Hamburg. Hauke Heekeren: Informatik-Ausbau unabdingbar für Spitzenforschung und Wirtschaft in Hamburg. Uni bekommt eigenen ChatGPT-Zugang.
„Künstliche Intelligenz revolutioniert die Hochschullandschaft“ – davon ist Hauke Heekeren überzeugt. Die Zukunft der Wissenschaft sei „interdisziplinär und KI-gestützt“, sagt der Präsident der Universität Hamburg. Deshalb haben alle Studierenden und Mitarbeitenden nun Zugriff auf „UHHGPT“– so nennt die Hochschule eine Schnittstelle, über die der Chatbot „anonym und datenschutzkonform“ genutzt werden könne.
Diese gewährleiste, dass personenbezogene Informationen über Studierende und Forschende nicht gespeichert und an den ChatGPT-Betreiber OpenAI übertragen werden. Zweifellos ein Vorteil, aber: Erleichtern der einfache Zugang und die Anonymität nicht auch das Schummeln? Schreibt KI künftig Seminar- oder sogar Abschlussarbeiten für Studierende? Wie bleibt die Integrität wissenschaftlicher Arbeit gewahrt?
Uni Hamburg: KI habe „enormes Potenzial, aber auch Herausforderungen“
Heekeren sagt, er sehe in KI „enormes Potenzial“ für Lehre, Forschung und Verwaltung, aber auch Herausforderungen; er wolle die Uni als Vorreiterin für eine innovative und zugleich „verantwortungsvolle“ KI-Nutzung positionieren. Die Hochschule teste, was sich mit KI-Werkzeugen alles machen lasse – vom Brainstorming über die Inhaltszusammenfassung von langen Texten bis zur Visualisierung von Forschungsergebnissen.
Die Nutzung von ChatGPT und anderer KI-gestützter Programme aus Angst vor wissenschaftlichem Missbrauch zu verbieten ist für ihn keine Option. „Natürlich begleiten wir das Ganze kritisch und reflektiert – und wir haben Vorkehrungen getroffen“, sagt der Uni-Präsident.
Uni Hamburg: Gremium legt Richtlinien für Umgang mit KI fest
Alle zwei Monate komme ein Gremium unter dem Vorsitz der Vizepräsidentin für Studium und Lehre mit Fachkundigen aus den Fakultäten und zentralen Bereichen der Uni zusammen. Die Gruppe hat in einem 13-seitigen Papier Richtlinien für den Umgang mit sogenannten generativen KI-Systemen (gKI) festgelegt, die Texte, Bilder und Videos erzeugen können.
Demnach können Studierende gKI unter anderem „zur Verbesserung von Schreibprozessen verwenden, zum Beispiel, indem sie sich Ideen für Themen generieren, Hilfestellungen beim sprachlichen Ausdruck geben oder Textpassagen übersetzen lassen“. Lehrende könnten gKI beispielsweise „als Unterstützung für die Erstellung von Lehrmaterialien, Aufgaben und Prüfungen ausprobieren, auf deren Tauglichkeit kritisch überprüfen“ und sich über diese Erfahrungen mit Kollegen austauschen.
Studierende dürfen KI als „Hilfsmittel“ für Hausarbeiten nutzen
Für Prüfungen gilt: Die Lehrenden sollen selbst festlegen, ob sie gKI zulassen – als „Hilfsmittel“ wohlgemerkt. Eine Zulassung grundsätzlich zu erlauben erscheine sinnvoll bei Prüfungen ohne Aufsicht wie Hausarbeiten, da sich eine unerlaubte Nutzung von KI nur schwer oder gar nicht nachweisen lasse, heißt es in den Richtlinien.
Es gebe bisher weltweit keine Software, die KI-generierte Sätze absolut zuverlässig erkenne, sagt Heekeren. Die Uni nutze Programme, die Plagiate identifizieren können, und unterstütze die Lehrenden darin, typische Merkmale KI-generierter Texte zu erkennen. „Unser Ziel ist ein differenzierter, pädagogisch fundierter Umgang mit KI in der Lehre, der technische Hilfsmittel mit menschlicher Urteilskraft verbindet.“ So wolle er sicherstellen, „dass die Integrität der akademischen Leistungen gewahrt bleibt und unsere Studierenden optimal auf die Herausforderungen des digitalen Zeitalters vorbereitet werden“, sagt Heekeren.
Wer eine KI-Nutzung nicht kennzeichnet, erhält die Note „nicht bestanden“
Die Studierenden müssen eine Nutzung von generativer KI als Hilfsmittel bei Hausarbeiten und anderen Prüfungen kennzeichnen. „Die Studierenden sollen damit ehrlich umgehen“, sagt der Uni-Präsident. Wer das nicht tue, dessen Prüfungsleistung werde mit „nicht ausreichend“ bzw. „nicht bestanden“ bewertet, heißt es in den Richtlinien.
Die Lehrenden sollen durch „geeignete Vorgaben“ sicherstellen, „dass eine Prüfungsleistung weiterhin als eigenständig erbracht gelten kann. Diese Eigenleistung soll einen erheblichen Teil ausmachen. „Rein KI-generierte Arbeiten ohne substanzielle eigene Leistung werden wir nicht als Prüfungsleistung anerkennen. Wir fordern weiterhin eigenständiges wissenschaftliches Arbeiten“, sagt Heekeren.
Die Zulässigkeit von generativer KI als Hilfsmittel ende da, „wo nicht unerhebliche Teile der abgegebenen Leistung von Textgeneratoren stammen und wo diese nicht als solche gekennzeichnet sind“, heißt es in dem Papier. Was als „nicht unerheblicher Teil“ gelten soll, sei allerdings von Fach zu Fach unterschiedlich und müsse in den Fakultäten diskutiert werden.
Uni-Hamburg-Präsident will Informatik erheblich ausbauen
Anders als sein Amtsvorgänger hat Heekeren eine hohe Affinität zur Digitalisierung. Das spiegelt sich etwa in seiner Kommunikation wider: Der Neurowissenschaftler und Arzt ist sehr umtriebig auf Social-Media-Plattformen wie LinkedIn und X (vormals Twitter). Dort arbeitet er emsig an der Außendarstellung seiner Hochschule. „Wenn wir als Exzellenzuniversität weiterkommen wollen und Hamburg als Wissenschafts- und Wirtschaftsstandort erfolgreich bleiben soll, müssen wir die Informatik weiter stärken“, sagt Heekeren.
Ob in den Naturwissenschaften oder in den Geistes- und Sozialwissenschaften: Die Auswertung und Nutzung großer Datenmengen mithilfe von KI-Verfahren wie dem maschinellen Lernen spiele eine immer wichtigere Rolle in der Forschung. „Zudem signalisiert uns die Hamburger Wirtschaft, dass sie einen sehr großen Bedarf an Informatik-Fachkräften hat.“
Heekeren plant 50 neue Informatik-Professuren innerhalb von fünf Jahren
Bei der Zahl der Informatik-Professuren hinkt Hamburg im Vergleich mit München noch hinterher. Doch seit seinem Amtsantritt im März 2022 treibe er den Aufwuchs der Informatik an der Universität voran, sagt Heekeren. 50 neue Informatik-Professuren innerhalb von fünf Jahren will er schaffen. „50 in 5“ nennt er seine Initiative und verweist darauf, dass die Uni in den vergangenen zwei Jahren schon zehn neue Köpfe gewonnen habe, rechne man zusätzliche Positionen im Kernbereich der Informatik und an Schnittstellen zu anderen Disziplinen („Brückenprofessuren“) zusammen.
Bei der Finanzierung setzt er auf mehrere Säulen. Aus Uni-eigenen Mitteln eingerichtet wurde eine Professur für maschinelles Lernen. Sie wird seit 2023 besetzt von Sören Laue, der zuvor in Kaiserslautern lehrte. Aus Exzellenzmitteln finanziert wird eine Brückenprofessur für Datenwissenschaft im Bereich Betriebswirtschaftslehre, für die Anne Lauscher 2022 aus Mailand nach Hamburg wechselte. Eine weitere Professur für maschinelles Lernen und eine zusätzliche Professur für Data Science seien derzeit ausgeschrieben, sagt Heekeren.
Gemeinsam mit dem Deutschen Elektronen-Synchrotron (Desy) in Bahrenfeld hat die Uni eine Informatik-Professur insbesondere für Hochleistungsrechnen und Datenwissenschaft geschaffen. Sie wird ab Mai besetzt von Philip Neumann, der von der Helmut-Schmidt-Universität kommt.
Hamburger Unternehmen finanzieren Informatik-Stiftungsprofessuren
Von Unternehmen wie Beiersdorf, Otto und Lufthansa Technik finanziert wird eine Informatik-Professur für den Masterstudiengang IT-Management und -Consulting. Eine zweite Professur werde ebenfalls von dem Unternehmensnetzwerk finanziert, sagt Heekeren.
Besonders stolz ist er auf den jüngsten Informatik-Coup der Universität: eine Kooperation mit dem renommierten Helmholtz-Zentrum für Informationssicherheit (Cispa) in Saarbrücken. Dessen Direktor Michael Backes berät unter anderem die Bundesregierung in puncto Cybersicherheit. Denkbar sei, dass das Cispa bald eine Depandance in Hamburg eröffne, sagt Heekeren.
Uni Hamburg: Informatiker-Mangel bedroht auch Wirtschaft
Mit seinem Kurs folgt er den Empfehlungen einer von der Wissenschaftsbehörde eingesetzten Expertenkommission, über deren Gutachten das Abendblatt im März 2023 berichtet hatte. Darin hieß es, Hamburg sollte neue Lehrstühle für maschinelles Lernen und Datenwissenschaft hochkarätig besetzen, „Brückenprofessuren“ zu anderen Disziplinen einrichten und erheblich mehr Informatik-Studienplätze schaffen. „Hamburg spielt mit der Informatik zwar schon in der Ersten Liga, rangiert dort jedoch noch in der Tabellenmitte – allerdings mit der Tendenz, nach oben zu klettern“, sagte Wolfgang Wahlster, Vorsitzender des Gremiums und Chefberater des Deutschen Forschungszentrums für Künstliche Intelligenz. Uni-Chef Hauke Heekeren sagt, schon die jüngst zusätzlich geschaffenen Informatik-Professuren gingen einher mit zusätzlichen Studienplätzen; weitere könnten hinzukommen.
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In dem Gutachten der Wahlster-Kommission heißt es auch, wenn Hamburg es nicht riskieren wolle, dass Unternehmen einige Arbeitsbereiche in andere Städte verlagerten oder ganz abwanderten, sollte die Stadt massiv in den Ausbau der Informatik an Hamburgs staatlichen Hochschulen investieren. Nötig sei ein „zusätzliches erhebliches finanzielles Engagement des Landes“, um auch zu verhindern, dass der Exzellenzstatus der Uni Hamburg in Gefahr gerate.
Heekeren sagt: „Wenn durch das Engagement der Uni die Informatik weiter wächst und erfolgreich ist, bin ich fest davon überzeugt, dass sich auch der Hamburger Senat mit zusätzlichen Mitteln beteiligen wird.“