Hamburg. Hamburger Friedhöfe kündigten neues Verfahren für Spätsommer an, aber Genehmigung fehlt weiterhin. Rechtsmediziner üben Kritik.
Sie werben mit dem „Kreislauf der Natur“ und der „schönsten Art zu bleiben“. Viele malerische Umschreibungen für ein Thema, das jeden betrifft – und mit dem sich viele Menschen nur ungern auseinandersetzen: dem Sterben und was danach mit dem Toten geschehen soll. Für das Unternehmen „Meine Erde“ scheint es an der Zeit für eine Revolution bei den Bestattungen. Und sie sehen sich offenbar als diejenigen, die dafür die Lösung bereithalten.
Binnen vierzig Tagen, so verspricht das Unternehmen, solle sich der Körper vollständig zu Kompost verwandeln. Jetzt plant das Berliner Unternehmen „Meine Erde“, sich in Hamburg zu etablieren. Vorbereitungen laufen, unter anderem auf dem Gelände des Friedhofs Öjendorf. Doch es hakt an entscheidender Stelle: Noch liegt in der Hansestadt keine Genehmigung für diese neue Bestattungsform, die Reerdigung, vor. Noch nicht einmal eine Duldung.
Friedhöfe kündigen neue Bestattungsform für Hamburg an – doch Genehmigung fehlt
Dabei hatten die Hamburger Friedhöfe den Bestattern bereits im August angekündigt, dass es diese neue Bestattungsform ab Spätsommer in der Hansestadt geben werde – sie wurde unter anderem im Zusammenhang mit Apfelhain und Baumgräbern genannt. „Wir haben uns da auf das Unternehmen ‚Meine Erde‘ verlassen, dass im Spätsommer bereits eine Genehmigung für Reerdigungen vorliegen wird“, sagt Lutz Rehkopf, Sprecher der Hamburger Friedhöfe. „Wenn aber keine Genehmigung erfolgt, wird es keine Reerdigungen in Hamburg geben.“
An der Entscheidung, ob diese Form der Bestattung in Zukunft zugelassen wird, sind in Hamburg vier Behörden beteiligt: Umweltbehörde, Wissenschaftsbehörde, Justizbehörde sowie das Amt für Gesundheit in der Sozialbehörde. Federführend ist dabei die Umweltbehörde. Von dort ist zum Stand des Verfahrens lediglich zu hören: „Die Abstimmung zu einem Pilotprojekt läuft noch. Es werden weiterhin Gespräche geführt.“ Die Gesundheitsbehörde ist offenbar erst jüngst zu dem Prozedere hinzugezogen worden, nachdem sie mitgeteilt hatte, Hygienefragen prüfen zu wollen.
Reerdigung: Rechtsmediziner haben Bedenken gegen Bestattungsform
Kritik an der Bestattungsform kommt vor allem aus der Rechtsmedizin. Führende Rechtsmediziner hatten ihre Vorbehalten bereits vor einem Jahr geäußert, als es im schleswig-holsteinischen Mölln ein entsprechendes Projekt gegeben hat. Diese Bedenken sind nach wie vor nicht ausgeräumt.
„Nach meiner Überzeugung wäre es verfrüht, Reerdigungen in Hamburg anzubieten“, sagt der Direktor des Instituts für Rechtsmedizin, Prof. Benjamin Ondruschka. Und sein Vorgänger, Rechtsmediziner Prof. Klaus Püschel, moniert, die Reerdigung habe „nichts mit Ruhe und Frieden zu tun“. Es handele sich dabei eher um „technische Prozesse und nicht natürliche Abläufe“. Die „eher malerischen Ausdrücke“ des Unternehmens „Meine Erde“ seien „erkennbar von Marketinginteresse geprägt“.
Das Unternehmen „Meine Erde“ wirbt etwa mit dem Motto „Im Kreislauf der Natur“ und dem Aufruf „Werde Erde“. „Eine Reerdigung stellt die derzeit innovativste, nachhaltigste und lebensbejahendste Bestattungsart dar“, sagt Pablo Metz, der neben Max Huesch Geschäftsführer von „Meine Erde“ ist.
Friedhof Hamburg: Verstorbene soll „sanft auf Stroh und Grünschnitt gebettet werden“
Auf seiner Website wirbt das Unternehmen außerdem damit, der Verstorbene werde „sanft auf Stroh und Grünschnitt gebettet“ und dann für 40 Tage in einem „Kokon“, einem sargähnlichen Behältnis, geborgen. Natürliche Mikroorganismen, die im menschlichen Körper und den pflanzlichen Materialien enthalten sind, „transformieren den Körper“.
„Dank perfekter Bedingungen“ und der Arbeit der Mikroorganismen werde „innerhalb von 40 Tagen alles Organische in Erde verwandelt“, heißt es weiter. Nun sei fruchtbarer Humus entstanden. Verbliebene Knochen und Knochenfragmente würden „verfeinert“ und dem Humus beigegeben. So entstehe „feinrieselige Erde“, in die ein Baum oder Blumen gepflanzt werden könnten.
Was so natürlich und ökologisch wertvoll klingt, stößt bei Rechtsmedizinern auf erhebliche Bedenken. Diese Form der Bestattung werfe noch zu viele Fragen auf, sagen die Experten Ondruschka und Püschel. Es fehlten „wissenschaftlich belastbare Informationen, welche allesamt für die Sterbenden und ihre Angehörigen tiefe ethische, religiöse und rechtliche Aspekte tangieren“.
Bei der Reerdigung könnte es sich um „Störung der Totenruhe“ handeln
Unter anderem sei bedenklich, dass der Kokon laut „Meine Erde“ während des Transformationsprozesses „gedreht, von Gas durchblasen und bewegt“ werde. Möglicherweise liege dadurch eine „Störung der Totenruhe“, also ein Straftatbestand, vor, sagen die Rechtsmediziner. Zudem werde ein menschlicher Leichnam nicht, wie von der Anbieter-Firma beworben, innerhalb von 40 Tagen vollständig zersetzt — zumindest nicht, wenn dies allein durch natürliche Prozesse geschehen soll. Relevante Teile des Knochengerüstes würden noch intakt bleiben.
Laut „Meine Erde“ werden diese dann „verfeinert und dem Humus beigegeben“. Doch die Rechtsmediziner weisen darauf hin, dass etwa Oberschenkel und Schädelknochen so stabil seien, dass sie nach den 40 Tagen im Beet aus Stroh und Blumen tatsächlich noch geschreddert werden müssten. Dass dem Kokon am Ende Humus entnommen werde, sei „völlig falsch“, sagt Püschel. Vielmehr handele es sich um Kompost, der „Überreste von verfaultem Gewebe“ enthalte.
Reerdigung: Kritikpunkte wurden der Umweltbehörde mitgeteilt
Auch Ondruschka widerspricht, dass nach 40 Tagen „alles Erde“ sei. „Mitnichten!“, betont der Rechtsmediziner. Anders sei dies bei der Kremation. Nach dieser seien „die Knochen kalzifiziert und ,verascht‘, das heißt, sie fallen beim Kontakt in sich zusammen.“
„Das, was von uns schon damals kritisch bewertet wurde, ist aktuell weiterhin nicht hinreichend geklärt“, sagt Ondruschka. „Es wurde von den Anbietern mitgeteilt, dass wissenschaftliche Untersuchungen stattfanden. Aber die Ergebnisse davon liegen nicht vor und können somit auch nicht überprüft werden.“ Seine Kritikpunkte habe er auch der Umweltbehörde mitgeteilt.
Zwar glaubt Ondruschka, dass es „ganz wichtig ist, neuen Dingen eine Chance zu geben. Aber genau die Punkte, die von uns kritisch bewertet wurden, sind weiterhin nicht beantwortet“. Seine Kritikpunkte habe er auch der Umweltbehörde mitgeteilt.
Angaben von „Meine Erde“ mussten mittlerweile korrigiert werden
Auffällig sei die Diskrepanz zwischen der aufwendigen, professionell gestalteten Website des Anbieters „Meine Erde“ und wie im Vergleich dazu „eher amateurhaft nach und nach weitere Anpassungen aufgrund der kritischen Anmerkungen erfolgten“, sagt der Rechtsmediziner. Allerdings habe man vonseiten „Meine Erde“ mittlerweile eingeräumt, dass auch nach der angeblichen Transformation innerhalb von 40 Tagen noch Knochenteile existieren. „Es musste also korrigiert werden.“
Auf Abendblatt-Anfrage sagt das Unternehmen „Meine Erde“, die nach der Transformation übrig bleibenden Knochen würden mit einer Knochenmühle gemahlen. Im Übrigen führe das Rechtsmedizinische Institut der Universität Leipzig eine Begleitforschung zur Reerdigung durch.
Uni Leipzig führt Begleitforschung zur Reerdigung durch
Eine Zusammenfassung der Ergebnisse liege vor und sei bereits den prüfenden Behörden mitgeteilt worden. „Wie im Wissenschaftsbetrieb üblich, werden die Untersuchungsergebnisse in Kürze in einer Fachzeitschrift veröffentlicht und dann sicher auch in Fachkreisen weiter diskutiert“, so das Unternehmen.
Diese Begleitforschung stehe jedoch offenbar auf schwachem Fundament, heißt es kürzlich im „Spiegel“. Der zuständige Studienleiter habe demnach auf einer Bestattertagung im September eingeräumt, nur eine einzige Probe von den Überresten eines kompostierten Leichnams genommen und untersucht zu haben. Ebenfalls für Verwunderung sorgte in diesem Zusammenhang das Eingeständnis, es habe sich dabei um die Überreste eines Körperspenders gehandelt, da diese üblicherweise in konservierendem Formaldehyd gelagert würden.
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Bevor das Unternehmen die Reerdigung auch in Hamburg anbieten könne, setze dies „selbstverständlich die Duldung voraus, die von den Hamburger Behörden aktuell noch geprüft werde. Dazu liegen uns keine Erkenntnisse und kein Zeitplan vor“, heißt es von „Meine Erde“.
Allerdings hat das Berliner Unternehmen bereits auf dem Öjendorfer Friedhof ein Gelände gepachtet, auf dem ein sogenanntes Alvarium aufgestellt werden soll. In diesem sollen die Kokons, in denen die Toten gebettet werden sollen, dann während der „Transformation“ gelagert werden.
Reerdigung in Hamburg: Friedhöfe haben bisher keinen neuen Starttermin
Noch seien diese Kokons aber nicht geliefert, sagt dazu Lutz Rehkopf, Sprecher der Friedhofsverwaltung Ohlsdorf und Öjendorf. Er erklärt, dass die Hamburger Friedhöfe der Reerdigung grundsätzlich offen gegenüberstünden. „Sonst hätten wir den Bau eines Alvariums niemals zugelassen.“ Rehkopf betont allerdings, dass es nicht die „Hamburger Friedhöfe“ seien, die Reerdigungen anbieten würden. Es sei lediglich an „Meine Erde“ eine Fläche für das Alvarium vermietet worden. Dieses Unternehmen sei dann zuständig.
Wann Reerdigungen möglich seien, sei weiter offen, nachdem zwei anvisierte Daten im Frühherbst und Anfang Oktober verstrichen sind, weil noch keine Genehmigung vorlag. „Wir tun gut daran, keine neuen Termine zu nennen“, so Rehkopf.
Allerdings stünden andere alternative Anlagen für Särge und Urnen bereits zur Verfügung. So gebe es mittlerweile den Apfelhain, auch Baumgräber könnten bereits genutzt werden, erklärt der Sprecher. Und der Wildblumengarten mit Wasserurnen sei erweitert worden. Dieser wird im Spätherbst eröffnet.