Ein Anwohnerpaar wehrt sich beharrlich gegen das Hospiz. Die Klage beschämt – und zeigt, wie sehr wir den Tod verdrängen
Eigentlich hat Hamburg allen Grund, stolz zu sein. Es ist dem Bürgerengagement zuzuschreiben, dass der Süden der Stadt ein Hospiz bekommt, es ist der Spendenbereitschaft vieler Menschen zu verdanken, dass die Einrichtung nun kurz vor der Eröffnung steht. Eigentlich. Denn beharrlich wehrt sich ein Anwohnerpaar gegen das Hospiz des Roten Kreuzes. Und es ist nicht auszuschließen, dass es mit seiner Klage vor dem Verwaltungsgericht Erfolg hat: Im schlimmsten Fall droht dann sogar der Abriss des Hospizes, das noch nicht einmal eingeweiht ist.
Wieder einmal muss das Baurecht als Argument für eine Ablehnung herhalten, die offenbar doch viel tiefer reicht. Vordergründig mag es um die Größe des Hospiz-Neubaus und um „Verschattung“ des eigenen Grundstücks gehen, tatsächlich wirft die Klage einen Schatten auf Hamburg und auf die gesamte Gesellschaft. Denn die Klage der Anwohner ist eben kein ärgerlicher Einzelfall, sondern eher Symptom einer gesellschaftlichen Verirrung – in diesem Fall kommen sogar zwei Aspekte zusammen.
So spiegelt sich in der Klage der grassierende Egoismus einer Volksbewegung, die Soziologen „Nimby“ nennen („Not in My Backyard“ – nicht in meinem Hinterhof). In der öffentlichen Debatte wird es zwar niemals eine Mehrheit gegen gesellschaftlich gewünschte wie notwendige Einrichtungen geben, es würde auch keiner dagegen argumentieren. Doch viele Menschen ändern genau in dem Moment ihre Meinung, wenn sie selbst betroffen sind und eine dieser Einrichtungen in ihre unmittelbare Nähe ziehen will: Ob Hospiz oder Kindergarten, Jugendheim oder Flüchtlingsunterkunft, findige Anwohner und noch findigere Rechtsanwälte werden immer einen Grund finden, warum es überall gern, nur leider gerade hier eben nicht entstehen darf. Während öffentliche Debatten immer politisch korrekter und sozial gerechter werden, wagen Einzelne im Fall der eigenen Betroffenheit immer asozialere Vorgehensweisen: St. Florian regiert längst Deutschland.
Im Fall des Hospizes Harburg kommt ein weiterer Aspekt hinzu. Die moderne Gesellschaft, und daran ändert auch der ritualisiert begangene Totensonntag nichts, hat den Tod aus der Öffentlichkeit verdrängt. So wie Nachbarn ein Hospiz als Zumutung wahrnehmen, gelten Leichenwagen als Belästigung, wird das Sterben zum Störfall. Vor 100 Jahren starben die meisten Menschen zu Hause – heute kommt der Tod meist in Alten- oder Pflegeheimen oder in Krankenhäusern. Nur jeder fünfte Deutsche entschläft in seinen eigenen vier Wänden, im Kreise seiner Familie. Während früher schon Kinder den Tod als letzten Teil des Lebens wahr- und annehmen konnten, wird er heute verdrängt, verlagert, verleugnet. Ausgerechnet unsere vermeintlich tabulose Gesellschaft tabuisiert den Tod als Teil des Lebens. Er ist der Störfall in einer diesseitsfixierten materialistischen Welt; er stellt zu viele kluge Fragen nach dem Sinn, die wir nicht hören wollen. Der Tod provoziert überall, nicht nur in Harburg-Langenbek.
Gerade die Hospizbewegung setzt ein Zeichen dagegen. Sie holt den Tod zurück ins Leben und gibt den Sterbenden die Würde zurück. Hier können todkranke Menschen von Freunden und Familie auf ihrem letzten Weg begleitet werden. Die Begründerin Cicely Saunders brachte es mit einem Satz auf den Punkt: „Es geht nicht darum, dem Leben mehr Tage zu geben, sondern den Tagen mehr Leben.“
Es macht Hoffnung, dass das Hospiz für Hamburgs Süden vom kleinen Spender bis zum großen Fürsprecher viele Unterstützer gefunden hat. Dieser Großmut der vielen darf nicht an der Engherzigkeit der wenigen scheitern. Der Tod gehört zum Leben. Das muss man akzeptieren. Der Egoismus gehört aber nicht zur Gesellschaft – er ist inakzeptabel.