Kiel (dpa/lno). Abkehr vom strikten Fördern und Fordern: Mit dem Bürgergeld geht auch ein Sinneswandel in der Arbeitsmarktpolitik einher. Jobcenter investieren verstärkt in die Aus- und Weiterbildung, sagt Arbeitsagentur-Chef Biercher. Das lohnt sich für Langzeitarbeitslose auch finanziell.
Im Kampf gegen den Fachkräftemangel setzen die Jobcenter im Norden künftig verstärkt auf Bildungsangebote. „Für die berufliche Weiterbildung stehen den Jobcentern in Schleswig-Holstein in diesem Jahr 123 Millionen Euro zur Verfügung, darunter auch Zuschüsse an Arbeitgeber“, sagte der Regionalchef der Arbeitsagentur, Markus Biercher, der Deutschen Presse-Agentur. „Ein-Euro-Jobs werden immer weniger, die Jobberater investieren verstärkt in die Aus- und Weiterbildung arbeitsloser Menschen.“
„Wir wollen den Menschen Mut machen, das ist der Geist des Bürgergeldes“, sagte Biercher. Mit der zweiten Stufe der Bürgergeld-Reform zum 1. Juli gebe es zusätzliche Möglichkeiten für Bildung und Weiterbildung. Die Sorge vieler Menschen, im Falle einer Arbeitslosigkeit jeden Job machen zu müssen und bei einer Ablehnung sanktioniert zu werden, sei aber ohnehin unbegründet gewesen.
„In der Realität hatten wir Sanktionsquoten von zwei bis drei Prozent“, erläuterte Biercher. Meist seien diese verhängt worden, wenn Menschen nicht zu Beratungsgesprächen erschienen seien. „Das wurde in der Diskussion emotional überhöht.“ Der Vorrang der Vermittlung in Jobs aus Zeiten von Massenarbeitslosigkeit und Hartz IV gehöre der Vergangenheit an.
Im Januar bezogen in Schleswig-Holstein rund 193.000 Menschen Bürgergeld, darunter 55.900 Kinder und 31.700 Beschäftigte, deren Löhne alleine nicht reichten. Die Zahl der arbeitslosen Bürgergeldempfänger ohne Berufsabschluss lag bei 39.800. Schätzungsweise zehn Prozent von ihnen ließen sich mit der notwendigen Unterstützung zu Fachkräften weiterbilden, sagte Biercher. „Neu sind ab Juli Weiterbildungsprämien von 150 Euro im Monat zusätzlich.“ Das soll den Anreiz erhöhen, auch im fortgeschrittenen Alter eine Ausbildung zu beginnen. „Ein 30-Jähriger hat bislang im Zweifelsfall gesagt, er schaffe es finanziell nicht, zwei Jahre nur mit Arbeitslosengeld II die Lehre durchzuhalten.“
Geförderte Umschulungen müssen künftig nicht mehr von drei auf zwei Jahren verkürzt werden. „Denn viele Menschen tun sich schwer mit einer verkürzten Ausbildung, wenn sie bereits längere Zeit aus der Schule raus sind“, sagte Biercher. Das koste Geld, sei aber eine Investition in die Nachhaltigkeit. „Viele Menschen haben zum Beispiel Vorbehalte und Ängste, wenn sie mit mehr als 30 Jahren wieder eine Berufsschule besuchen sollen.“ Denn wer längere Zeit ohne festen Job sei und keinen Berufsabschluss besitze, habe häufig Misserfolge erlebt und deshalb weniger Selbstvertrauen.