Heimfeld. Harburger radelt 3205 Kilometer zum Nordkap. Es gab großartige Eindrücke und eine Panne. Hubert aus Berlin wird zum rettenden Engel.
„Ich träumte schon als Jugendlicher davon, mit dem Fahrrad zum Nordkap zu fahren“, sagt der Harburger Walther M. Gerdts. Am 28. Juni stieg der 61-jährige alleinerziehende Vater in Heimfeld auf sein speziell zusammengestelltes Fahrrad „Made in Harburg“ und strampelte viele Wochen nordwärts. Zwei Monate später kam er zurück, mit großartigen Erinnerungen im Gepäck, die ihm keiner nehmen kann.
Gerdts hat schon häufiger Fernreisen per Fahrrad unternommen. Als Student radelte der diplomierte Volkswirt von Hamburg an die Riviera; später von Hamburg nach Tallin (Estland, 2001) und nach Konstanza am Schwarzen Meer (Rumänien, 2002), von Heidelberg nach Barcelona (2017) und von Hamburg nach Verona (2021). „Aber noch nie war ich so lange und so weit unterwegs. Dabei habe ich sechs Kilo abgenommen“, sagt der Heimfelder, der in seiner Freizeit strategische Brettspiele entwickelt und auch damit viel Erfolg hat. Sein bekanntestes Spiel, Concordia, ist inzwischen in viele Sprachen übersetzt worden.
Bildergalerie: Eindrücke von der Extrem-Tour – zum Durchklicken
3000 Kilometer: Die schönsten Bilder von Norwegens Küste
Reise durch Norwegen: Heimfeld liegt mehr als 3000 Fahrrad-Kilometer vom Nordkap entfernt
Beruflich arbeitet Gerdts in der Wirtschaftsbehörde, war bis zum Start eines Sabbatjahres dort viele Jahre für den Bereich Messe und Kongress zuständig. Im Juni begann die Auszeit. Das wichtigste Ereignis kam gleich zum Start: eine Fahrradtour, die mehr ist als eine Passion: eine mentale und körperliche Erkundung der eigenen Leistungsgrenzen. Mit 25 Kilogramm Gepäck und ohne unterstützenden E-Motor.
Trainiert habe er für die Reise nicht, sagt Gerdts – „die Fitness kommt beim Fahren“. Von Harburg führt seine Tour zunächst die dänische Westküste hinauf, begleitet von schlechtem Wetter. Er habe anfänglich einige Krämpfe bekommen, aber das habe sich gelegt, erzählt er. Trotz Regens bleibt das Leichtzelt trocken – Gerdts sucht sich einfache Übernachtungszimmer.
Von Oslo durch das norwegische Bergland an die Küste
In Frederikshavn geht es auf die Fähre nach Oslo und von dort aus durch das norwegische Bergland nordwärts Richtung Trondheim. „Auf der Strecke stehen mit rund 2000 Metern die höchsten Berge Norwegens. Das entspricht klimatisch 3000 Meter hohen Alpengipfeln“, sagt der Fernradfahrer. „Ich bin dort mehrfach im Winter Ski gelaufen und wollte mir die Landschaft mal im Sommer anschauen.“ Mehrfach steigt er vom Rad und besteigt Berge.
Von Trondheim geht es die Küstenstraße entlang weiter gen Norden. Mal stört schlechtes Wetter die Fahrt, mal begleitet Sonne den Extremsportler. Rund 500 Kilometer fährt er pro Woche und hat den Vorteil der hellen Nächte, die ihn bis in den Abend hinein unterwegs sein lassen, bevor er sein Zelt aufschlägt. „Wenn ich morgens losfuhr, wusste ich nicht, wo ich abends bin“, sagt er.
Norwegische Küste: Mehr im Landesinneren sind viele Wohnmobile unterwegs
Gerdts wählt die Küstenstraße, nicht die Europastraße weiter im Landesinneren. „Da sind die Wohnmobile unterwegs. Die Küstenstraße ist langsamer und macht Inselhopping, verbindet mit Fähren mehrere vorgelagerte Inseln. Die Strecke ist nicht die schnellste, aber die schönste.“ Nach 2000 Kilometer passiert er den Polarkreis. In Bodø nimmt er die Fähre auf die Lofoten. „Sie sind ein touristischer Hotspot, plötzlich wurde ich dauernd von Wohnmobilen überholt. Und ich hatte Schwierigkeiten, auf den Campingplätzen einen schönen Platz zu finden.“
Die Lofoten wurden zum Wechselbad der Gefühle. Walther Gerdts genießt dort traumhaft schöne Landschaften und Sommerwetter mit 20, 22 Grad: „Ich habe bei 14 Grad im Atlantik gebadet“, sagt er. „Und als ich die Wettervorhersagen nach Harburg postete, kam Neid auf. Dort herrschten gerade 17 Grad und Regen.“ , Aber er erleidet hier auch seinen schwersten Sturz auf der Tour. Mit Schürfwunden an Beinen und Händen, die zum Teil verbunden werden mussten. Er habe die Zähne zusammengebissen und sei weitergefahren, sagt er rückblickend.
Auf der nächsten Inselgruppe – Vesteralen – habe er Walfleisch probiert. Es schmecke „interessant, etwas fettig, tranig“. Rentierfleisch sei viel schmackhafter. Nach weiteren Fähr- und Inselfahrten erreicht Gerdts schließlich Tromsö. „Von dort sind es noch 550 Kilometer bis zum Nordkap. Viele Leute fliegen bis hier, setzen sich dann auf das Rad und sagen, sie seien zum Nordkap gefahren.“ Er hat jetzt fast 2500 Kilometer auf dem Tacho.
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Nördlich von Tromsö wird die Landschaft karger. Immer wieder trifft Gerdts andere Langstreckenradler, kommt mit ihnen in Kontakt, fährt ein Stück der Strecke gemeinsam. Die wichtigste Begegnung liegt noch vor ihm: 47 Kilometer vor dem Nordkap reißt ihm der Bautenzug seiner 14-Gang-Nabenschaltung. „Die allein hat 1000 Euro gekostet. Sie wurde mir empfohlen, weil sie robust und wenig störanfällig sei“, sagt der Heimfelder.
Vor ihm befindet sich der 6870 Meter lange Nordkaptunnel, dessen tiefster Punkt 212 Meter unter dem Meer liegt. Ohne Gangschaltung geht es zunächst mit neun Prozent Gefälle hinab bis zum fünf Grad kalten Tiefpunkt. Anschließend rund drei Kilometer schiebend die Tunnelröhre hinauf. Wieder im Tageslicht, ist dann die Stimmung auf dem Tiefpunkt, die mentale Kraft am Ende. „Kann es sein, dass ich so kurz vor dem Ziel aufgeben muss“, fragt sich Gerdts. Dann kommt der rettende Engel: Hubert aus Berlin.
Hubert ist ebenfalls auf dem Fahrrad unterwegs und Gewerbeschullehrer für Zweiradtechnik. Ein Radler aus Litauen gibt seinen Reserve-Bautenzug ab, Wohnmobilisten aus Altötting stellen ihren Werkzeugkasten zur Verfügung. Dank Huberts Technikwissen ist das Rad sehr bald wieder fahrbereit. Und das alles an einem Tag, an dem Gerdts ein Pensum von 125 Kilometer zurücklegt, um noch bei Sonnenschein am Nordkap anzukommen. Die Wetterberichte kündigen schlechtes Wetter an.
Bei strahlendem Sonnenschein steht Walther M. Gerdts am Nordkap
Nach 3205 Kilometer ist es geschafft: Der Heimfelder steht am Nordkap-Globus, dem Wahrzeichen des nördlichsten per Straße erreichbaren Punkt Europas. Auch andere Europäer haben diesen magischen Ort erreicht. Meist per Bus. Eine Gruppe Italiener lässt den sportlichen Radfahrer vor und applaudiert, nachdem sie gehört hat, dass er per Fahrrad aus Hamburg angereist ist.
Statt Feierlichkeiten gibt es eine kurze Nacht auf nacktem Fels, auf dem weitere Radfahrer campen. Mitten in der Nacht zieht Sturm auf. Unter Mühe birgt Gerdts sein Zelt und hilft anderen beim Einpacken. Am nächsten Morgen geht es weiter, zunächst per Fähre nach Kirkenes und dann Richtung finnisch-russischer Grenze.
Becky aus Portugal hat 7600 Kilometer auf dem Einrad zurückgelegt
Walther trifft Kerstin, die in Bergen (Südnorwegen) gestartet war, und fährt mit ihr durch die Finnmark und Lappland – 170 Kilometer nur Wälder, Seen und Rentiere. Die beiden treffen Becky aus Portugal, die 7600 Kilometer auf einem Einrad zurückgelegt hat. Mit Reiserucksack. In Oulu an der Ostsee (Bottnischer Meerbusen) angekommen, beschließt der tapfere Radler, die 700 Kilometer bis Helsinki per Bahn zurückzulegen. Von dort geht es mit der Finnjet-Fähre nach Travemünde.
Von Norwegen zurück in Heimfeld: Er fährt nur noch Fahrrad, um Freunde zu besuchen
Am 28. August ist Walther Gerdts wieder in Heimfeld angekommen. Sein Trenga-Rad hat nun 4297 Kilometer auf dem Tacho. Seine Bilanz: Zwei Stürze, eine Panne, aber keinen Platten. Zweimal einen Elch gesehen. Und Hunderte von Eindrücken im Kopf.
Sein 17-jähriger Sohn sei viel selbstständiger geworden, sagt der Vater; die Mutter wohne auch in Heimfeld und habe öfter nach ihm geschaut. Das Fahrrad hat Gerdts seitdem nur noch genutzt, um Freunde zu besuchen. Pläne für eine neue Reise hat er noch nicht. Er ist gerade auf der Spielemesse in Essen und präsentiert die neueste Version seines erfolgreichsten Spiels: „Concordia Roma“. Im November geht es nach Berlin, zu einem Treffen mit Kerstin und Hubert.