Wilhelmsburg. Kirchdorfer Kreuzkirche braucht dringend einen frischen Anstrich. Für die Finanzierung geht die Gemeinde einen erstaunlichen Weg.

Der Himmel über Kirchdorf ist derzeit bedrohlich dunkel. Dabei soll das Bild eigentlich Hoffnung und Zuversicht ausstrahlen, ziert es doch die Emporenbrüstung in einem Gotteshaus, und zwar dem ältesten der Elbinsel Wilhelmsburg.

Doch genau da liegt das Problem: Im Lauf der Jahre, Jahrzehnte und Jahrhunderte ist die Farbe nicht etwas ausgebleicht, sondern, weil es Ölfarbe ist, nachgedunkelt. Daneben blättert etwas Lack von der Brüstung, an einigen Balken und Säulen zeigen sich Risse im Holz.

Bei der jüngsten Sanierung der Kirchdorfer Kreuzkirche vor etwa fünf Jahren hat das gesammelte Geld nur für die Hälfte der anliegenden Arbeiten gereicht. Jetzt sollen auch die weiteren Reparaturen erfolgen. Den Großteil der Kosten übernimmt die Bezirksversammlung Hamburg-Mitte.

Die 50.000 Euro hat Michael Weinreich (SPD) noch im Quartiersfonds des Bezirks gefunden

Die 50.000 Euro hat Michael Weinreich (SPD), Bürgerschaftsabgeordneter aus Wilhelmsburg und zugleich Regionalausschussvorsitzender für die Elbinselstadtteile, noch im Quartiersfonds des Bezirks gefunden, beantragt und bekommen. Er hat eine besondere Beziehung zur Kreuzkirche, denn er wurde dort konfirmiert.

Pastor Malte Detjen (v.l.), Gemeinderatsmitglied Neele Singh, Stadtteilhistoriker Frank Kibat und Wilhelmsburgs Regionalausschussvorsitzender Michael Weinreich freuen sich, dass die Restaurierung bald losgehen kann.
Pastor Malte Detjen (v.l.), Gemeinderatsmitglied Neele Singh, Stadtteilhistoriker Frank Kibat und Wilhelmsburgs Regionalausschussvorsitzender Michael Weinreich freuen sich, dass die Restaurierung bald losgehen kann. © HA | Lars Hansen

Eine Kirche existiert an diesem Ort seit dem 14. Jahrhundert. Gestiftet hatte sie Otto Grote V. Die Grotes waren eine Familie aus dem einfachen Adel im Fürstentum Lüneburg und hatten die Elbinseln, die heute Wilhelmsburg bilden, seinerzeit erworben, um sie einzudeichen und bewohnbar zu machen.

Dass sie für ihre Bauern hier eine eigene Kirche errichten wollten, gefiel nicht jedem: Der Vogt von Ochsenwerder in den Vierlanden bestand darauf, dass diese Schäfchen weiterhin in Ochsenwerder zur Kirche gingen, wozu sie jeden Sonntag bei Wind und Wetter über die Elbe rudern mussten. Der Kirchenbau wurde nur gegen eine regelmäßige Ablösezahlung genehmigt, und einige Familien aus dem ganz im Osten der Insel gelegenen Moorwerder fahren noch heute zum Gottesdienst über die Elbe, mittlerweile jedoch mit dem Auto.

Für den Fürsten und seine Familie wurde eigens eine Privatloge in die Kirche eingesetzt

Die Kirche aus dem 14. Jahrhundert war ein Holzbau und wurde 1617 durch ein Backsteingebäude ersetzt. Otto Grote X., der den Bau beauftragt hatte, sah noch den Beginn der Bauarbeiten 1614, nicht aber deren Ende, da er 1616 verstarb. Seine Nachfahren verkauften die Ländereien auf den Elbinseln 1672 an Herzog Georg-Wilhelm von Braunschweig-Lüneburg/Celle. Ob das freiwillig oder auf Druck geschah, ist unklar. Der Herzog hatte Geld und brauchte Land, dass er seiner Frau Eleonore überschreiben konnte, damit sie in den Adelsstand erhoben werden konnte.

Die Fürstenloge, die Empore auf der sie steht und die Kanzel der Kreuzkirche warten schon lange auf ihre Restaurierung.
Die Fürstenloge, die Empore auf der sie steht und die Kanzel der Kreuzkirche warten schon lange auf ihre Restaurierung. © HA | Lars Hansen

Die Ländereien hießen fortan „Wilhelmsburg“, Eleonore „Reichsgräfin von Harburg und Wilhelmsburg“, und die mitgekaufte Burg der Groten wurde der Tochter des Herzogspaares, Sophie Dorothea, überlassen. Für Fürstens wurde eigens eine Privatloge in die Kirche eingesetzt. Ob sie je darin saßen oder sich überhaupt viel in Wilhelmsburg aufhielten, ist ebenso unbekannt wie unwahrscheinlich: Braunschweigs waren stets schwer mit Weltpolitik, Adelsintrigen und Affären beschäftigt, und diese Musik spielte nicht hier.

Die Loge wurde in der Zwischenzeit mindestens zweimal versetzt. Einmal 1893, als die längliche Kirche um ein Querschiff ergänzt und damit auch architektonisch zur Kreuzkirche wurde. Die Loge erhielt einen Ehrenplatz im neuen Ostflügel. 1977, als der Kirchenbau saniert wurde, zog die Loge auf die andere Seite in den Westflügel um.

Welch ein Glück: Restauratorin ist selbst Wilhelmsburgerin

Bis auf den Umzug der Loge blieben seinerzeit die meisten gestalterischen Elemente im Innenraum der Kirche unberührt oder erhielten nur eine Erhaltungssanierung. Die Marmoreffekt-Lackierung des Gebälks wurde in schlichten Tönen übermalt, die Bilder an den Emporen und an der Kirchenwand dunkelten weiterhin nach. Die Gemeinde startete in den 2010er-Jahren eine Spendensammlung zur Restaurierung des Innenraums. 2019 wurde die Sanierung erstmals angegangen. Das gesammelte Geld reichte allerdings „nur“ für den hinteren Teil mit der Orgelempore.

„Dort kann man jetzt schon sehen, wie auch die stark gedunkelten und verwitterten Elemente in den vorderen Emporen und an der Fürstenloge sowie die Kanzel demnächst aussehen werden“, freut sich Frank Kibat, vom Kirchengemeinderat. Er ist gleichzeitig aktiv im Museum der Elbinsel Wilhelmsburg. „Und es ist ein Glücksfall, dass wir dieselbe Restauratorin bekommen konnten wie 2019. Nicht nur wegen der Kenntnisse und der Kontinuität, sondern auch, weil sie selbst Wilhelmsburgerin ist.“

Bezirksgeld reicht nicht ganz: Einige Spenden müssen doch noch gesammelt werden

Wilhelmsburg ist, bis auf wenige Familien, kein wohlhabender Stadtteil. Die Gelder von 2019 kamen hauptsächlich aus zwei Großspenden. So ein Glück lässt sich nicht unbedingt wiederholen. Als Politiker hat Michael Weinreich deshalb auf verschiedenen Ebenen versucht, weitere Sanierungsmittel aufzutreiben – lange vergeblich. „Der Bund hat diese Art der Kulturförderung eingestellt, und die Bürgerschaft finanziert keine religiösen Bauten. Dass wir jetzt Mittel der Bezirksversammlung erhalten, ist die Rettung des Projekts!“

Die 50.000 Euro decken etwas weniger als 90 Prozent der geschätzten Kosten für die Restaurierung. Für den Rest sammeln Frank Kibat, Pastor Malte Detjen und weitere Mitstreiterinnen und Mitstreiter immer noch Geld in der Gemeinde. Ein wenig ist schon da. Einige Tausend Euro fehlen allerdings noch. „Ich bin da aber zuversichtlich“, sagt Kibat.