Eißendorf. Drei Harburger Maler und der kunstsinnige Parzellenpächter verwandeln Land und Laube in den „Art Garden“.

Es gibt Schätze die gehoben, Edelsteine die geschliffen und Paradiese die entdeckt werden müssen. Auch in Harburg. In einer Kleingartenkolonie in Eißendorf entsteht zwischen Kürbis und Kohlrabi Kunst. Drei bekannte Harburger Maler und der kunstsinnige Parzellenpächter verwandeln Land und Laube in ein Gesamtkunstwerk: den Art Garden. Eines Tages soll er – zeitweise – öffentlich werden. So weit ist es aber noch nicht. Bis dahin finden nur Eingeweihte den verborgenen Ort.

Verborgen ist so ein Stichwort: Als Sven Possi, Spezialist für alte Geschichte und neue Technologien, den Kleingarten im Frühling des vergangenen Jahres übernahm, war nicht einmal mehr die Laube zu sehen, so zugewuchert war alles. Die Vorbesitzer hatten der Natur scheinbar freien Lauf gelassen. „Der Vereinsvorsitzende sagte mir, dass ich mit der Laube freie Hand habe, aber dass ich sie wahrscheinlich abbrechen müsste“, sagt Possi, „und es sah zunächst auch wirklich schlimm aus, aber dann stellte ich fest, dass es nicht so arg war, wie es erst schien.“Die Steinwände standen noch, einige Balken mussten ausgetauscht und am Dach reichlich gemacht werden, aber die alte Laube, die nach dem Krieg wohl auch eine Zeit lang als Behelfswohnung gedient hatte, konnte erhalten werden. Natürlich mit viel Arbeit, an die Possi sich dann auch machte.

Wladi verdient seinen Lebensunterhalt mit Tätowieren

Dabei besuchte ihn, zunächst sporadisch, dann regelmäßig, Bernd Muss; Künstler aus Harburg, und am bekanntesten für seine Arbeit auf menschlicher Haut. Bernd kam bald einmal pro Woche in den Garten, wenn seine Tochter und Minimuse Ava in der Nähe bei den Pfadfindern Feuer machen, Beile schleifen und Vogelstimmen unterscheiden lernte. Bald begann Bernd Muss, hier und da die Gartenlaube zu verzieren. Farbe und Pinsel waren ja da. „So fing es an“, sagt Bernd Muss, „und dann haben wir Wladi und Ralf hierher geholt und dann angefangen, ein paar Ideen zu spinnen.“

Wladimir Podoprigora arbeitet an einem Stützbalken.
Wladimir Podoprigora arbeitet an einem Stützbalken. © xl | Lars Hansen

Wladi ist Wladimir Podoprigora, ähnlich wie Bernd Muss ein Künstler, der seinen Lebensunterhalt mit Tätowieren verdient; dessen Talente aber viel breiter gefächert sind. Aufgewachsen in der Moldawischen Sozialistischen Sowjetrepublik hatte er dort die staatliche Kunstschule in Balti absolviert. Daran hätte sich in der Sowjetunion noch ein Hochschulstudium angeschlossen, nur als Wladi die Schule mit Prüfungen in Malen, Zeichnen, Skulptur und Kunstgeschichte beendete, löste sich die Sowjetunion gerade auf. „Künstler gelten nicht viel im modernen Osteuropa“, sagt Wladi, „ich habe Hilfsarbeiten verrichtet und Kunst als Hobby betrieben. Das Tätowieren habe ich mir selbst erarbeitet. Es war im Osten nicht so verbreitet. Lernen konnte man es nur von Verbrechern und Armeeveteranen. Farben und Nadeln musste man selbst herstellen. Ich bin dann um die Jahrtausendwende nach Deutschland gekommen. Erst Wismar, dann Hamburg. Hier gelten Künstler mehr, als in meiner Heimat.“Ralf ist Ralf Schwinge, mit knapp 30 das Küken im Künstlernest. Dennoch sind seine Werke seit 12 Jahren im öffentlichen Raum Präsent. Damals gestaltete er die Depot-Kästen der Post in Harburg mit Fantasielandschaften. Es folgten der Eingangsbereich zum Binnenhafentunnel sowie die Innenwände der Kneipe „Old Dubliner“. Außerdem mal t Ralf Schwinge auch Bilder in handlicheren Formaten und stellt sie aus. Eine ganz besondere Ausstellung, mit der er das Werk seines Ur-Urgroßonkels Friedrich Wilhelm Schwinge, einem bekannten Landschaftsmaler der Gründerzeit würdigte, fand letztes Jahr in der Fischhalle statt.

Ralf Schwinge verschönert eine triste Wand.
Ralf Schwinge verschönert eine triste Wand. © xl | Lars Hansen

Gemeinsam gestalten die drei die Wände und andere Flächen im Kleingarten neu. Wer jetzt eine Farbexplosion erwartet, wird enttäuscht. „Es war auch unser erster Impuls, die Farbenpracht des Gartens in unser Malen aufzunehmen“, sagt Wladi, „aber dann haben wir gemerkt, dass wir auch mit den tollsten Farben nicht gegen die Natur anmalen können. Deshalb gestalten wir die Wände schwarz-weiß. Als Kontrast.“

Schwarze Zeichnungen auf weißer Wand – Der Garten ist schon bunt genug

Schwarz und Weiß waren auch die Farben, die sie an der Laube vorgefunden hatten. Weiß die Wandtünche und schwarz die Eichenbalken von Fachwerk und Dach. In diesem Dualismus erschaffen die drei zusammen Landschaften auf der Laubenfläche. „Landschaften sind ein Motiv, das uns alle verbindet“, sagt Wladi. „Privat male ich sehr gerne Landschaften. Als Tätowierung sind ja eher andere Motive gefragt.“

Außer der Laube sind auch schon Stützwände der Gartenterrassen und Schnittflächen von Baumästen unter den Pinsel gekommen. Zuletzt sollen die Tore drankommen. Wenn die fertig sind – und die Corona-Situation es erlaubt – wollen Sven Possi und seine drei Künstlerfreunde regelmäßig die Öffentlichkeit in den Garten einladen – wenn auch nicht überhäufig. Denn eigentlich will Sven sich hier erholen und den Kohlrabi beim Gedeihen beobachten. „Andrerseits wächst hier ein Stück Alternativkultur, das man nicht für sich allein behalten darf“, sagt er.