Hamburg. An der Hochschule für Angewandte Wissenschaften studiert die Eppendorferin Kunst. Das ist einmalig in Deutschland. So kam es dazu.

Zwischen den anderen Studenten, die durchs Treppenhaus an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften (HAW) auf der Uhlenhorst laufen, fällt Anneke Kruse kaum auf. Sie sieht nicht anders aus, sie benimmt sich nicht anders. Und doch unterscheidet sie sich von ihren volljährigen Kommilitonen: Denn mit ihren 16 Jahren ist sie die jüngste Studentin in Hamburg.

„Talent kennt kein Alter“, sagt Professorin Dorothea Wenzel, Dekanin der Fakultät Design, Medien und Information an der HAW an der Finkenau, über ihre jüngste Studentin. Und weil Anneke sehr talentiert ist, darf die Schülerin an der Hochschule studieren. Zwar nicht in Vollzeit, aber einmal in der Woche. Denn die Teilzeit-Studentin geht noch zur Schule, besucht das Johanneum in Winterhude.

Uni Hamburg: Mit Jungstudium sollen junge Talente gefördert werden

Altgriechisch und Geschichte hat sie dort als Profilfächer, und nicht etwa Kunst. „Das gibt es an unserer Schule nicht als Profil“, sagt sie. Doch das Zeichnen und Malen, vor allem das Illustrieren von Comics mit ihrer Hauptfigur, der Beaglehündin Marie, ist ihre große Leidenschaft. „Ich male und zeichne, seitdem ich einen Stift halten kann“, sagt Anneke, die in Eppendorf lebt. Für junge Kunsttalente wie sie ist das sogenannte Jungstudium gedacht.

Hamburgs jüngste Studentin Anneke Kruse (in der Mitte) mit Dekanin Dorothea Wenzel (l.) und Franziska Neubecker (Gründerin und Vorsitzende der Stiftung KulturVermögen, r.) vor dem Gebäude der HAW an der Finkenau
Hamburgs jüngste Studentin Anneke Kruse (in der Mitte) mit Dekanin Dorothea Wenzel (l.) und Franziska Neubecker (Gründerin und Vorsitzende der Stiftung KulturVermögen, r.) vor dem Gebäude der HAW an der Finkenau © FUNKE Foto Services | Thorsten Ahlf

Möglich macht das die Stiftung KulturVermögen mit ihrem Konzept zur Förderung junger Talente in Kooperation mit der HAW. Zum Sommersemester 2024 wurden somit erstmals Plätze für drei Jungstudenten geschaffen. Neben Anneke sind das Anna Cheremnykh aus Wedel​​​​​​​​​​​ und Paul Eirik Günther, beide 17 Jahre alt. Am 2. April ging es für sie los.

HAW: Jungstudentin Anneke kann schon jetzt Hochschulluft schnuppern

Das Besondere an dem Jungstudium: „Im Rahmen des Studiums hat das Talent die einmalige Gelegenheit, noch vor dem Schulabschluss ,Hochschulluft‘ zu schnuppern und besonders gefördert zu werden, um möglicherweise in den bildenden Künsten Fuß zu fassen“, sagt Franziska Neubecker von der Stiftung KulturVermögen.

Neben den Semestergebühren der HAW umfasst das Stipendium einen Materialgutschein über 200 Euro und ein Skizzenbuch. Erstmals wird damit an einer Kunsthochschule der in Deutschland gesetzlich verankerte Anspruch zu einem Frühstudium umgesetzt. Dorothea Wenzel: „Das ist deutschlandweit einmalig.“

Kunst-Studium: 16-jährige Hamburgerin hat schon ein Bilderbuch illustriert

Um angenommen zu werden, mussten Anneke und die anderen beiden Jungstudenten jeweils bis zu zehn Arbeiten mit Zeichnungen, Malerei oder Fotos sowie ein Schreiben zu ihrer Motivation einreichen.

Anneke Kruse aus Hamburg-Eppendorf hat schon ihr eigenes Bilderbuch illustriert: „Gerda wird Stadtmaus“.
Anneke Kruse aus Hamburg-Eppendorf hat schon ihr eigenes Bilderbuch illustriert: „Gerda wird Stadtmaus“. © FUNKE Foto Services | Thorsten Ahlf

Anneke hat unter anderem ein Selbstporträt abgegeben, das sie während eines dreimonatigen Internataufenthaltes im englischen Canterbury gezeichnet hat. Drei Monate lang ging es dort hauptsächlich um Kunst. Auch ein Bilderbuch hat die 16-Jährige bereits illustriert: „Gerda wird Stadtmaus“. Und dann ist da immer ihre Hauptfigur und ihr Lieblingsmotiv: Marie, die Beaglehündin.

Uni Hamburg: Beaglehündin Marie ist das Lieblingsmotiv von Anneke

„Marie ist mein Nachbarshund“, sagt Anneke, die selbst kein Haustier hat und schon als Grundschülerin im Park saß und am liebsten Hunde gezeichnet hat. Mit Hündin Marie hat sie noch einiges vor. „Mein Ziel ist es, einen Comicfilm mit Marie zu machen und sie so zum Leben zu erwecken.“

In dem HAW-Kurs „Drawn animation“, also gezeichnete Animation, lernt sie mittwochs genau das. Ihr wird beigebracht, wie sie das professionelle Zeichen- und Malprogramm Krita bedient. Erste Erfolge hat sie schon. Die Aufgabe „bouncing ball“, also einen springenden Ball zu erschaffen, hat sie gemeistert.

HAW Hamburg: Programm geht zunächst bis zum Ende des Sommersemesters

Hausarbeiten schreiben muss sie während ihres Studiums keine, sie muss auch keine Prüfungen machen. „Es geht darum, Arbeiten für ihre Mappe zu schaffen“, sagt Franziska Neubecker. Die Jungstudenten nehmen einmal in der Woche an einem Hochschulkurs teil. Angedacht ist das Programm bis zum Ende des Sommersemesters. „Die Studenten müssen sich bewähren und können sich erneut bewerben“, so Dorothea Wenzel.

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Jeden Mittwoch lässt Anneke für ihr Mini-Hochschulstudium Geschichte am Johanneum ausfallen, natürlich mit der Erlaubnis ihrer Schule. Denn ohne das Einverständnis der Schule ginge es gar nicht. Ist das nicht ziemlich viel Programm für eine 16-Jährige? Für manche sicherlich, für Anneke ist das Studium nur eine Beschäftigung von vielen anderen.

Einige der Zeichnungen, mit denen sich Anneke Kruse für ihren Platz an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften in Hamburg bewarb.
Einige der Zeichnungen, mit denen sich Anneke Kruse für ihren Platz an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften in Hamburg bewarb. © FUNKE Foto Services | Thorsten Ahlf

Denn wenn sie am Mittwochnachmittag fertig ist mit ihrem Kurs an der Uni, geht es am Abend weiter zur Bigband-Probe an der Schule. Anneke liebt Musik, sie spielt Trompete und nimmt außerdem einmal in der Woche Trompeten- und Gesangsunterricht, spielt im Landesjugendorchester.

Uni Hamburg: Nächste Woche verwandelt Anneke einen Tintenfisch in ein Radio

Sie engagiert sich auch in der Französisch-AG, weil sie nicht nur gern zeichnet und malt, sondern sich auch für Sprachen interessiert. Von ihren Eltern – ihre Mutter ist Ärztin, ihr Vater Steuerberater – habe sie das Talent übrigens nicht, sagt Anneke.

In der kommenden Woche steht dann „morphing“ auf dem Programm an der HAW. „Ich werde am Computer einen Tintenfisch in ein Radio umwandeln“, sagt Anneke und lächelt. Sie freut sich schon sehr darauf. Ihre Freunde, sagt Anneke, freuten sich für sie – auch wenn viele keine Lust auf so ein Pensum hätten.