Hamburg. Große Anfrage der Linken und Daten des Hamburger Senats zeigen Überlastung. Mitarbeiter und Pflegefamilien für den Kinderschutz fehlen.

Weil Mitarbeiter überlastet sind oder fehlen, mehr Kinder in Hamburg von den Behörden aus den Familien in Obhut genommen werden und lange in den Einrichtungen bleiben, arbeiten die Kinderschutzhäuser unter großem Druck. Die meisten sind voll ausgelastet, während die Zahl der Pflegefamilien sinkt. Mit Blick auf neue Daten aus einer Senatsantwort auf eine Große Anfrage spricht die Linken-Fraktion von einer „dramatischen Situation beim Hamburger Kinder- und Jugendnotdienst (KJND)“. Dabei, so die Linke, sei die Inobhutnahme in Kinderschutzhäuser (KSH) oder Kinderschutzgruppen (KSG) nur eine vorläufige und möglichst kurz zu haltende Maßnahme. „Die Realität in den Hamburger Häusern sieht allerdings anders aus.“

Die familienpolitische Sprecherin der Fraktion, Sabine Boeddinghaus, zeigte sich „entsetzt über die Zustände“. Sie erklärte: „Viel zu viele Kinder bleiben länger als ein halbes Jahr in diesen Einrichtungen. Manche mussten schon weit über zweieinhalb Jahre in der Inobhutnahme verbringen. Und wir reden hier über Kinder, die Gewalt und Vernachlässigung erlebt haben. Sie brauchen möglichst schnell eine stabile Umgebung mit zuverlässigen Bindungen.“ Boeddinghaus macht den Senat für eine Fehlplanung verantwortlich, die „auf dem Rücken der Schutzbedürftigen ausgetragen“ werde.

Inobhutnahmen in Hamburg: Mehr Kinder unter behördlicher Aufsicht

Der Senat erklärte in seiner Antwort, dass einige Zahlen aus Datenschutzgründen nicht weitergegeben werden dürften. Grundsätzlich sei es aber so: „Die KSH und KSG sind wie andere Schutzeinrichtungen der Stadt aktuell stark belegt, setzen sich in ihrer Arbeit jedoch weiter mit hohem Engagement für das Wohl der bei ihnen aufgenommenen Kinder ein. Die Aufnahmen erfolgen weiterhin jeweils orientiert an den Bedarfen des einzelnen Kindes. Ist eine Inobhutnahme im Einzelfall notwendig, führt der Allgemeine Soziale Dienst (ASD) sie durch und findet eine geeignete Unterbringung.“

Linken-Familienpolitikerin Sabine Boeddinghaus kritisiert die Kinderschutzmaßnahmen des Hamburger Senats (Archivbild).
Linken-Familienpolitikerin Sabine Boeddinghaus kritisiert die Kinderschutzmaßnahmen des Hamburger Senats (Archivbild). © Michael Rauhe / FUNKE Foto Services | Michael Rauhe

Zu den wichtigsten Befunden aus der Senatsantwort zum Kinderschutz in Hamburg zählen:

  • In den Kinderschutzhäusern des Landesbetriebs Erziehung und Beratung sind aktuell 65 Kinder untergebracht. Im Oktober waren es noch 57.
  • 34 Minderjährige leben derzeit in Kinderschutzgruppen, im Oktober waren es 31.
  • In mehreren Kinderschutzhäusern sind sieben oder acht Stellen unbesetzt, darunter auch einige für pädagogische Fachkräfte.
  • Während es dort in den Jahren 2020 und 2021 keine Überlastungsanzeigen der Mitarbeiter gab, waren es 2022 erst 15, 2023 dann 13. Bei den Kinderschutzgruppen gab es keine dieser Beschwerden.
  • Der Senat erklärt, bei Inobhutnahmen der bis 13-Jährigen seien die Problemlagen bei Kindern und Familien „komplexer“ geworden. Einzelne Kinder hätten vermehrt Entwicklungsstörungen.
  • Langwierige Verfahren vor dem Familiengericht verlängern den Aufenthalt der Kinder in behördlichen Einrichtungen.
  • Bei den 0- bis 3-Jährigen stieg die Durchschnittsdauer in staatlicher Obhut auf heute 146 Tage (Mädchen) sowie 170 (Jungen). Die maximale Dauer beträgt für einzelne Kinder mehr als 500 Tage.
  • Die Zahl der Pflegefamilien sank seit 2020 kontinuierlich von 977 auf 893, die derjenigen, die Bereitschaftspflege machen, von 60 auf 50.

Linke in der Bürgerschaft: Mehr pädagogische Einrichtungen und Pflegefamilien

Boeddinghaus forderte: „Hamburg benötigt dringend mehr pädagogische Einrichtungen und Pflegefamilien, die Kinder aus den Inobhutnahmen aufnehmen. Die freien Träger, die bereits über solche Einrichtungen verfügen, müssen gezielt gefördert werden. Wir brauchen aber auch mehr Anreize für potenzielle Pflegefamilien – deren Anzahl sinkt aktuell.“ Sie appellierte an den Senat, die vorhandenen Fachkräfte nicht „durch unhaltbare Arbeitsbedingungen zu verheizen“, sondern für „fachgerechte Arbeitsstandards“ zu sorgen.

Der Senat wies hingegen darauf hin, dass am Billwerder Billdeich Anfang 2024 insgesamt 22 neue Plätze in einer Einrichtung geschaffen worden seien. Zum Herbst sollen am Südring zwei neue Kinderschutzgruppen installiert werden (15 Plätze).

Kinder in Hamburg: Yagmur, Tayler, Lara Mia – bewegende Schicksale

Nach den spektakulären Fällen von in ihren Familien schwer vernachlässigten oder misshandelten Kindern – die Fälle Yagmur, Lara Mia oder Tyler erlangten traurige Bekanntheit – ist der Hamburger Senat offenbar bemüht, die Situation um Problemfamilien schneller in den Griff zu bekommen. Die Corona-Pandemie hat die medizinische und psychische Lage der Kinder in Hamburg nach Expertenangaben insgesamt verschlechtert.

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Auch Mütter und Väter befinden sich in seelischen Ausnahmesituationen. In einem krassen Fall von Entziehung hatte ein Paar im März 2023 seine beiden Kinder aus der Inobhutnahme aus einer Einrichtung in Heimfeld einfach mitgenommen. Dabei gab es offenbar keinen oder kaum Widerstand von Betreuern oder sonstigem Personal. Der Kinder- und Jugendnotdienst steht auch deshalb unter Druck, weil die Zahl minderjähriger Flüchtlinge nach Hamburg nicht abreißt.