Harburg. Die Flüchtlingsunterbringung führte in der Bezirksversammlung Harburg zu einem heftigen Schlagabtausch zwischen der GroKo und der Opposition

Wie sehr die nicht enden wollenden Flüchtlingsströme die Menschen südlich der Elbe bewegen, wurde auch in der jüngsten Bezirksversammlung am Dienstagabend im Großen Saal des Harburger Rathauses deutlich. 90 Minuten und damit ein Drittel der gesamten, viereinhalbstündigen Sitzung waren die Abgeordneten mit diesem einen Thema befasst.

Die „Völkerwanderung unglaublichen Ausmaßes“ tauge nicht zum politischen Streit, hatte SPD-Fraktionschef Jürgen Heimath in einer Grundsatzerklärung gemahnt. In ihr hatte er ein „Szenario des Horrors“ beschrieben, das unter anderem auf Operationen der USA im Iran, in Afghanistan und im Irak zurückgehe, die den Nahen Osten nachhaltig destabilisiert hätten. Nun aber dürfe man nicht auf irgendwelche Wunder warten, sondern müsse gemeinsam anpacken, um den Tausenden Asylsuchenden zu helfen, wo immer es möglich sei.

Darin besteht Konsens über alle Parteigrenzen hinweg. Nur über das Wie wird letztlich doch gestritten. Und das auch deshalb, weil die Harburger Große Koalition aus SPD und CDU offenbar die Meinungshoheit über das Thema für sich beansprucht. Anders ist kaum zu erklären, warum die GroKo einen Dringlichkeitsantrag der Opposition abschmetterte. Das hatte zu lautstarken Tumulten und heftigen Kontroversen über die Geschäftsordnung geführt. In diesen Debattenbeiträgen ging es längst nicht mehr um die Sache an sich, sondern nur noch um Verfahrensfragen.

Nachdem der Senat am Freitag vergangener Woche mitgeteilt hatte, zeitnah mit der Unterbringung von Flüchtlingen Am Aschenland in Neugraben zu beginnen, forderten die kleinen Fraktionen in besagtem Antrag auf Initiative der FDP-Abgeordneten Carsten Schuster und Viktoria Pawlowski einen „Masterplan“ zur Errichtung von Flüchtlingsunterkünften. Außerdem wurden die regelhafte Beteiligung der Bezirke und eine größere Transparenz den Bürgern gegenüber angemahnt.

Es fehle wohl ein schlüssiges Gesamtkonzept, aber kein „oberflächlicher Masterplan“, hatte CDU-Fraktionschef Ralf-Dieter Fischer den Vorstoß rüde abgekanzelt. Überdies sei der Antrag „mit der heißen Nadel gestrickt“ und in keiner Weise zielführend. Weil niemand die weitere Entwicklung absehen und entsprechend planen könne.

Schuster blieb bei seiner Kritik, dass sich Hamburg zwar einen riesigen Verwaltungsapparat leiste, der der Herkulesaufgabe aber trotzdem nicht gewachsen sei. Hektisch und planlos würden Unterkünfte aus dem Boden gestampft, ohne dabei die Sozialräume zu beachten. „Dass in Neugraben jetzt ein Quartier mit 4500 Plätzen entstehen soll, birgt viele Risiken, die beurteilt und abgewogen werden müssen“, so der FDP-Abgeordnete. Durch diese Entscheidung würde die Erweiterung eines wichtigen Wohnungsbaugebiets des Bezirks auf Jahre blockiert, was in letzter Konsequenz auch zu neuen Verteilungskämpfen um bezahlbaren Wohnraum führen werde.

Für die Grünen erneuerte Fraktionschefin Britta Herrmann die Kritik an der schieren Größe des neuen Quartiers. Wenn sie höre, dass dort auch eine ganz eigene Infrastruktur geschaffen werden soll, dann sei das für sie ganz klar „eine Ghettoisierung“, auch wenn man mit dem Begriff vorsichtig umgehen müsse. „Angesichts solcher Dimensionen können wir die zu Recht geforderte Integration aber in die Tonne treten. Die Gefahr damit soziale Brennpunkte zu schaffen, liegt auf der Hand“, so Herrmann.

Barbara Lewy von den Neuen Liberalen hält das Terrain Am Aschenland zwar prinzipiell für einen „vernünftigen Standort“. Nur müsse nun auch mit maximaler Transparenz deutlich gemacht werden, was dort alles passieren soll, um das vielfältig vorhandene ehrenamtliche Engagement nicht zu gefährden.

CDU-Fraktionschef Ralf-Dieter Fischer machte in seiner Begründung des Antrags der Großen Koalition, der in seiner neuen Fassung sage und schreibe 22 Forderungen auflistet, deutlich, dass die Bezirksversammlung in einem Dilemma steckt. Sie stünde nämlich am Ende einer Kette von Fehlentscheidungen von Europäischer Gemeinschaft, Bundesregierung und Hamburger Senat. „Da wurden eine ganze Reihe von Auswirkungen der erbärmlichen Verteilungsstreitigkeiten nicht beachtet, die nun die Bezirke ausbaden müssen“, so Fischer.

Viele Mitbürger hätten jetzt Ängste und Sorgen, die man ernst nehmen müsse. Es gebe schon jetzt Unternehmen, die Verlagerungen in den Landkreis erwägen würden. Und Eltern, die ihre Kinder nicht mehr nördlich der B 73 einschulen möchten. „Nicht nur Willkommenskultur ist wichtig, wir haben auch eine Verantwortung für Anwohner und Nachbarn“, sagte Ralf-Dieter Fischer.

Bezirksamtsleiter Thomas Völsch stellte derweil noch einmal klar, dass große Einrichtungen „momentan alternativlos“ seien. Anstatt sich in destruktiven Schreckensszenarien zu ergehen, „die völlig kontraproduktiv sind“, sollten liebe weise Worte der Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) beherzigt werden, mahnte Völsch: „Von Angst geprägte Kulturen und Gesellschaften werden die Zukunft mit Sicherheit nicht meistern.“