Harburg. Kaum zu glauben: Der Bezirk Harburg hat die meisten Musikclubs nach Hamburg-Mitte. Geld der Stadt gibt es kaum. Was läuft hier anders?
Zum Jahreswechsel prasselten die Schläge auf Harburgs Szene-Gänger ein: Mit der „Inselklause“, dem „Komm Du“ und dem „Wasserturm und Feuerteufel“ schlossen wichtige Orte für Live-Musik und erbauliche Abende im Hamburger Süden für immer. Und doch: Im Bezirk verbleiben noch sieben „echte“ Musikclubs und einige weitere Spielstätten, die zwar regelmäßig Kultur veranstalten, aber nicht auf die 25 Veranstaltungen pro Jahr kommen, die die Untergrenze des Kriteriums „Musikclub“ sind.
Der Bezirk Harburg hat damit gemäß der Statistik des Dachverbands „Clubkombinat Hamburg“ die größte Anzahl an Musikclubs nach Hamburg-Mitte. Davon kaufen kann sich niemand etwas: Institutionelle Förderung für Musikclubs gibt es kaum. Wenn es sie mal gibt, findet sie selten von Norden aus über die Elbe. Die Harburger Musikclubs wissen das, rechnen nicht damit und überleben trotzdem irgendwie. Drei haben es nun nicht geschafft. Die Zeiten sind schwer.
Harburg trotzt dem Clubsterben – obwohl die Zeiten auch für sie schwer sind
Heimo Rademaker ist Gründer, Wirt, Programmmacher und Repräsentant des Clubs „Marias Ballroom“ im Phoenix-Viertel. Bis vor kurzem war er auch Sprecher der Initiative „Suedkultur“, der die meisten Kulturveranstalter und viele Kulturschaffende aus dem Hamburger Süden angehören. Er schildert den Berg an Schwierigkeiten, durch den sich die Musikclubs – nicht nur, aber eben auch in Harburg – durcharbeiten mussten und müssen.
„Corona und die damit verbundenen Lockdowns waren der Anfang“, sagt er. „Und gerade, als die Menschen anfingen, wieder auszugehen, kamen der Ukraine-Krieg und die Inflation hinzu. Die trifft uns besonders: Unsere Kosten steigen, und gleichzeitig gehen die Menschen weniger aus.“
„Die Leute haben einfach Angst auszugehen“, sagt Nandor Olah, der zusammen mit seinem Partner Mats Wollny das „Stellwerk“ im Harburger Bahnhof schmeißt. „Sie wissen nicht, was als Nächstes auf sie zukommt und halten ihr Geld zusammen.“
Eintritte und Getränkepreise: Die Tabu-Latte liegt tief
Wenn die Harburger ausgehen, geben sie aber immer noch genauso viel Geld pro Abend aus wie vor den Krisen, stellt zumindest Heimo Rademaker fest. Den Clubs nützt das leider wenig: Die Kosten sind gestiegen. Allein das Einheizen des Ballroom-Saals für die zwei Wochenend-Tage verschlingt 100 Euro. Die Getränkepreise im Einkauf sind im Schnitt gestiegen und auch das Personal ist – wenn man es denn hat – teurer geworden. Über höhere Eintritte oder Getränkepreiserhöhungen kann das nicht aufgefangen werden. Die Tabu-Latte liegt da tief.
„Ich kann in Harburg nicht knapp unter 5 Euro für eine kleine Flasche Bier nehmen, wie es in einigen Clubs in Altona schon üblich ist“, sagt Nandor Olah, „und bei den Eintritten muss ich bis auf wenige Top-Ausnahmen unter 20 Euro bleiben. Die Menschen hier haben nicht so viel Geld zur Verfügung. Und ich finde, sie sollten öfter ausgehen können, damit sie dann auch tatsächlich öfter ausgehen. Alle jammern, wenn ihre Lieblings-Location schließt, aber wenn sie nur einmal im Quartal dort auftauchen, tragen sie auch selbst mit dazu bei.“
Für Heimo Rademaker führt die Situation zu einer Programmverknappung: „Bei den Grundkosten, die ich an einem Abend habe, lohnen sich nur gut besuchte Veranstaltungen“, sagt er. „Das sind gut etablierte Lokalmatadoren und Tribute Bands. Wenn sich Bands von außerhalb bewerben, nehme ich sie nur noch, wenn sie schon eine große Fanbasis in Hamburg haben. Das lässt sich im Internet schnell prüfen.“
Herzblut, Selbstausbeutung, Freundschaftsdienst: keine nachhaltige Geschäftsbasis
Wirklich glücklich ist Rademaker damit nicht. Immerhin hat er vor dem Krisencluster mit Herzblut Künstler und Bands in seinem Club etabliert. Das braucht einen langen Atem. „Aber genau das können wir uns derzeit nicht leisten“, sagt er. „Dabei ist das eigentlich der Job der Clubs: Künstler aufbauen oder sogar neue Veranstaltungsformate zu entwickeln. Ich setze da auch ein wenig auf die jüngeren.“
Einige andere Harburger Locations können auch nur bestehen, weil der kulturelle Teil des Geschäfts mit viel Herzblut ehrenamtlich, in Selbstausbeutung oder auf Freundschaftsdienstbasis organisiert wird, sagt Rademaker. „Das ist alles ehrenhaft, aber letztendlich muss sich der Kulturbetrieb ja auskömmlich finanzieren“, sagt Rademaker.
Ganz so pessimistisch sieht Nandor Olah das nicht. Er und Mats Wollny setzen im Stellwerk auf Diversität: „Wir machen ein sehr breit gefächertes Programm“, sagt er. „Und das funktioniert: Wenn eine Sparte mal nicht so gut läuft, gleicht es eine andere aus, die gerade besser läuft. So kann man auch mal Neues ausprobieren.“
Nandor Olah wünscht sich mehr staatliche Anerkennung für das, was die Clubs leisten. „Der größte Teil des Hamburger Kulturetats subventioniert große Theater und Konzerthallen“, sagt er. „Auch das hat seine Berechtigung, aber gemessen daran, wie viele Menschen die Musikclubs besuchen, bekommen die Clubs viel zu wenig. Unbürokratische Fördertöpfe wären gut. Und dass viele Clubbetreiber gerade in diesen Zeiten große Teile der Corona-Hilfen zurückzahlen sollen, fördert die Kultur in der Stadt auch nicht gerade.“
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Dass die Stadt Geld ausgeben kann, beweist sie gerade. Zur Sanierung des ehemaligen Rieckhof-Gebäudes für den neuen Betreiber „Kulturpalast Harburg“ steuert die Bürgerschaft 500.000 Euro bei, wenn auch nicht aus dem Kulturetat.
Sieben Clubs gibt es noch in Harburg. Man kann sie jährlich alle gleichzeitig bei der Suedkultur-Music-Night besuchen. Die ist allerdings noch ein Dreivierteljahr hin. Wer vorher ausgeht, sichert das Überleben der Szene.