Harburg. Ralf Schwinge hält die großen und kleinen Dinge fest, die den Stadtteil ausmachen. Schon sein Ur-Onkel war eine Harburger Kunst-Ikone.
„Es geht um die kleinen vergänglichen Objekte“, sagt Harburgs malender Stadtchronist Ralf Schwinge (33) beim Ortstermin mit dem Abendblatt. So steht er bereits am Morgen auf dem Harburger Rathausplatz und malt mit geschultem Blick seine ganz eigene Ansicht von Harburg in ein dickes Skizzenbuch. Heute hält er einen Blick vom Rathausspringbrunnen – die Alte Post, den Deichhausweg und das Traditionsgeschäft des Schusters Wolfgang in der Harburger Rathausstraße für die Ewigkeit fest.
Später soll aus der schnellen Bleistiftzeichnung ein großes farbenfrohes Gemälde werden. „Der Bezirk Harburg ist teilweise schmuddelig, aber auch schön und vielfältig. Harburg hält für mich viele unterschiedlichste Motive bereit. Von den Menschen, über die Gebäude bis hin zu den Harburger Bergen und der Heidelandschaft. Darin liegt für mich als der Maler der Reiz“, sagt der 33-Jährige, dessen Ur-Onkel Friedrich Wilhelm Schwinge (1852-1913) bereits ein bekannter Harburger Landschaftsmaler war und dessen Werke im Stadtmuseum Harburg lagern.
Motive findet der ambitionierte Maler im Vorbeigehen
Die aktuellen Motive findet der ambitionierte Maler im Vorbeigehen. „Mittlerweile habe ich ein gutes Geschichtswissen und einen geschulten Blick, wenn ich durch Harburg gehe“, so Schwinge.
Von Harburgs Museumsdirektor Prof. Rainer-Maria Weiss hat er Anfang des Jahres den offiziellen Titel „Stadtmaler von Harburg“ erhalten. Das Besondere an den Bildern von Ralf Schwinge liege vor allem darin, „dass es eben nicht die klassischen Postkartenmotive des Stadtteils sind, die zum hundertsten Mal abgepinselt werden“, sagte der Direktor des Archäologischen Museum/Harburger Stadtmuseum kürzlich in einem Beitrag des NDR.
Ein abgebrochenes Haus, ein veränderter Straßenzug oder ein Kino
„Während die großen Dinge immer festgehalten werden, nimmt die kleinen Dinge kaum jemand wahr. Ein abgebrochenes Haus, ein veränderter Straßenzug oder ein Kino, das plötzlich nicht mehr existiert, diesen laufenden Veränderungsprozess künstlerisch festzuhalten ist eine große Besonderheit“, so Weiss weiter.
Alles begann mit einem Tunnel
Sein Weg als Künstler war nicht unbedingt vorgezeichnet. Allerdings fertigte er schon im zarten Alter von anderthalb Jahren, seine erste Zeichnung von dem bekannten U-Boot in Laboe an und skizzierte dieses in seinem Malbuch. Die Zeichnung hat seine Mutter bis heute aufbewahrt. In der Kindheit und Jugend verschwanden dann erstmal Pinsel und Farbe im Schrank. Erst nach einem schweren Motorradunfall, besann er sich auf sein altes Hobby.
Dennoch schlug er beruflich zunächst einen eher konservativeren Weg ein. Schwinge machte eine Ausbildung zum Altenpfleger und arbeitete ein paar Jahre in dem Beruf. Nebenbei malte er Landschaftsbilder von der Lüneburger Heide und verkaufte sie in Souvenirshops, außerdem bemalte er Stromkästen in der Harburger Innenstadt. Während dieser Zeit verfeinerte sich seine Technik, er besuchte mehrere Malkurse an privaten Kunstschulen.
2014 bekam Schwinge den Auftrag, den Tunnel zum Binnenhafen zu gestalten
2014 bekam Schwinge den Auftrag zwischen der Neuen Straße und dem Binnenhafen den Fußgängertunnel mit einem Wandgemälde zu gestalten. Dies wirkte wie eine Initialzündung und kam bei den Harburgern gut an. „Nach ersten Presseberichten und mit viel künstlerischem Freiheitsdrang, setzte ich alles auf eine Karte und machte mich selbstständig“, so Ralf Schwinge rückblickend.
„In meiner Familie nichts Ungewöhnliches, mein Ur-Opa war einer der Flugpioniere aus Harburg“, erzählt er stolz – auch sie seien, wegen ihres Idealismus, immer etwas belächelt worden. „Dennoch schafften sie es mit einem selbstgestalteten Flugzeug in der Fischbeker Heide abzuheben, später sogar Personen zu befördern“, so der junge Maler.
2023 gelang ihm endgültig der Sprung über die Elbe
In den vergangenen Jahren ging es dann steil bergauf, schnell fand Schwinge seinen Platz in der Szene und mischt dort mittlerweile kräftig mit. Es folgten zunächst Aufträge für die Harburger Fischhalle, die Inselklause und den Irish Pub. Für das alternative Harburger Blatt zeichnet er bis heute regelmäßig die Titelillustrationen.
- Schwinge schwingt den Pinsel und hübscht den Tunnel auf
- Kunst zwischen Kürbis und Kohlrabi
- Im Binnenhafen hängt Harburgs erster Kunstautomat
2017 eröffnete er seine erste Ausstellung, es folgten weitere und 2023 gelang ihm endgültig der Sprung über die Elbe. In der renommierten Nissis Art Gallery wird sein Hauptwerk angeboten. „Ich male gerne auch surreale Gemälde, diese sind hier sehr gefragt, aber auch meine Stadtansichten und Landschaftsbilder sind bereits in mehreren privaten Sammlungen vertreten“, erzählt Schwinge.
Kunstwerke im Hosentaschenformat gibt es im Kunstautomaten am Kulturkiosk an der Blohmstraße, den der gebürtige Harburger regelmäßig beliefert.
2025 ist eine große Schwinge-Ausstellung geplant
Für das Jahr 2025 plant Schwinge eine große Ausstellung seiner Gemälde und Zeichnungen als Stadtmaler von Harburg. „Über 150 verschiedene Bilder sollen gezeigt werden und ein umfangreicher Ausstellungskatalog als Buch erscheinen“, so der malende Stadtchronist. Das Museum plane dann auch andere bekannte und unbekannte Gemälde Harburger Künstler wie Carl Ihrke und Friedrich Wilhelm Schwinge, sowie den Kupferstich von Matthäus Merian aus dem Museumskeller zu holen und mit den modernen Stadtansichten gemeinsam auszustellen.
Bis dahin hat der Stadtmaler noch viel Arbeit vor sich. „Ein grobes Konzept schwirrt mir durch den Kopf, dies werde ich in Kürze mit dem Museum abstimmen. Aber es wird mit Sicherheit ein spannendes Schaufenster in die Geschichte und in die Gegenwart Harburgs“, sagt Ralf Schwinge.
Außerdem gibt Schwinge bis dahin weiter Malkurse. Im September startet ein neues Semester unter dem Titel „STADT-LAND-FLUSS“ mit 16 Terminen im Kulturhaus Süderelbe. Der Kurs ist sowohl für Anfänger, als auch für fortgeschrittene Maler geeignet.