Hamburg. Der Chef von Hamburgs größtem Bestatter GBI kam als Quereinsteiger in diesen Job. Seine Mission: die bedrohte Trauerkultur retten.

Volker Wittenburg (47) schüttelt höflich, aber bestimmt den Kopf. Nein, ein Foto zu machen auf dem gegenüberliegenden Ohlsdorfer Friedhof hält er für keine gute Idee. Und in der Ausstellung zwischen den Särgen? „Bitte nicht“, sagt Wittenburg, das entspräche viel zu sehr dem Klischee vom Bestatter. Schwarzer Anzug, schwarze Krawatte, ernste Miene. „Dabei wird auch in unserem Beruf viel gelacht“, sagt Wittenburg, Dreitagebart, grauer Anzug, dezent gemusterte graue Krawatte. Das Foto entsteht schließlich im Vorraum der Trauerhalle, hell, dezent möbliert.

Das passt. Denn Wittenburg, seit Juni 2018 Chef des Großhamburger Bestattungsinstituts (GBI), kommt nicht aus einer klassischen Bestatter-Familie, wo häufig das Geschäft von Generation zu Generation vererbt wird. Wittenburg, aufgewachsen in Norderstedt, absolvierte nach dem Abitur eine Ausbildung zum Speditionskaufmann bei einem Hamburger Konzern, machte dann in dieser Branche Karriere mit Vertriebs- und Führungsjobs im In- und Ausland, etwa in den Arabischen Emiraten. Berufsbegleitend studierte er Betriebswirtschaft, wechselte schließlich in Top-Jobs im Baunebengewerbe, zuletzt als Niederlassungsleiter eines großen süddeutschen Industrieunternehmens für Gebäudetechnik in der Hansestadt.

Wittenburg hat drei Jobs

Wieso wird einer wie er Chef des größten Bestattungsunternehmens der Metropolregion? Es gibt zwei Antworten auf diese Frage. Die erste ist privater Natur. Der Familienvater – die Söhne sind 25 und 15 Jahre alt – war in seinem Job als Niederlassungsleiter sehr viel unterwegs: „Ich wollte wieder mehr daheim sein.“ Die zweite ist beruflich: „Die Aufgabe, ein Hamburger Traditionsunternehmen wie das GBI mit den verschiedenen Unternehmenssparten und Marken in die Zukunft zu führen, hat mich sehr gereizt.“

Nun gehört eine solcher Satz zum Standardrepertoire von Managern, die sich beruflich anderweitig orientieren. Doch wer sich intensiv mit Wittenburg unterhält, spürt, wie sehr ihn die Faszination seiner neuen Aufgabe gepackt hat.

Genau genommen sind es sogar drei Jobs. Dafür hat er auch unterschiedliche Visitenkarten, die ihn als Geschäftsführer des GBI, der Goetz Dekorationsgesellschaft („Individuelle Trauer- und Eventfloristik“) sowie des Unternehmens Fairmietung ausweisen. Auf allen drei Karten ist das GBI-Logo zu sehen. Nun bringt man Blumenschmuck und Begräbnis ja noch zusammen. Aber wie passt ein Immobilienunternehmen in das Portfolio eines Bestattungsinstituts?

Angehörige entlasten

Dafür sollte man wissen, dass das GBI gar nicht als klassisches Unternehmen firmiert, sondern als rechtsfähiger Verein, gegründet vor fast 100 Jahren von Gewerkschaften, der AOK und einem Konsumverein. Dahinter stand die Idee, allen Hamburgern „eine sozialadäquate Bestattung“ zu ermöglichen, eine Beerdigung in Würde, zu bezahlbaren Preisen. Ein Grundsatz lautete: „Jeder Verstorbene hat das Anrecht auf einen ordentlichen Sarg.“

Seitdem hat das GBI – „Großhamburger“ hat übrigens nichts mit dem Größenwahn der Nazi-Zeit zu tun, sondern sollte nur Gebiete wie Altona einschließen, die damals nicht zur Hansestadt gehörten – Kriege, Krisen und Kulturwandel überlebt. Geblieben ist das Ziel, sozial zu handeln, als Verein ist das GBI keinem Kapitalgeber verpflichtet.

Und genau hier kommt die Immobiliensparte ins Spiel. Denn Wittenburg bietet mit seinen 100 Mitarbeitern eine sogenannte Bestattungsvorsorge an. Wer mag, kann schon in jungen Jahren seine Beerdigung in allen Details durchplanen – von Sarg oder Urne über den Blumenschmuck bis zur Trauermusik – und gleich bezahlen, um die Angehörigen zu entlasten, „Mit Ausnahme der Friedhofsgebühren garantieren wir diesen Preis, möglicherweise über Jahrzehnte. Dies bedeutet aber auch, dass wir diese Kundengelder mit einer ausreichenden Rendite anlegen müssen“, sagt Wittenburg. Etwa 100 Wohnungen vermietet GBI zu – wie der Name schon sagt – fairen Konditionen, jetzt wagt man sich auch in den Neubau. Wittenburg kann hier seine Expertise ausspielen.

Ungewöhnlicher Job-Einstieg

Aber natürlich liegt sein Fokus auf dem Kerngeschäft, also den Bestattungen. Wittenburg entschied sich für einen ungewöhnlichen Job-Einstieg: Der neue Chef packte in den ersten Tagen in jedem Bereich mit an. Er wusch Verstorbene, schnitt ihnen die Fingernägel, rasierte sie – Bestatter nennen diesen letzten Dienst an einem Menschen die hygienische Versorgung. Er war bei Beratungsgesprächen mit trauernden Angehörigen dabei, besuchte auch das Krematorium. Positiver Nebeneffekt der Chef-Lehre: Wittenburg hatte sofort große Akzeptanz bei seinen Kollegen, alles andere als selbstverständlich für einen Branchenfremden, der ganz oben einsteigt.

„Ich gehe an diese Aufgabe nach wie vor mit großer Demut“, sagt Volker Wittenburg. Die Werte aus fast 100 Jahren Tradition einer Hamburger Institution will er verteidigen. Sozial denken, da sein für die Kolleginnen und Kollegen. Beim GBI können Mitarbeiter, die Tag für Tag zu Familien gerufen werden, deren Welt gerade stillzustehen scheint, mit einer Psychologin über ihre Belastungen sprechen. GBI zahlt das Honorar, die Gespräche sind absolut vertraulich.

Angehörige können sich in Trauergruppen treffen, die Kosten übernimmt das Institut. Seit Jahrzehnten unterstützt der Verein zudem soziale Projekte wie die Obdachlosen-Initiative Hinz&Kunzt oder den Wünschewagen, der Schwerstkranke in umgebauten Krankenfahrzeugen noch einmal zu einem vertrauten Ziel fährt.

„Die Trauerkultur leidet dramatisch“

Wer die Fuhlsbüttler Straße am Friedhof entlanggeht, ahnt, dass die Zeiten für solche Engagements nicht einfacher werden. Direkt an der S-Bahn-Station wirbt Hamburgs „erster Sarg-Discounter“ für besonders preisgünstige Bestattungen. Mit dem Tod endet ein Leben – und beginnt ein Geschäft.

Auch Wittenburg spürt den Preiskampf. Jede zweite Bestattung findet inzwischen ohne Trauerfeier statt – in der Regel, um Kosten zu sparen. Abseits aller wirtschaftlichen Denke für das eigene Geschäft hält Wittenburg dies für eine fatale Entwicklung: „Die Trauerkultur leidet dramatisch.“ Zum Trauerprozess gehöre das Abschiednehmen in Würde. Wie dies dann gestaltet werde, sei eine sehr persönliche Angelegenheit. „Wir hatten neulich eine Feier, wo am Ende mit Champagner angestoßen wurde.“ Für eine Verstorbene, die guten Kaffee so liebte, organisierte das GBI eigens einen Barista, der zur Trauerfeier Kaffee-Spezialitäten servierte.

Fatal findet Wittenburg den Trend zu anonymen Bestattungen, oft genug habe dies der Verstorbene in der letzten Phase seines Lebens so entschieden, um der Familie Kosten für die Grabpflege zu ersparen. Den Preis hält Wittenburg für viel zu hoch: „Trauer braucht einen konkreten Ort.“ Wittenburg hat erlebt, dass Familien diese Entscheidung später bitter bereut haben. Schließlich gebe es sehr wohl preisgünstige Alternativen zur anonymen Bestattung.

Er wurde schon früh mit dem Tod konfrontiert

Wittenburg spricht von einer „Mission für die Trauerkultur“. Dazu gehöre auch, dass man den Tod nicht tabuisiere, sondern rechtzeitig in der Familie über das Thema spreche. Denn nach wie vor erleben seine Berater, dass Angehörige nicht einmal wissen, ob sich der Verstorben eine Erd- oder eine Feuerbestattung gewünscht habe. Auch deshalb sei die Bestattungsvorsorge wichtig: „Ein solches Gespräch findet in einer sehr entspannten, manchmal sogar fröhlichen Atmosphäre statt.“

Bleibt die Frage, wie man das aushält – den täglichen Umgang mit dem Tod. Das Leid von Eltern, die um ein Kind trauern. Die Trauer eines jungen Familienvaters, der um seine an Krebs gestorbene Frau weint.

Geholfen habe ihm, sagt Wittenburg, dass er mit dem Tod schon in jungen Jahren häufig konfrontiert wurde. Als Student und später im Nebenjob war er Rettungsassistent. „Ich habe den Tod in all seinen Facetten gesehen“, sagt er. Noch mehr als schreckliche Unfälle haben ihn die stillen Momente in dieser Zeit beschäftigt. „Wenn der alte Mann sich noch einmal an das Bett seiner verstorbenen Ehefrau gesetzt hat, um ihre Hand zu halten. Und um ihr dann zu sagen, wie glücklich er mit ihr war.“

Jetzt studiert er manchmal die Geburtsdaten der Menschen, die sein Unternehmen bestattet. Mitunter waren sie nur wenig älter oder gar jünger als er. „Es macht mir immer wieder deutlich, dass man im Jetzt leben sollte. Und nicht nur für die Zeit des wohlverdienten Ruhestands planen. Uns allen hier ist bewusst, wie schnell alles vorbei sein kann.“

Nächste Woche: Ludmila Brendel, Chefin des Alstertal Einkaufszentrums