Hamburg. Kompostieren von Leichnamen wird auch in Deutschland immer beliebter. Doch was bleibt von den Menschen, die sich dafür entscheiden?
- Am Totensonntag gedenken die evanglischen Christen der Verstorbenen
- Für unseren Autor ein guter Anlass, um über den neuen Bestattungstrend „Human Composting“ nachzudenken
- Helge Adolphsen war von 1987 bis 2005 Hauptpastor im Hamburger Michel
Der Toten- und Ewigkeitssonntag ist für uns Christen ein besonderer und ernster Gedenktag im dunklen November. Für mich liegt es nahe, an diesem Tag über die Friedhofskultur und den Wandel bei Bestattungen nachzudenken.
Als junger Pastor gab es zum Teil heftige Diskussionen über Feuerbestattungen, anonyme Beisetzungen unterm grünen Rasen oder das Ausstreuen der Asche im eigenen Garten. Letzteres war und ist verboten. Doch nun gibt es seit einiger Zeit das Kompostieren von Leichnamen, auch Reerdigung genannt. Der Fach- und Verkaufsbegriff lautet: „Transformation zur Erde.“
Human Composting als neuer Trend: Mikroben bauen die verstorbenen Körper ab
Wie so manches kommt diese Neuerung aus den USA, dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten. Ein Pilotprojekt mit bisher zwölf „Transformationen“ als Erprobungsphase auch in Kiel und Mölln lässt aufhorchen. Die Beisetzung geschieht ohne Sarg und Urne. Die Leichname werden auf Stroh oder Holzspäne gebettet. Mikroben bauen in etwa 40 Tagen die Körper ab.
Übrig bleibt dann ein Kubikmeter Erde. Die verbliebenen Knochen werden gemahlen und der Erde wieder zugefügt. Dieser Vorgang geschieht ohne Energie. Es wird dafür kein Land und kein Friedhof gebraucht. Das wird besonders betont. Dieses Geschäftsmodell kostet in den USA pro Bestattung 6000 Dollar. Die ethische Begründung lautet: „Etwas Gutes für die Erde tun.“
Gräber der Verstorbenen als Orte der Trauer und der Erinnerung
Eine Frau hat verfügt, dass Freunde und Bekannte einen Teil der Erde ihres Leichnams als Energie für ihren Garten oder für eine Topfpflanze nutzen. Die Uni Leipzig begleitet das Projekt wissenschaftlich. Das Urteil: Unbedenklich für Mensch und Umwelt. Aber es melden sich auch kritische Stimmen. Und es werden ethische Bedenken geäußert.
Ich würde diese Bestattung nie für mich wollen. Für mich sind Gräber mit den Namen der Verstorbenen Orte der Trauer, der Erinnerung und auch der Zwiesprache.
Zwei Projekte in Stuttgart geben interessante Impulse
In Stuttgart gibt es ein interessantes Projekt der Trauerkultur. Eine Pastorin hält alle acht Wochen eine Trauerfeier für Menschen, die einsam und ohne Angehörige verstorben sind. Das sind im Ländle immerhin in einem Jahr 500 bis 600 Personen. Auf einem Friedhof gibt es ein Gräberfeld, das dank dieses kirchlichen Engagements neu gestaltet wurde. Die Gräber haben Namenstafeln. Wenn niemand da ist, der sich um die Beisetzung kümmert, regelt das ein städtisches Amt. Es ordnet auch die Bestattung im öffentlichen Interesse an.
Ebenfalls in Stuttgart wurde eine evangelische Gesellschaft gegründet, die den schönen Namen „eva“ trägt. Die bei dieser Gesellschaft angestellte Bestatterin berät Menschen kostenlos beim Verfassen einer Verfügung. In ihr wird vermerkt, wer sich nach dem Tod eines Menschen um die Bestattung kümmern wird.
Friedhöfe waren immer Orte der Stille und sind es bis heute
Nicole Bornkessel: „Mir ist es ein Herzensanliegen, eine Stimme für die Verstorbenen zu sein, die nicht mehr für sich selbst sprechen können.“ Denn: Es gibt ja auch Situationen, in denen zwar noch Angehörige da sind, aber die Familien sich heillos zerstritten haben. Deshalb legen einige vor ihrem Tod fest, dass ihre Verwandten sich nicht um die Beerdigung kümmern sollen. Streiten kann den Umgang mit der Würde der Verstorbenen durchaus gefährden.
Die Pastorin Stephanie Hecke erzählt, dass ihr dieses Thema öfter begegnet. Viele Menschen leben nicht mehr in einem Familienverband. Einsamkeit ist oft mit Armut verbunden.
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Friedhöfe waren immer Orte der Stille und sind es bis heute. Aber an verschiedenen Orten in Bayern gibt es sogar ein Kaffeekränzchen auf dem Friedhof. Die Pastorin der Augsburger City-Kirche zieht dann mit ihrem mobilen „Café Kränzchen“ auf den Friedhof. Das bringt Leben zu den Verstorbenen. Und dafür wird ganz bewusst der Sonntag gewählt. Denn genau wie die Kollegin weiß auch ich, dass für trauernde und einsame Menschen der Sonntag der belastendste Tag der Woche ist.
Leben auf die Friedhöfe bringen – mit Lastenfahrrad und selbstgebackenem Kuchen
Jeden Sonntagnachmittag kommen Ehrenamtliche mit dem Lastenfahrrad und verteilen Kaffee und selbstgebackenen Kuchen. Vor drei Jahren wurde das „Cafe Kränzchen“ gegründet, 30 bis 50 Gäste und Friedhofsbesucher nehmen das Angebot in der warmen Jahreszeit dankbar an. Im Winter ist Pause. Eine ältere Frau sagt: „Im November jammern wir, im Mai freuen wir uns, dass es wieder losgeht.“
*Helge Adolphsen war von 1987 bis 2005 Hauptpastor des Hamburger Michel. Er lebt in Hausbruch im Süden der Elbe.