. Künftig soll jeder Mittwoch und Donnerstag bei Edeka im Harburger Marktkauf-Center mit zwei ruhigen Einkaufsstunden starten. Die ersten Kunden waren begeistert von dem Konzept.
Die Kassen sind tonlos gestellt, kein Lautsprecher beschallt die Gänge des Supermarktes, das Licht ist gedämmt und alle Displays aus – so sieht zumindest in einigen wenigen Stunden der Woche das neue Einkaufserlebnis aus. „Zuerst wurde das Konzept im Norden Deutschlands in einem Edeka Center in Rostock getestet. Dort läuft das stille Einkaufen seit mehr als einem halben Jahr und wird gut angenommen“, freut sich Tadeusz Chmielewski (35), Geschäftsführer des Edeka Center Harburg. „Ich habe mir dieses Projekt sehr genau angeschaut und von Anfang an eng begleitet“, erzählt der Geschäftsmann mit Begeisterung. „Wir sind überzeugt von der stillen Einkaufsstunde und machten uns ebenfalls vor einigen Monaten an die Umsetzung“.
Harburger Edeka-Betreiber mussten vierstelligen Betrag für das Projekt investieren
Das Vorhaben durchzusetzen sei nicht einfach gewesen und bedurfte einer monatelangen Planungsphase sowie einer Investition in mittlerer vierstelliger Höhe. „Wir arbeiten in einer Bestandsimmobilie von 1983, daher mussten wir einige Stromschaltkreise neu ziehen und auf dem Dach befand sich sogar noch eine analoge Radioantenne“, resümiert der Geschäftsmann. Bei der Renovierung im Jahr 2020 seien zwar energiesparende und zeitgemäße Leuchtmittel installiert, aber die Elektrokabel nicht erneuert worden.
Damit es mit dem leisen und entspannten Shopping ohne Reizflutung funktioniert, mussten Schaltungen für den Strom erneuert und ein neues Digitalradio mit Zeitschaltuhren versehen werden. Das klappte zur Premiere ganz ordentlich, „an einigen Stellen wird aber noch fleißig nachgearbeitet. Die Inshop-Displays mit den Angeboten beispielsweise werden durch die Zentrale gesteuert, dort wird gerade noch programmiert, damit die Monitore auch erst um 10 Uhr zum Normalbetrieb angeschaltet werden“, so Chmielewski. Aktuell laufen die Monitore noch oder müssen wie an der Info von Hand alle zehn Minuten ausgeschaltet werden, wie Mitarbeiterin Vanessa Noll demonstriert. Diese Sisyphusarbeit soll aber bald der Vergangenheit angehören und alles automatisiert sein.
Das Piepen an der Kasse vermisst am Premierenmittwoch wirklich niemand
Keine Probleme gibt es hingegen an den Kassen. Dort leuchten lediglich drei – nur für den Verkäufer sichtbare – grüne LEDs auf, wenn ein Artikel über den Scanner gezogen wurde. Das Piepen an der Kasse vermisst am Premierenmittwoch wirklich niemand. Ganz im Gegenteil, „es ist fast so gemütlich wie früher, als es den ganzen Leuchtkram und die Werbeslogans über die Beschallungsanlage noch nicht gab“, sagt eine Frau die zufrieden ihren Einkaufswagen packt und sich noch vor der Arbeit bewusst für den Einkauf bei Stille entschieden hat.
Ein Kunde ergänzt: „Ich habe viel mehr Zeit im Laden verbracht, weil ich mich nicht so gehetzt fühlte. Das Einkaufen machte plötzlich richtig Spaß.“ Ein anderer Einkaufender sagt: „Ich habe sogar Einiges entdeckt, das mir vorher unbekannt war.“
Verein Autismus Hamburg beriet die Harburger Edeka-Filialleiter
„Gemeinsam mit dem Verein Autismus Hamburg haben wir uns ganz genau angeschaut, wo eine Beruhigung sinnvoll ist“, erklärt der Geschäftsmann. Bereits am Dienstag habe man im Edeka Center gemeinsam mit dem Verein einen Infotisch aufgebaut, um zum Welt-Autismus-Tag für die tiefgreifende Entwicklungsstörung zu sensibilisieren und um darüber aufzuklären. Als Dankeschön haben wir als Markt dem Verein einen Spendenscheck von 500 Euro überreicht.“
Bei der Verdunklung musste natürlich abgewogen werden, was sinnvoll ist und was die Mitarbeiter im Markt behindert. „Es ist ja keinem damit geholfen, wenn sich der Fleischer am Frischetresen in den Finger schneidet“, macht es Marktleiter Tadeusz Chmielewski noch einmal deutlich. Daher ist zum Start nur jede zweite LED Leuchte ausgeschaltet, die Ware kann durchaus noch gut erkannt und ausgesucht werden.
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„Wir sind sehr glücklich, wenn wir Menschen mit einer autistischen Störung oder einer Hypersensibilität helfen können, ihren Alltag mit Kleinigkeiten signifikant zu bessern“, erklärt Tadeusz Chmielewski abschließend und das Investment sei überschaubar. Doch schon am Premierentag drängt sich der Eindruck auf, dass auch Einkäufer ohne Entwicklungsstörung gerne die Gelegenheit nutzen, zumindest für kurze Zeit dem Trubel des „normalen“ Wocheneinkaufes zu entgehen.