Hamburg. Dr. Matthias Priemel erlebt jeden Tag schwerste Verletzungen. Viele könnten vermieden werden – wenn man vorher das Risiko bedenkt.

Dr. Matthias Priemel arbeitet als Unfallchirurg am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE) und erlebt fast täglich, wie schwer sich Menschen verletzen können – bei vermeintlich banalen Handwerkstätigkeiten im eigenen Haus, beim Fahrrad- oder E-Scooterfahren.

Viele Unfälle wären vermeidbar, wenn sich die Menschen mehr über die Risiken im Klaren wären. „Ich muss mir überlegen: Wenn ich verunglücke und ich womöglich berufsunfähig werde oder meinen derzeitigen Beruf wechseln muss: Ist es das wert?“, sagt der 54-Jährige.

UKE-Unfallchirurg warnt: Viele Menschen überschätzen sich und verletzen sich dann

Ein grundsätzliches Problem: Erwachsene überschätzen sich häufig, so der Mediziner. „Ich bin vielleicht mal sportlich gewesen, und dann will ich mit meinen Kindern Inlineskaten oder Trampolinspringen. Man ist aber nicht mehr so beweglich, nicht so schnell und nicht mehr 15 Jahre alt. Das führt zum Beispiel dazu, dass man sich beim Inlineskaten die Handgelenke oder den Arm bricht.“

Aber bei aller Vorsicht, sagt Matthias Priemel auch: „Ich sehe in meinem Berufsalltag natürlich nur das Negative, ich sehe nicht die Roller- oder Motorradfahrer, die sich nie ernsthaft verletzen.“

Er selbst ist seit seiner Jugend begeisterter Windsurfer, fährt leidenschaftlich gern Rennrad. „Beim Windsurfen ist das Risiko, sich zu verletzen, zum Beispiel geringer als beim Kiten“, sagt er. Doch auch beim Rennradfahren könne man sich Schulterverletzungen zuziehen. Ein Restrisiko bleibe bei allen Freizeitaktivitäten. Doch es gibt acht Dinge, die der Unfallchirurg nie machen würde.

Hamburger Unfallchirurg: Niemals ohne Helm Fahrrad fahren

Nein, niemals würde Matthias Priemel ohne Helm fahren. Auch seine drei Kinder (drei, fünf und sieben Jahre alt) tragen grundsätzlich beim Fahrrad- oder Laufradfahren Helm. Dass ihre Eltern mit gutem Beispiel vorangehen, macht es noch selbstverständlicher. „Ich fahre auch bei fünf Kilometern pro Stunde Helm, sonst mache ich mich unglaubwürdig.“ Der Mediziner versteht nicht, warum es nicht längst eine Fahrradhelmpflicht gibt. „Beim Autofahren haben sich auch alle an den Anschnallgurt gewöhnt.“

Auch wenn schwere Kopfverletzungen selten sind – „aber wenn sie vorkommen, sind die ganz fürchterlich. Dann weiß man nie, ob man sich jemals wieder davon erholt, ob man in seinem Beruf weiter tätig sein kann. Wenn man das mit leichten Mitteln verhindern kann, sollte man es tun.“

Hinzu komme, dass – so schätzt der Mediziner – 80 Prozent der neuen Fahrräder, die gekauft würden, elektrobetrieben seien. „Sie erreichen Geschwindigkeiten, die sie ohne Elektroantrieb nie erreichen würden. Durch die hohen Geschwindigkeiten und durch die zunehmende Zahl an Fahrradfahrern und der Verkehrsdichte ist das Risiko, zu verunglücken, einfach höher geworden.“ Als Fahrradfahrer ziehe man bei Unfällen einfach immer den Kürzeren.

E-Scooter sind schnell und haben kleine Reifen – bei Unfällen gibt es meistens auch Verletzte

„Ich würde nicht mit Elektrorollern fahren“, sagt Priemel. Die seien zwar lustig, aber: „Man fährt viel zu schnell auf viel zu kleinen Reifen. Die Gefahr ist, bei jedem Kantstein mit dem Lenker umzuschlagen und sich dann bei einer hohen Geschwindigkeit schwer zu verletzen.“ Er und seine Kollegen sehen im Krankenhaus viele Menschen, die mit dem E-Scooter verunglückt sind. „Seit der Einführung der Roller 2019 haben wir 450 Verunfallte gezählt“, so Priemel.

Es überwiegen Extremitätenverletzungen. Allerdings weist die Hälfte der Patienten auch Kopf- und Gesichtsverletzungen auf. „Unter Alkoholeinfluss steigt der Anteil der Kopf- und Gesichtsverletzungen auf 80 Prozent.“ Fazit: Geht es um Verletzte, ist die Quote bei E-Scootern enorm hoch. Bei 83 Prozent der Unfälle in Hamburg wurde auch deren Fahrer verletzt.

Motorradfahrer sind nicht gut geschützt – bei Unfällen kommt es zu schweren Verletzungen

„Selbst wenn es noch so faszinierend ist, zieht man als Motorradfahrer – das muss jedem Motorradfahrer bewusst sein –den Kürzeren.“ Auch wenn diesen keine Schuld treffe. Tatsächlich geben 90 Prozent der Motorradfahrer, die bei ihm im Krankenhaus landen, an, dass sie keine Schuld hatten.

„Das nützt denen aber nichts. Durch die hohe Geschwindigkeit und dadurch, dass sie nicht gut geschützt sind, tragen sie immer erhebliche Verletzungen davon – es sind Polytraumata mit schweren Verletzungen an Lunge, Kopf und Extremitäten.“ Wenn man im Leben steht, einen Beruf ausübt, eine Familie hat, müsse man sich überlegen, ob man das Risiko eingehen kann, das mit Motorradfahren verbunden ist.

UKE: Hamburger Unfallchirurg feiert keinen Kindergeburtstag im Trampolinpark

Zum Kindergeburtstag geht der Unfallchirurg Matthias Priemel vom UKE in Hamburg-Eppendorf mit seinen Kindern nicht in den Trampolinpark, die Verletzungsgefahr ist zu hoch.
Zum Kindergeburtstag geht der Unfallchirurg Matthias Priemel vom UKE in Hamburg-Eppendorf mit seinen Kindern nicht in den Trampolinpark, die Verletzungsgefahr ist zu hoch. © picture alliance / Thomas Uhlemann/dpa-Zentralbild/ZB | Thomas Uhlemann

Matthias Priemel hat zu Hause ein Trampolin im Garten. „Wir achten immer darauf, dass nicht zu viele Kinder gleichzeitig springen“, sagt er. Jetzt stand im Hause Priemel an, zum Kindergeburtstag der Tochter ins Jumphouse zu gehen, aber Vater Priemel und seine Frau haben das abgelehnt. „Das wollen wir nicht. Wenn man aus einer gewissen Höhe unglücklich aufkommt, auch bei Kindern, ist die Gefahr von Verletzungen beträchtlich.“ Meistens sind es Verletzungen am Sprunggelenk, am Unterschenkel, am Knie.

Skifahren ohne Fitnesstraining birgt große Verletzungsgefahren

Viele Hamburger fahren ja gern einmal im Jahr eine Woche Ski, häufig schon seit 30 oder 40 Jahren. „Was dann viele vergessen: Man ist aber auch 30 oder 40 Jahre älter geworden. Da muss man sich die Frage stellen, wie fit man für diese einwöchige Belastung ist“, sagt der Unfallchirurg.

Skifahren ohne vorheriges Training? Kann schnell mit Knieverletzungen enden.
Skifahren ohne vorheriges Training? Kann schnell mit Knieverletzungen enden. © picture alliance / ANP | JEFFREY GROENEWEG

Sinnvoll sei es sicherlich, drei Wochen vorher ins Fitnessstudio zu gehen und zu trainieren. „Beim Skifahren besteht eine immense Geschwindigkeit, und durch die Skier entsteht eine erhebliche Hebelwirkung auf die Beine“, sagt Priemel. Er und seine Kollegen sehen dann die Heimkehrer mit Knieverletzungen. „Es geht nicht darum zu sagen: Man soll nicht Skilaufen“, so der Arzt. „Aber man muss sich bei allen Freizeitaktivitäten überlegen, wie fit man ist. Kann man es konditionell und von der Konstitution her leisten?“

Bäume absägen oder Regenrinne säubern überlässt der Unfallchirurg lieber Fachleuten

Regenrinnen säubern, Bäume absägen, Garagendach reparieren ist etwas, das Matthias Priemel lieber den Fachleuten überlässt, weil es sich alles in großer Höhe abspielt. „Man unterschätzt schnell, was passieren kann, wenn man aus drei Metern Höhe abstürzt. Da sind Brüche garantiert.“

Und Stürze aus sieben Meter Höhe können lebensgefährlich sein.

Vorm Gang in den Baumarkt sollte man sich fragen: Kann ich mit einer Kreissäge umgehen?

„Man kann sich im Baumarkt ja alles kaufen, von der Kreissäge bis zur Kettensäge. Aber man muss schauen, ob man damit auch umgehen kann.“ Bei Arbeiten mit der Kreissäge und Handschuhen besteht die Gefahr, dass die Säge den Handschuh erwischt und die Hand ins Sägeblatt zieht.

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„Die Folge sind schwerste Verletzungen, die sich Hobbybastler zuziehen können. Und wir sprechen davon, dass schnell mal ein oder mehrere Finger ab sind und man vielleicht arbeitsunfähig ist, den bisherigen Beruf nicht mehr ausüben kann.“

UKE Hamburg: Unfallchirurg würde nie Kindern erlauben, eine Rakete zu zünden

„Natürlich würde ich keinen Böller in der Hand zünden“, so Priemel. Was vielen Menschen nicht klar sei, seien die möglichen Konsequenzen. „Dabei kann die Hand weggesprengt werden, oder Finger können so schwer beschädigt werden, dass sie unbrauchbar sind.“ Kindern würde er niemals erlauben, eine Rakete anzuzünden.

Grundsätzlich gilt bei jeder Sportart oder jeder Arbeit mit gefährlichen Werkzeugen: „Man sollte sich einmal kurz überlegen: Was mache ich da und worin könnte das Risiko bestehen?“, rät Matthias Priemel. „Das würde ich mir wünschen, dann könnte ein Teil der Unfälle vermieden werden.“