Bergen/Longyearbyen (dpa/tmn). Vor 130 Jahren fuhren die ersten Postschiffe der Hurtigruten die norwegische Küste entlang. Heute cruisen Passagierschiffe bis nach Spitzbergen. Eindrücke von Bord der renovierten „MS Trollfjord“.

Später Vormittag ist es an Bord der „MS Trollfjord“, als das Signal für die Durchsagen ertönt: „Land in Sicht!“. Land in Sicht, nach rund 523 nautischen Meilen, knapp 970 Kilometern. Das ist die Entfernung zwischen Honningsvåg und Longyearbyen, zwischen Nordkap und Spitzbergen.

Eineinhalb Tage dauert die letzte große Etappe auf der Spitzbergenlinie der norwegischen Reederei Hurtigruten, die seit Sommer 2023 wieder auf der Arktisroute von Bergen nach Svalbard fährt, wie die Inselgruppe im Nordpolarmeer im Norwegischen genannt wird. Zu Deutsch: Kühle Küste. Die Verbindung war in den 1980er Jahren eingestellt worden.

Knapp 3000 Kilometer sind das, immer zwischen Festland und Inseln - und entschleunigend ist diese Reise. Zwar lassen sich Handy und Laptop vernetzen, das Funknetz an Bord des etwa 135 Meter langen Schiffs für 500 Reisende ist stabil. Doch der Anreiz, in virtuellen Welten zu wandeln, erscheint lächerlich. Draußen ziehen unwirkliche Landschaften vorbei, hohe Berge und kleine Schären, putzige Leuchttürme und große Segelboote. Wer will sich das entgehen lassen?

Die Sonne geht nicht mehr unter

Und damit nicht genug des Naturspektakels, das kaum je simulierbar scheint: Spätestens mit der Überquerung des Polarkreises bei Gjersvikgrenda am dritten Abend auf See geht die Sonne nicht mehr unter. Ungewohntes, geradezu magisches Licht leuchtet zu jeder Tageszeit, selbst wenn der Himmel voller Wolken hängt und nur ab und zu die Sonnenstrahlen durchblitzen.

„Das Wetter ändert sich hier oben dauernd“, sagt Kapitän Geir Eriksen. Er fährt seit vielen Jahrzehnten mit Hurtigruten-Schiffen zur See, ist erfahren in Sachen Antarktis. Und dennoch: Die Bedingungen seien kaum vorherzusagen. Von spiegelglatter See bis zu starkem Wellengang: alles möglich.

„Wir fahren auf der Grenze zwischen der Norwegischen und der Barentssee“, sagt Eriksen. Strammer Wind ist da an der Tagesordnung. Doch auf den Abschnitten entlang der Küste bleibe es meist ruhig, zumindest im Sommer. Nur zwischen Mai und September können Reisen mit der „MS Trollfjord“ gebucht werden.

Erster Stopp: Åndalsnes am Isfjord, das offene Meer ist noch in weiter Ferne. Mit der Romsdalsgondolen geht es auf gut 700 Meter hinauf, mit Blick über den Fjord, die so genannten Romsdaler Alpen und den smaragdgrünen Fluss Rauma. Aufregend schön.

Zwischen Passstraße und Polarkreis

Für richtiges Herzklopfen allerdings sorgt anschließend eine Tour, die über eine der bekanntesten Passstraßen des Landes führt, den Trollstigen. Elf enge Haarnadelkurven sind zu durchstehen, bevor die Besucher auf den Aussichtsplattformen der Hochebene geradezu über dem Abgrund schweben.

Wer zurück an Bord bedürftig ist: Knapp 333 Seemeilen, 620 Kilometer, und fast 24 Stunden haben die Passagiere jetzt Zeit, sich von diesem speziellen Adrenalinkick zu erholen. Dann ist es Zeit für das Anlegemanöver in Træna, ein Archipel von rund 500 Inseln, durch den der Polarkreis verläuft.

Nur vier Inseln seien bewohnt, sagt Marit Bertheussen, die den Landgang auf Selvær als Guide begleitet: Neben Selvær seien das Husøy, Sandøy und Sanna. Auf Sanna wurden Funde gemacht, die auf eine Besiedlung schon vor 9000 Jahren schließen lassen, man bewirbt sich dort selbst als das „älteste Fischerdorf Norwegens“.

Auf Selvær leben das ganze Jahr über nur etwa 40 Menschen. Eine davon ist Marlieke Luit aus den Niederlanden, eine 28-jährige Biologin, die mit ihrem Partner ausgewandert ist, um als Bäuerin zu arbeiten. Die Inselgemeinschaft wählte sie aus 400 Bewerbern aus, einem leerstehenden Bauernhof wieder Leben einzuhauchen.

Einer der engsten Fjorde Norwegens

Seitdem züchten die beiden Schafe, bauen Kartoffeln an. „Wir haben auch ein paar Schweine und Hühner“, sagt Luit, die das Leben fernab der großen Städte im hohen Norden nicht ganz einfach findet.

Man sieht ihn nicht, aber fühlt ihn mit der rechten geografischen Orientierung umso mehr, den Polarkreis, als die „MS Trollfjord“ am Abend gemächlich über ihn hinweg gleitet. Es geht durch die Lofoten Richtung Trollfjord, Namensgeber der „MS Trollfjord“. Dort wartet mehr spektakuläre Landschaft.

Auf der Fahrt nach Spitzbergen sind die Lofoten nur vom Wasser aus zu sehen.
Auf der Fahrt nach Spitzbergen sind die Lofoten nur vom Wasser aus zu sehen. © Verena Wolff/dpa-tmn

Die Meerenge im Raftsund zwischen Lofoten und Vesterålen ist einer der engsten Fjorde Norwegens. Keine Straße führt zu der Bucht. Die Einfahrt ist nur 100 Meter breit. Berge ragen steil und schroff bis auf 1100 Meter Höhe hinauf, Adler kreisen am Himmel.

In Stokmarknes vor der gleichnamigen Insel Umstieg ins Schnellboot: Schließlich lässt es sich Hurtigruten nicht nehmen, Stokmarknes als eigenen Geburtsort interessierten Passagieren zu zeigen. In dem Ort wurde die Reederei vor 130 Jahren gegründet.

Auf dem Hausberg Tromsøs

1893 nahmen die Hurtigruten den Liniendienst auf. Die Geschichte erzählt das örtliche Hurtigrutenmuseum, in dem auch die „MS Finnmarken“ zu sehen ist, die 1956 in Dienst gestellt wurde. Die Kabinen sind so simpel wie der Speisesaal karg - ein Fall für Schiffsnostalgiker.

Gegenprogramm in Tromsø, der nächste Hafen, der sowohl auf der Hin- als auch auf der Rückfahrt Halt ist: In der nördlichsten Großstadt des Landes lässt es sich modern shoppen. Oder abermals in die nautische Historie abdriften: Im Polarmuseum staunt man über die Expeditionen Roald Amundsens und Fridtjof Nansens, die die Arktis und die Antarktis unter abenteuerlichen Bedingungen vor mehr als 100 Jahren erforschten.

Auf der Festlandseite Tromsøs liegt die Eismeerkathedrale und der Berg Storsteinen, zu dessen Gipfel auf über 400 Metern eine Luftseilbahn fährt. Oben angekommen liegt einem die ganze Stadt zu Füßen, von Wasser zerklüftetes Land.

Während solche Aussichten mancher Passagier vielleicht nicht auf dem Zettel hatte, fiebern die meisten dem nächsten Stopp geradezu entgegen: Honningsvåg auf der Insel Magerøya.

Sehnsuchtsziel 71°10‘21" N

Von hier aus muss man das Eiland zwar einmal von Süd nach Nord queren, doch dann hat man die Koordinaten 71°10‘21" N erreicht: den nördlichsten Punkt Europas, der durch eine Straße erschlossen ist, das Nordkap. Das Plateau liegt hoch über dem Meer, noch gut 1600 Kilometer sind es bis zum Nordpol.

Weitere 36 Stunden auf See braucht es, um den nächsten Hafen zu erreichen, der mit 78°15‘ N auf der Landkarte verzeichnet ist: Longyearbyen, der Hauptort von Spitzbergen.

Unterwegs zeigen sich gelegentlich Buckel- und Finnwale. Auch Walrösser sehen die Passagiere, allerdings erst bei Exkursionen von Longyearbyen aus. Die großen Robben mit den typischen Stoßzähnen suchen nach Schalentieren und Fischen oder lümmeln grüppchenweise an den längst verlassenen Ufern der Kohlegruben am Polarmeer.

Beim Landgang am Nordkap geht es auf Quads durch die karge Landschaft.
Beim Landgang am Nordkap geht es auf Quads durch die karge Landschaft. © Verena Wolff/dpa-tmn

Während Papageientaucher und andere arktische Vögel geschäftig über das Meer sausen und Rentiere durch den Ort trotten, sieht man vom größten, aber bedrohten Landräuber nichts. Doch er ist hier noch heimisch: Vor den Eisbären warnen Straßenschilder.

Wieder an Bord jedenfalls muss man ohnehin keine Polarbären fürchten. Und auch auf dem Rest der Kreuzfahrt nicht, die über weitere sieben Tage zurück nach Bergen führt.

Übrigens:

16 Tage dauert die Fahrt der „MS Trollfjord“ auf der Spitzbergenlinie von Bergen über das Nordkap und Spitzbergen zurück nach Bergen. Die Linie ist von Mai bis September in Betrieb. Angeboten wird die Reise inklusive Flüge und Verpflegung derzeit ab 4449 Euro, Ausflüge kosten extra.

Weitere Informationen: www.hurtigruten.de