Harburg. Harburgs kommunalpolitische Jahresbilanz, Teil 1: Die Debatte um Größe und Ansiedlung der Folgequartiere reißt nicht ab

Kaum ein anderes Thema hat die Menschen im Bezirk in diesem Jahr mehr beschäftigt als der nicht enden wollende Zustrom von Flüchtlingen. Nicht viel anderes ist es den Volksvertretern in der Bezirksversammlung gegangen. Das bestätigt eine Abendblatt-Umfrage unter den Fraktionen nach den wichtigsten Anträgen in den zurückliegenden zwölf Monaten. „Weil wir die Ärmel aufkrempeln müssen, um eine der größten gesellschaftlichen und vor allem humanitären Herausforderungen der letzten Jahrzehnte verantwortungsbewusst zu meistern und dabei gleichzeitig den Bürgern die Unsicherheit und die Ängste zu nehmen“, sagte Jürgen Heimath, Fraktionschef der SPD.

So einig sich die Fraktionen in dieser grundsätzlichen Beurteilung auch waren, in dem Wie gingen die Meinungen doch teilweise weit auseinander. Dabei wurde auch mit Kritik am Krisenmanagement nicht gespart. Selbst in den Reihen der Harburger GroKo. „Die Bezirksversammlung musste sich nahezu ohnmächtig mit den vielen Fehlern und Versäumnissen der Europäischen Union, der Bundesregierung und des Hamburger Senates abmühen“, monierte CDU-Fraktionschef Ralf-Dieter Fischer.

GroKo-Antrag zum Aschenland umfasste insgesamt 23 Petiten

Dennoch bezeichneten Heimath und Fischer ihren gemeinsamen Antrag zur Flüchtlingsunterkunft Am Aschenland in Neugraben (20-0942) unisono als einen der drei wichtigsten in diesem Jahr. „Weil eine Integration ohne einen umfangreichen Infrastrukturausbau im gesamten Stadtteil und ohne erforderliche Wohneinrichtungen nicht möglich ist“, so Heimath. „Weil der Senat ohne jede abgestimmte inhaltliche Konzeption im Eilverfahren und nach Polizeirecht eine Großunterkunft für 3000 weitere Bewohner beschlossen hat, die jeder Integrationsmöglichkeit zuwider läuft“, begründete Fischer die Bedeutung.

Der Christdemokrat erklärte den Antrag, der sage und schreibe 23 Petiten umfasste, gar zu einem „umfassenden Handlungskatalog“ im Hinblick auf die Planung einer Großunterkunft. Der nicht nur von Bezirksamtsleiter Thomas Völsch akzeptiert worden sei, sondern inzwischen in nahezu allen Fachbehörden als „exzellenter Leitfaden“ anerkannt und beachtet werde, da er notwendige Überlegungen, Planungen und Folgemaßnahmen definiere.

Grüne: Bezirk sieht sich jeden Gestaltungsspielraums beraubt

Dennoch hat sich die GroKo dem Antrag der Grünen verweigert, die Standortsuche für Einrichtungen der öffentlich-rechtlichen Unterbringung konsequent in die Verantwortung der Bezirke zu übergeben. „Die Folgen sehen wir jetzt am Aschenland – ein Camp für Tausende Geflüchtete“, sagt Britta Herrmann, Fraktionschefin der Grünen. Planung und Umsetzung hätten eine Eigendynamik entwickelt, bei der Harburg kein Mitspracherecht mehr hätte.

„Weil sich die GroKo vorschnell auf das Konzept von Massenquartieren eingelassen hat, sieht sich der Bezirk nun jedes eigenen Gestaltungsspielraums beraubt“, so Herrmann. Immerhin hätten SPD und CDU sich aber der Grünen-Initiative angeschlossen, keine weitere Nachverdichtung öffentlich-rechtlicher Unterkünfte in Harburg-Kern zuzulassen.

Flüchtlingsdebatte hat Schlaglicht auf Leerstand im Bezirk geworfen

Die Linke sieht in ihrem Antrag zur Belegung von leerstehenden SAGA-Wohnungen in der Denickestraße mit Flüchtlingen, einen ihr wichtigsten Anträge. Unterstützt wurde er von den Neuen Liberalen, den Grünen und den beiden Abgeordneten FDP, nicht aber von SPD und CDU. „Er hat aber trotzdem die Diskussion um Alternativen der Flüchtlingsunterbringung bereichert und ein Schlaglicht auf den Leerstand im Bezirk geworfen“, erklärt Fraktionschef Jörn Lohmann.

Wie überhaupt die Flüchtlingsdebatte dafür gesorgt habe, auch andere wichtige Themen wieder stärker in den kommunalpolitischen Fokus zu rücken. Dazu gehören für Lohmann auch Fragen des unzureichenden sozialen Wohnungsbaus, die Unterfinanzierung der Offenen Kinder- und Jugendarbeit sowie die unzureichende personelle und finanzielle Ausstattung der Bezirksämter und der Hamburger Behörden: „Alles soziale Problemlagen, die für uns schon immer im Mittelpunkt standen.“

Liberale mahnen mehr Beteiligungsrechte für die Bezirke an

Die FDP verknüpfte ihre Forderung nach einem Masterplan für die Flüchtlingsunterbringung mit der Forderung nach mehr Beteiligungsrechten der Bezirke. „Die Anträge zur Flüchtlingspolitik wurden von der GroKo zwar grundsätzlich abgelehnt. Unsere Anfragen haben aber mehr Transparenz über die Vorgehensweise von Verwaltung und Behörden geschaffen“, sagt Carsten Schuster.

Mehr Bürgerbeteiligung bezeichnen auch die Neuen Liberalen als ihr Kernthema. Laut Fraktionschef Kay Wolkau hat die Flüchtlingsdebatte viele andere lokalpolitischen Themen überlagert, vor allem in der zweiten Jahreshälfte. „Wir Neue Liberale haben uns jedoch bewusst mit allen für Harburg wichtigen Themen befasst, dazu gehörten auch die Verkehrspolitik, Stadtplanung und Kultur.

Die AfD schließlich verwies auf einen gemeinsamen Antrag mit allen kleinen Fraktionen, außer den Linken, in dem „ein Unterbringungskonzept für Asylbewerber und Flüchtlinge“ gefordert wurde. Darin war der Senat zur Vorlage eines tragfähigen Gesamtkonzepts für ganz Hamburg für die kommenden zwei Jahre aufgefordert worden. Die GroKo habe den Antrag aber abgelehnt mit der Folge, dass die Behörden nun ganz andere Flächen mit gänzlich anderem Zuschnitt aus dem Hut zaubere, als vom Bezirk vorgeschlagen. „Die vielen mehr oder weniger kopflosen Aktionen zeugen von einer weitgehenden Planlosigkeit, die dem Bezirk schaden“, so Fraktionschef Ulf Bischoff.