Harburg.
Senatorin:Hospize gehören auch in Wohngebiete =
Hamburg (KNA) Hamburgs Gesundheitssenatorin Cornelia Prüfer-Storcks (SPD) hat sich grundsätzlich für die Errichtung von Hospizen in Wohngebieten ausgesprochen. Sterben und Tod dürften keine Tabuthemen sein, sagte sie anlässlich der bevorstehenden Eröffnung des neuen Hospizes im Hamburg-Harburg am Dienstag in Hamburg. Hospize seien Einrichtungen für ein würdevolles Lebensende und inzwischen anerkannt und etabliert. „Sie gehören zu unserem Leben dazu – und deshalb auch mitten in Wohngebieten“, so die Senatorin. Gegen das neue Hospiz vom Deutschen Roten Kreuz (DRK) hatten zwei Nachbarn geklagt. Es wird am Mittwoch offiziell eröffnet. Das Hamburger Verwaltungsgericht will am Donnerstag über die Klage der Anwohner entscheiden.
Prüfer-Storcks bedauerte das Vorgehen der zwei Anwohner. Längst seien die meisten anderen in Harburg von der Notwendigkeit des Hospizes überzeugt und zu Befürwortern geworden. „Ich hoffe sehr, dass das Gericht den Weg frei macht für das DRK-Hospiz, das eine Lücke im Hamburger Süden schließen würde.“
Das neue Haus am Blättnerring 18 in Harburg soll nach den Angaben künftig jeweils 12 Gäste betreuen, die von 20 Mitarbeitern versorgt werden. Es ist das erste Hospiz im Süden der Stadt, die über sechs weitere solche Einrichtungen verfügt. Gegen den Bau hatte sich eine Initiative Harburger Bürger engagiert. In den meisten Fällen konnten die Bedenken ausgeräumt werden. Die ausstehende Klage zweier Anwohner bezieht sich auf baurechtliche Belange. Unter anderem befürchten sie ein höheres Verkehrsaufkommen.
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Im Grunde ist das alles hier fast fertig. Von den Wänden leuchtet es grün und violett, die Eingangstür öffnet automatisch. Im Aufenthaltsraum steht eine Bierzeltgarnitur, die wird natürlich noch durch einen großen Esstisch aus Holz ersetzt. Im Regal an der Wand stehen ein Schach- und ein Scrabble-Spiel, Geschenke von Anwohnern, die sich inzwischen sogar ein bisschen darauf freuen: auf die feierliche Eröffnung des ersten Hospizes für den Hamburger Süden. Am 11. Dezember soll der große Tag sein. Doch Harald Krüger, Chef des Harburger Roten Kreuzes, sieht nicht glücklich aus, wenn er über dieses Datum spricht. Das liegt am Tag danach. Denn am 12. Dezember wird vor dem Hamburger Verwaltungsgericht über die Zukunft des fast fertigen Hospizes verhandelt. Zwei Anwohner haben Klage gegen den Bau eingereicht. Sie wollen kein Hospiz in ihrer Nachbarschaft, und es könnte sogar sein, dass sie damit durchkommen.
Harald Krüger sitzt in seinem Büro in der Harburger Geschäftsstelle, ein nüchterner Bau mit funktionalem Treppenhaus, in Krügers Büro aber sind die Wände geschmückt. Wimpel hängen hier, Abzeichen und Fotocollagen in Bilderrahmen, seit 30 Jahren ist Krüger Kreisgeschäftsführer des Deutschen Roten Kreuzes in Harburg, er hat so einiges erlebt in Sachen Anwohnerproteste, „das haben Sie eigentlich immer, sobald irgendwo eine Kita gebaut wird oder eine Betreuungseinrichtung für demente Senioren“, sagt er und zieht die Schultern Richtung Ohren. „Das ist wohl einfach der Lauf unserer Zeit.“ Dann schaut er kurz aus dem Fenster, vor der Geschäftsstelle leuchtet das Herbstlaub. „Aber in dieser Intensität habe ich Protest auch wirklich selten erlebt.“
Harald Krüger kann die Intensität, von der er spricht, sehr genau benennen. Sie reduziert sich nach seiner Wahrnehmung inzwischen auf ein einziges Ehepaar. Es ist das Ehepaar, dessen Grundstück direkt an das Hospiz grenzt, die beiden sind diejenigen, die im Sommer Klage gegen das Harburger Bezirksamt eingereicht haben. Sie argumentieren mit der Höhe des zweigeschossigen Baus, der sich nicht in den Charakter des Wohngebiets einfüge, er befinde sich außerdem zu nah an ihrer Grundstücksgrenze und verursache eine „Mehrverschattung“. Das ist der eine Argumentationsstrang der Klageschrift, die dem Abendblatt vorliegt.
Der andere bezieht sich auf all das, was ein Hospiz in der direkten Nachbarschaft zwangsläufig mit sich bringt – zum Beispiel, dass da ab und zu ein Leichenwagen an der Haustür vorbeifährt. Für die Kläger eine „unzumutbare Erhöhung des fließenden und ruhenden Verkehrs unmittelbar im Grundstücksbereich“. Am Telefon klingt die Frau ruhig und zurückhaltend, sie würde das gern persönlich besprechen, sagt sie, am Abend schreibt ihr Mann eine Mail. „Wir sind der Auffassung, dass das Bauvorhaben nicht im Einklang mit dem Bauplanungsrecht steht und dass die Ausführung nicht mit den Bauvorschriften übereinstimmt“, heißt es darin. „Über das Gerichtsverfahren hinaus möchten wir uns nicht an einer öffentlichen Diskussion beteiligen. Mit freundlichen Grüßen.“
Sechs Hospize für erwachsene Sterbenskranke gibt es in Hamburg, rein rechnerisch ist der Bedarf der Hansestadt damit gedeckt. Doch keine dieser Einrichtungen liegt südlich der Elbe, was betroffene Harburger schon immer vor ein großes Problem gestellt hat. Bewohner eines Hospizes wollen meist auch im Sterben ihre sozialen Bindungen behalten, Freunde, Familie und Nachbarn sollen sie besuchen kommen, aber von Harburg nach Altona kann es für einen älteren Menschen ein mühsamer Weg sein. Schon Anfang der 90er-Jahre gab es deshalb Bemühungen für ein Hospiz in Hamburgs Süden, 1999 gründete sich ein Verein, der jedoch schnell an seine Grenzen stieß. „Um ein stationäres Hospiz zu eröffnen, braucht es mehrere Millionen Euro Investitionen“, sagt Harald Krüger, „und die zu organisieren, dazu sah sich der ehrenamtliche Verein nicht in der Lage.“
2007 gründete sich deshalb die Bürgerstiftung Hospiz Harburg, 2010 stellte das DRK in Harburg einen Projektleiter ein – und gab die erste Million zur Realisierung. Insgesamt benötigte man rund drei. Die zweite Million kam über Spenden und einen Förderbetrag der ARD-„Fernsehlotterie“ zusammen.
Am Blättnerring, einer feinen Wohn- und Spielstraße im Harburger Stadtteil Langenbek, fand man sowohl Gebäude als auch ein Grundstück: Ein Haus der Sinstorfer Kirchengemeinde, das nicht mehr wirklich gebraucht wurde. Die Kirche signalisierte Interesse. „Und da haben wir uns natürlich gesagt: Spätestens, wenn wir das Go der Kirche haben, müssen wir die Nachbarn detailliert über unsere Pläne informieren“, sagt Krüger.
Dass sich zu diesem Zeitpunkt schon eine Bürgerinitiative aus Anwohnern gegen das Hospiz formiert hatte, erfuhren er und seine Kollegen von Mitarbeitern der Kirche. Der kurz darauf organisierte erste Informationsabend schaffte es schließlich auch bundesweit in die Medien – die von Anwohnern vorgebrachten Bedenken stießen eine breite gesellschaftliche Debatte an: Wie wird in unserer Gesellschaft eigentlich gestorben, und vor allem – wo?
Langsam aber sicher lösten sich die Bedenken der meisten Nachbarn in Luft auf. Sie hatten sich zum Teil aus diffusen Ängsten gespeist („Ich kann doch meine Kinder nicht mehr draußen spielen lassen!“), zum Teil aber auch aus konkreten Vorbehalten. Harald Krüger erinnert sich noch gut daran, auch weil die meisten Skeptiker ihren Widerspruch persönlich beim Bezirksamt vortrugen. Was würde aus ihren Grundstückswerten, wenn nebenan auf einmal die Leute sterben? Seien das nicht mitunter auch ansteckende Krankheiten? Ein Anwohner gab zu bedenken, dass bei einem Brand die Bewohner des Hospizes, die Alten und Schwachen, zuerst gerettet würden. Wo blieben denn dann eigentlich die „richtigen“ Anwohner?
Die Hamburger Feuerwehr widersprach: Für den Notfall seien ausreichend Kapazitäten vorhanden. Das Gutachten musste natürlich der Träger bezahlen, und natürlich war es nicht billig und letztlich auch nur eines von vielen. Den klagewilligen Anwohnern bot das Rote Kreuz schließlich eine Mediation an, das Ehepaar aus dem Nachbarhaus lehnte ab. Kirchenmitarbeiter zuckten mit den Schultern: Die hätten sich doch schon häufig beschwert. Tatsächlich hatte die Sinstorfer Gemeinde vor vielen Jahren auf Wunsch der Nachbarn einen Sichtschutzzaun installiert und eine Hecke gepflanzt. Im Mai 2012 sicherte das DRK schriftlich die Beibehaltung von Zaun und Hecke zu. Doch die Bedenken wuchsen offenbar weiter.
Am Anfang machten die Skeptiker nach Einschätzung von Harald Krüger zehn Prozent der Nachbarschaft aus. Heute sei nur das Ehepaar geblieben, im Juni 2013 reichte es Klage ein. In der Nachbarschaft ist zu hören, dass das Ehepaar sich verrannt habe, es sei inzwischen total isoliert. „Schämt Ihr Euch gar nicht“, sollen neulich Anwohner dem Ehepaar zugerufen haben. Tatsächlich sind am Mittwochnachmittag die meisten Rollläden des Hauses heruntergelassen. Das sei inzwischen schon normal, sagt eine Mitarbeiterin des Hospizes und winkt ab.
Und doch nützt es nichts: Sollte das Verwaltungsgericht am 12. Dezember den Klägern Recht geben, dann stünde das Hospiz in Harburg-Langenbek vor dem Aus. Spenden in Millionenhöhe würden zu Bauschutt. Und ganz so abwegig ist die Vorstellung nicht: Immer wieder haben Verwaltungsgerichte in der Vergangenheit die Größe von Einrichtungen wie zum Beispiel Kindertagesstätten in Wohngebieten als rechtswidrig eingestuft – weil deutlich mehr Plätze angeboten wurden als Bedarf in der Nachbarschaft vorhanden war.
Das geplante Hospiz in Harburg verfügt über zwölf Gästezimmer, die durchschnittliche Verweildauer wird auf vier Wochen geschätzt. „Ein Hospiz der vorgesehenen und genehmigten Art gehört offensichtlich nicht zu den Einrichtungen, die dem Bedarf der ansässigen Bevölkerung dienen“, heißt es in der Klageschrift.
Ein Hospiz mit nur sechs oder acht Zimmern zu betreiben, steht jedoch außerhalb jeder Wirtschaftlichkeit. „Das wäre das Ende des gesamten Projekts“, sagt Harald Krüger.