Lohbrügge. Hamburgs erster Supermarkt startet Angebot zum reizarmen Einkaufen. Kunden und Mitarbeiter bei Edeka haben eine klare Meinung.
„Es ist ziemlich dunkel“, sagt Matthias März (62). Er kauft oft bei Edeka im Lohbrügge Marktkauf-Center ein. Am Montag, 11. März, ist hier aber alles anders als sonst. „Ein bisschen seltsam“, sagt März. Nicht nur die Beleuchtung ist deutlich gedimmt, auch alle Monitore sind abgeschaltet, die Scanner an den Kassen machen keine Geräusche, und aus den Lautsprechern erklingen keine Durchsagen. Als erster Supermarkt in Hamburg bietet der Edeka in Lohbrügge zukünftig von Montag bis Sonnabend jeweils von 8 bis 9 Uhr die „stille Stunde“ an. Fast alle Kunden sind von dem neuen Angebot begeistert.
Die Idee der „stillen Stunde“ ist hierzulande relativ neu. Einige Supermärkte in Deutschland haben sie bereits eingeführt. Ursprünglich kommt das Konzept aus Neuseeland. Ein Supermarktangestellter namens Theo Hogg entwickelte es. Als Vater eines autistischen Kindes weiß er, wie belastend alltäglich Situation sein können. „Kaum jemand weiß, dass Fachkräfte jahrelang mit ihren autistischen Klienten üben, damit sie überhaupt einkaufen gehen können“, sagt Theo Hogg.
„Stille Stunde“ im Supermarkt – So lief die Premiere im Marktkauf-Center
Jetzt kommt die „stille Stunde“ auch erstmals nach Hamburg. Der Edeka in Lohbrügge ist der erste Supermarkt in Hamburg mit dem Angebot. Insbesondere Menschen mit Autismus und Demenz profitierten von einem reizarmen Einkauf. „Wir möchten uns aber an alle Menschen richten, die aus ihrem stressigen Alltag raus und entspannt einkaufen wollen“, sagt der Lohbrügger Edeka-Geschäftsführer Marcel Besang. Er freut sich über die Einführung der „stillen Stunde“. „Es ist richtig angenehm. Im Laden ist so eine ruhige und entspannte Stimmung.“
Fast alle Kunden teilen die Begeisterung des Geschäftsführers. Sie freuen sich über einen entspannten Einkauf im leisen Geschäft. „Das ist herrlich“, sagt eine 60 Jahre alte Kundin. Sie wohnt nicht weit von der Filiale entfernt und geht immer in dem Supermarkt einkaufen. „Man hat deutlich mehr Ruhe zum Schauen“, sagt sie. Am Montag ist sie nur zufällig zur „stillen Stunde“ einkaufen gegangen. „Ich werde aber auf jeden Fall wiederkommen.“
Marktkauf-Center Lohbrügge: Kunden wollen gezielt wiederkommen
Auch Monika Massel (77) geht regelmäßig im Marktkauf-Center einkaufen. „Ich finde es gut. Vielleicht komme ich auch mal gezielt zur ,stillen Stunde‘“, sagt sie. Es gibt aber auch andere Stimmen: Manche Kunden sehen keine Notwendigkeit für einen reizarmen Einkauf. „Das muss nicht sein“, sagt Matthias März (62). Er gehe ohnehin nicht gern einkaufen, die „stille Stunde“ könne das auch nicht ändern. „Stören tut es mich aber auch nicht“, sagt er.
Die Angestellten müssen sich seit der Einführung der „stillen Stunde“ etwas anpassen: Hubwagen mit Lebensmitteln fahren sie nun in der einen Stunde am Morgen nicht mehr durch die Gänge. Die Mitarbeitenden laden die Lebensmittel schon vor Ladenöffnung vor den Regalen ab. Später sortieren sie die Waren dann in Ruhe ein. So sind nur noch die Geräusche der Kunden und die Lüftung zu hören. Kerstin Gauda (60) findet das neue Konzept gut. Die Mitarbeiterin legt gerade Brötchen in ein Regal. „Für die Kunden ist es bestimmt total angenehm. Beim Arbeiten kriegt man das aber gar nicht so mit“, sagt sie. Ähnlich geht es auch der Kassiererin Tatjana Wilhelm (51). Sie muss sich jetzt daran gewöhnen, dass morgens kein Piepen beim Scannen zu hören ist. „Der Ton ist eine Kontrollfunktion für die Kassiererin“, erklärt Marcel Besang. Sie müssten dann nicht ständig auf das Display schauen. „Mich stört das aber nicht“, sagt Tatjana Wilhelm.
„Stille Stunde“ in Lohbrügge: Schon der Testlauf ist gut angekommen
Am vergangenen Donnerstag, 7. März, hat es schon einen Pilotversuch der „stillen Stunde“ gegeben. „Der Testlauf kam gut bei den Kunden an“, sagt die Angestellte Kerstin Gauda. Geschäftsführer Marcel Besang ist gespannt, wie das Angebot in den kommenden Wochen angenommen wird. „Am Donnerstag mussten wir erst einmal erklären, was die ‚stille Stunde‘ überhaupt ist“, sagt er. Bis Kunden gezielt ihren Einkauf von 8 bis 9 Uhr erledigen, dauere es wahrscheinlich noch einige Zeit. Er stelle aber schon jetzt fest, wie besonders die Atmosphäre in seinem Geschäft sei, wenn alle überflüssigen Reize abgeschaltet sind.
Zur ersten offiziellen „stillen Stunde“ im Edeka in Lohbrügge ist auch Uwe Hinrichs gekommen. Seit 2018 ist es ein persönliches Anliegen von ihm, Supermärkte bei der Einführung und Umsetzung der „stillen Stunde“ zu beraten. Der 56-Jährige ist Frührentner und lebt mit einer Behinderung. „Menschen mit Autismus sind besonders von der Reizüberflutung im Supermarkt betroffen“, sagt er. In den vergangenen Jahren ist er durch Deutschland gereist und war bei vielen „stillen Stunden“ vor Ort. Einige Supermärkte hätten nur „ausbaufähige“ Konzepte zum reizarmen Einkaufen. Mit der Umsetzung in Marktkauf-Center ist er aber zufrieden. „Ich finde es schon mal prima“, so Uwe Hinrichs.
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Uwe Hinrichs wünscht sich, dass noch mehr Geschäfte die „stille Stunde“ einführen. Bislang gibt es ein solches Angebot schon in Edeka-Filialen in Brandenburg, Hessen und Niedersachsen. Auch Optiker, Fitnessstudios und eine Stadtbibliothek in Rheinland-Pfalz haben sich angeschlossen. Wer mitmachen möchte, kann sich einfach beim Limburger Verein „gemeinsam zusammen“ registrieren, der für Unternehmen auch professionelle Werbemittel bereithält – beispielsweise auch für die Aktion „silent cut“, wenn Friseursalons während des Schneidens das Telefon abstellen und möglichst leise Haarschneidemaschinen benutzen.