Fleestedt/Harburg. Ralf Schwinge gestaltete schon Kneipenwände und Postkästen in Harburg. Nun hat er Skizzen seines Vorfahren vollendet.

Dicke, plakative Striche; Figuren, die comic­haft, aber auch zierlich und filigran wirken: Normalerweise ist Ralf Schwinges Malstil schon von weitem erkennbar. Das muss auch so sein, denn zu den Medien, die er benutzt, zählen unter anderem ganze Wände.

Seine aktuelle Ausstellung in der Harburger Fischhalle ist ganz anders: Ralf Schwinge hat sich auf eine Zeit- und Generationenreise begeben und Skizzen seines Ur-Urgroßonkels Friedrich Wilhelm Schwinge (1852-1913) zu Bildern gemacht. Herausgekommen sind Landschaftsdarstellungen, die in der Gründerzeit als romantisch, in der Moderne als spießig gegolten hätten und die man heute als „retro“ bezeichnen würde.

Künstler tauchte in Gedankenwelt des Ur-Urgroßonkels

Für den 29 Jahre alten Künstler war die Arbeit an den Bildern nicht nur eine Zeitreise, sondern auch ein Hinein­tauchen in die Gedanken- und Arbeitswelt seines Ahnen. „Obwohl das sehr spannend war, bin ich andererseits auch erleichtert, das Projekt abgeschlossen zu haben und wieder mehr ich selbst sein zu können“, sagt Schwinge.

Dass er Künstler werden wollte, war für ihn eigentlich immer schon klar. „In meinen Schulheften befanden sich von Anfang an immer mehr Zeichnungen als Aufzeichnungen“, sagt Ralf Schwinge beim Gespräch in seinem Fleestedter Atelier. Schon als Teenager erhielt er deshalb auch außerhalb der Schule Kunstunterricht.

Ralf Schwinge ist gelernter Altenpfleger

Dennoch machte Ralf Schwinge nach seinem Schulabschluss in Wilstorf zunächst einmal eine solide Berufsausbildung und wurde Altenpfleger. Parallel dazu startete er jedoch seine künstlerische Laufbahn, nahm weiter Unterricht, versuchte sich an diesem und jenem und bekam schon mit 18 seinen ersten öffentlichen Auftrag: Die Depot-Kästen der Post im Hamburger Süden sollten nicht mehr grau und öde wirken, sondern bunt und schön werden. Ralf Schwinge bekam den Zuschlag für die Neugestaltung einiger dieser Kästen.

Auch anderswo im öffentlichen Raum kann man seine Werke betrachten, beispielsweise in der Fußgänger-Unterführung in den Harburger Binnenhafen, ein Gemeinschaftsprojekt mit dem Harburger Künstler Bernd Muss. Mit diesem und zwei weiteren Künstlern ist Ralf Schwinge gerade dabei, einen alten Kleingarten und die darin befindliche Laube zu einem begehbaren „Art Garden“ umzugestalten. Ebenfalls gemeinsam mit Bernd Muss hat Ralf Schwinge die Wände der Kneipe „Old Dubliner“ gestaltet. Damit folgen die beiden einer Harburger Tradition: Szenekünstler gestalten Szenekneipen. Ältere Harburger werden sich noch an die „Hexenklause“ und ihre mystischen Deckenbilder von Thomas Behrens erinnern.

Der alte Schwinge malte idyllische Landschaften

Ralf Schwinges Vorfahr Friedrich Wilhelm ist in der Öffentlichkeit ein wenig in Vergessenheit geraten. Kennern ist er allerdings immer noch ein Begriff und zu seiner Zeit kannte man seinen Name überall. Seine Werke hingen unter anderem in den Privatwohnungen der Hamburger Bürgermeister Mönckeberg und von Melle. „Schwinges“ werden heute noch für Preise um die 1000 Euro gehandelt.

Der alte Schwinge malte hauptsächlich Landschaften und Landmenschen. Das befriedigte zum einen das Bedürfnis des städtischen Bürgertums nach einem idealisierten ländlichen Idyll und erfüllt deshalb diverse Kriterien des abwertenden Begriffs „Kitsch“. Aber so einfach ist es eben nicht, denn durch die idealisierte Darstellung der – ländlichen – Arbeit wurde das Schaffen zum Ideal. Abgegrenzt vom angeborenen Herrschafts­anspruch des Adels war dies durchaus eine revolutionäre Komponente der romantischen Kunst, die andere Richtungen, wie beispielsweise der sozialistische Realismus später wieder aufnahmen.

Ralf Schwinge hatte ein Buch mit Skizzen seines Ur-Urgroßonkels – der sein Talent übrigens ebenfalls auf Umwegen ausbilden musste – entdeckt. „Nach solchen Skizzen hat Friedrich Schwinge dann im Atelier Gouache-Bilder gemalt, selten auch mal Ölfarben benutzt“, sagt Ralf Schwinge. „Ich habe seine Arbeitsweise nachgeahmt und bin dabei sehr tief in eine andere Persönlichkeit eingetaucht. Es war schon ein bisschen unheimlich, aber auch sehr interessant.“

Ausstellung „Ur-Sprung“ in der Fischhalle

Die Ausstellung mit dem Titel „Ur-Sprung“ ist noch bis Mittwoch, 27. August, in der Fischhalle im Harburger Binnenhafen zu sehen: mittwochs bis freitags von 12 bis 20 Uhr, sonnabends von 15 bis 22 Uhr und sonntags von 10 bis 18 Uhr. Der Eintritt ist grundsätzlich frei, außer bei Veranstaltungen auf der Fischhallen-Bühne.