Harburg. Das Stellwerk erinnert am Wochenende an eine blühende Musikszene, die echte Szenegrößen anlockte. Mehrere Urgesteine spielen live.

Die 80er Jahre des letzten Jahrhunderts: Eine Zeit des Auf- und Umbruchs. Rebellion, Freiheit! Nicht nur auf St. Pauli und in der Hamburger City, sondern auch in Harburg, Wilhelmsburg und im Landkreis gibt es damals eine erstaunlich florierende Musikszene. Junge Rockbands mischen den Süderelbe-Raum mit innovativer Musik auf – in Clubs wie dem Rieckhof, dem FZ Nöldekestraße, FZ Feuerteich, dem Prellbock oder der Honigfabrik. Nun kommen einige der Musiker vom damals im Stellwerk im Harburger Bahnhof für eine rauschende musikalische Festival-Party wieder zusammen. Und zwar schon am Sonnabend, 25. November.

So mancher wird sich an ihre Namen erinnern: Lorenz Ritter, Janny Nickel, Alexander Wladikas, Mathias Bernhold, Kerstin Wolf und Jens Böttcher gehören zu den bekanntesten Harburger Alternative-Rock-Urgesteinen – und sie wollen es an diesem Abend im Stellwerk noch mal richtig krachen lassen.

Die Lust, Erinnerungen an die alten Zeiten wach zu rufen, ist bei allen Beteiligten spürbar

Reine Nostalgie? Keineswegs, denn sie alle sind der kunstvoll-ungekünstelten Musik in den vergangenen Jahrzehnten treu geblieben und stellen ihre aktuellen Projekte vor. Die Lust, noch einmal in Harburg zu spielen und Erinnerungen an die alten Zeiten wach zu rufen, ist allerdings bei allen Beteiligten spürbar.

„Es ist etwas sehr Besonderes für uns alle, hier wieder aufzutreten, es fühlt sich ein bisschen an, als würden wir uns eine Zeitmaschine setzen“, erklärt Jens Böttcher, der 1987 mit seiner Band K.O.Alition seinen ersten Plattenvertrag ergatterte, bis heute als Solokünstler und Schriftsteller unterwegs ist und für sein letztes Album „Haben oder Sein“ mit dem Preis der deutschen Schallplattenkritik belohnt wurde.

Stellwerk ist der perfekte Ort, weil es als Club den Geist der Indie-Szene wach hält

Eine Original-Eintrittskarte des „Toten Hosen“-Konzertes in Harburg.
Eine Original-Eintrittskarte des „Toten Hosen“-Konzertes in Harburg. © HA | HA

„Wir alle haben hier als Jugendliche angefangen, uns den Künsten zu widmen, uns kreativ auszudrücken. Und wir alle haben im Laufe der Zeit dann auch gemeinsam musiziert, in den unterschiedlichsten Bands und Konstellationen. Irgendwie führten unsere Wege immer wieder zusammen. So kamen wir auf die Idee für ein gemeinsames Konzert. Nun hoffen wir, dass viele Interessierte und Weggefährten von damals Lust haben, gemeinsam mit uns zu feiern. Das Stellwerk ist dafür der perfekte Ort, weil es als Club den Geist der Indie-Szene wach hält. Früher gab es deutlich mehr Auftrittsmöglichkeiten für junge Bands.“

Als „Blanker Hohn“ vor den Toten Hosen im Freizeitzentrum spielten

Lorenz Ritter, Gründungsmitglied der Harburger Kult-Punkband „Blanker Hohn“ und später Kopf des Darkpop-Projektes „Ten Mad Mongers“, ergänzt: „Mich hat damals das FZ Nöldekestraße nachhaltig beeindruckt, weil es in Harburg wirklich das Zentrum neuer zeitgemäßer Musik war. Bots haben da gespielt und Der Moderne Mann. Und die Toten Hosen – wir bestritten damals mit Blanker Hohn das Vorprogramm. Das FZ war das Epizentrum der Harburger Musikszene, ließ aber immer auch Platz für lokalen Unsinn: Igor & Clark, Pommi Van Strings, Ducktails, Rote Zora, Elektro- und Punkfestivals, da ging alles. Irgendwann hat das die Rote Mühle übernommen, von den legendären Musikerstammtischen mit offener Bühne bis zu Punk- und Blues-Abenden. Die Rote Mühle war das musikalische Herz Harburgs, das jahrelang nicht mehr schlug, bis das Stellwerk in seiner heutigen Form seine Türen öffnete.“

Jello Biafra, Frotmann der legendären Dead Kennedys. Sie traten in der Friedrich-Ebert-Halle auf. Wer dabei war, wird den Abend nie vergessen.
Jello Biafra, Frotmann der legendären Dead Kennedys. Sie traten in der Friedrich-Ebert-Halle auf. Wer dabei war, wird den Abend nie vergessen. © imago stock&people | imago stock

Für viele Bands und Musiker wurde die Harburger Szene der achtziger Jahre mit ihren Rockband-Battles, Auftrittsmöglichkeiten und Inspirationsquellen so zum Ausgangspunkt bleibender Leidenschaft für Kreativität und musikalisches Schaffen. „Es ist ganz lustig, sich daran zu erinnern“, sagt Jens Böttcher. „Sogar die Ärzte spielten damals im Rieckhof. Das kann man sich heute nur noch schwer vorstellen.

Die Dead Kennedys brachten den Punk in die Ebert-Halle
Die Dead Kennedys brachten den Punk in die Ebert-Halle © HA | HA

Spätestens in den Neunzigern verlagerte sich das Geschehen dann für uns alle mehr nach Hamburg oder in andere Großstädte. Aber es blieb auch danach spannend und es gab immer tolle Bands und Projekte, die sich einen bleibenden Namen gemacht haben, spontan fallen mir Clowns & Helden ein, dann Wolfsheim aus Wilhelmsburg, sogar einige Bandmitglieder der international erfolgreichen Metalband Helloween kamen aus Harburg.“

Harburger Lokalmatadoren Blanker Hohn gehen seit einigen Jahren wieder auf Tour

Und was wurde aus den eigenen Projekten von damals? Vom Winde verweht? „Ja, klar, die meisten Bands gibt es längst nicht mehr“, sagt Böttcher, „allerdings wird immer wieder mal eine reformiert, so sind etwa Blanker Hohn seit einigen Jahren wieder da und gehen sogar auf Tour. Ich selbst habe nach dem Ende der K.O.Alition verschiedene Bandprojekte gehabt und bin schließlich jahrelang solo unterwegs gewesen. Janny Nickel hat sowieso in tausend Bands gespielt und Kerstin Wolf hauptsächlich als Mitveranstalterin der legendären Lübbersweg-Keller-Live-Parties in Eißendorf geglänzt. Jetzt erklimmt sie mit ihrem Postpop-Projekt „Dark Wednesday Club“ die Bühne, worauf wir alle uns sehr freuen. Lorenz und Janny kommen zusammen als „Youth of Altona“ in Stellwerk und ich freue mich auf das Programm mit meiner ebenfalls reformierten Alternative-Rockband „Böttcher“.

In Anbetracht ihrer langen gemeinsamen Harburger Historie und in Verballhornung eines Gruselfilmklassikers haben die Musiker für den Abend das Motto „Night of the living Deaf“ ausgerufen – wobei jetzt schon klar ist, dass die Musik nicht lustig, sondern eher wuchtig und mitreißend sein wird. Und wahrscheinlich ziemlich laut. Oder, wie Jens Böttcher es ausdrückt: „Wo auch immer du herkommst, ob aus Harburg, New York oder Lüdenscheid: Lang lebe der ungehobelte, handgemachte, gänzlich KI-freie Rock‘n Roll!“

NIGHT OF THE LIVING DEAF – DAS FESTIVAL DER HARBURGER ROCKLEGENDEN – Der Eintritt beträgt 15€ an der Abendkasse, Konzertbeginn ist um 20.00 Uhr.

Es spielen YOUTH OF ALTONA (Punkrock/WIPERS-Cover)), DARK WEDNESDAY CLUB (dunkler Post-Punk-Pop) und BÖTTCHER (Alternative-Rock).