Lüneburg/Göttingen. Viele Menschen sterben ohne Angehörige. Es gibt niemanden, der sie bestattet. Was passiert mit ihnen? Eine Gruppe von Männern hat eine Antwort

Jedes Jahr sterben Menschen ohne engste Angehörige. Vielerorts werden sie deshalb vom Ordnungsamt bestattet – oft ganz ohne Zeremonie und anonym. Einer Gruppe von christlichen Männern hielt das vor über zehn Jahren für unwürdig. Seitdem setzen die Mitglieder der Tobiasbruderschaft Menschen bei, die keine Familie mehr haben.

„Wir wollten Verantwortung übernehmen“, berichtet Harald Storz. Der ehemalige Pastor der Göttinger Jacobi-Gemeinde hatte zusammen mit Pastor Martin Hauschild von der Albani-Gemeinde die Idee für die Bruderschaft. Beide haben in der Vergangenheit Bestattungen von Menschen mit wenig Geld oder ohne Angehörige erlebt oder begleitet. Vor allem die sogenannten ordnungsbehördlichen Bestattungen von Menschen ohne engste familiäre Angehörige empfanden sie als würdelos. „Da werden die Urnen einfach von Friedhofsmitarbeitern verbuddelt“, sagte Storz.

Nur christliche Männer dürfen sich anschließen

Und: „Es ist tragisch, wenn ein Mensch ohne familiäre Angehörige stirbt.“ Im Februar 2009 gründeten daraufhin zwölf Männer die Bruderschaft. Nur christliche Männer dürfen sich anschließen. „Die meisten sozialen Aufgaben werden von Frauen übernommen – in Kitas, Altenheimen oder Hospizen“, sagt Storz. Männern sei oft beigebracht worden, dass sie solche Aufgaben nicht übernehmen können. „Aber das können sie auch. Deswegen habe wir eine Bruderschaft gegründet um explizit Männer anzusprechen.“

Neu ist die Idee von Bestattungsgemeinschaften nicht. „Schon im Matthäus-Evangelium ist davon die Rede“, sagt der stellvertretende Leiter des Sepukralmuseums Kassel, Gerold Eppler. An dem Museum wird unter anderem zu Trauer- und Bestattungsbrauchtümer geforscht. „Damals übernahmen Zünfte und Gilden die Beisetzungen von Menschen ohne Angehörige“, erklärt Eppler.

Im 19. Jahrhundert wurde die Aufgabe durch das preußische Landrecht Kommunen und Kirchen zugeteilt. Dort wo es keine Initiativen wie die Bruderschaft gibt, übernehmen heutzutage Ordnungsämter diese Aufgabe. Weil es günstig ist, werden die Verstorbenen meist eingeäschert, sagt der stellvertretende Museumsleiter. „Es gibt aber Religionen, in denen Feuerbestattungen nicht vorgesehen sind. Darauf sollte geachtet werden.“

„Wir wissen meist nichts über die Toten“

In Göttingen finden vier Mal im Jahr Gemeinschaftsbestattungen statt. Jeweils um 10 Uhr beginnen die Bestattungen mit einem Trauergottesdienst. Aktuelle und ehemalige Pastoren unter den 50 Tobiasbrüdern halten eine Predigt und verlesen die Namen der Verstorbenen. „Wir wissen meist nichts über die Toten“, sagt Bruderschaftsmitbegründer Storz. In seinen Trauerreden bleibe er deshalb vage und versuche, mit Fragen Erinnerungen bei den Trauernden zu wecken: „Mit welchen Hoffnungen haben ihre Eltern sie in das Leben geschickt? War er wohl erfolgreich in der Schule oder wurde er abgehängt?“

Die Urnen stehen währenddessen mit Namensschildern auf einem Podest. Vor ihnen entzündet die Trauergemeinde Kerzen. Neben den Tobiasbrüdern kommen oft auch Freunde und Bekannte der Verstorbenen. Im Schnitt kämen 50 bis 70 Gäste, sagt Bruderschaftsmitglied Gerhard von Hugo. „Viele Menschen, die ohne familiäre Angehörige sterben, die für ihre Bestattung verantwortlich wären, haben nicht komplett einsam gelebt“. Eine Woche vor der Beerdigung veröffentlicht ein Tageblatt die Namen der Toten kostenlos in einer Traueranzeige.

Auch in Lüneburg und Uelzen fest organisierte Gemeinschaften

Im vergangenen Jahr wurden in Göttingen nach Angaben der Stadt 784 Menschen auf den vier städtischen Friedhöfen beigesetzt. Die Meisten von Ihnen in einer Urne. In der Stadt gab es demnach zuletzt in jedem Jahr 90 bis 100 ordnungsbehördliche Bestattungen, von denen die Tobiasbruderschaft die Meisten übernommen hat. Bei ihren ersten Trauerfeiern sei die Zahl noch einstellig gewesen, sagt Tobiasbruder Storz. Die Evangelische Landeskirche befürchtet, dass die Zahl weiter steigen wird.

Neben Göttingen gibt es in Niedersachsen laut der Landeskirche auch in Lüneburg und Uelzen fest organisierte Gemeinschaften, die Menschen ohne Angehörige beisetzen. In vielen weiteren Städten wie etwa Hannover gebe es kleinere Initiativen. Die Landeskirche begrüßt solche Einrichtungen: „Als evangelische Kirche ist es für uns wichtig, dass kein Mensch anonym bestattet wird“, sagt ein Sprecher.

Die Trauerfeier dauert in Göttingen für gewöhnlich eine Dreiviertelstunde. Im Anschluss werden die Urnen der verstorbenen zur Grabstelle gefahren. Dort werden sie gesegnet und in einem Gemeinschaftsgrab beigesetzt. Eine Grube teilen sich höchstens 16 Menschen. Auf Granitstelen an den Grabstellen stehen die Namen der Verstorbenen. Die Angehörigen können hier noch einmal ganz individuell Abschied nehmen. „Viele werfen Blumen oder Erde in das Grab, andere singen“, sagt Tobiasbruder von Hugo.

Tobiasbruderschaft ist ehrenamtlich organisiert

Die Art der Bestattung hat vor allem einen praktischen Hintergrund: Sie ist so am günstigsten. Die Tobiasbruderschaft ist ehrenamtlich organisiert. Getragen wird sie von den evangelischen Gemeinden. Für die Kosten der Bestattungen kommt sie nicht auf. So stelle etwa die Stadt die Kapelle kostenlos zur Verfügung und für die Einäscherung käme das Ordnungsamt auf, sagt von Hugo.

Die Religionszugehörigkeit der Toten spielt für die Tobiasbruderschaft keine Rolle. „Wir fragen nicht nach dem Glauben“, sagt Storz. Die Verstorbenen kämen aus allen Alters- und Sozialschichten. „Scheinbar leben immer Menschen alleine ohne engste familiäre Angehörige“, sagt der ehemalige Pfarrer. Dafür, dass die nicht alleine beigesetzt werden, sorgt die Tobiasbruderschaft.