Hamburg. In den 80ern griffen Rechte immer wieder Migranten an – drei Menschen starben. Nun wird in Eppendorf an die grausamen Taten erinnert.
Als Nazis ihren Lebensgefährten Ramazan Avci im Dezember 1985 ermordeten, war Gülüstan Avci hochschwanger. Sie hat nie geheiratet, ist keine neue Beziehung eingegangen. Heute lebt die Türkin in einer kleinen Wohnung in Barmbek. Unauffällig, bescheiden. Aber nicht vergessen: Michael Werner-Boelz, Bezirksamtsleiter in Hamburg-Nord, erinnert mit einer Ausstellung im Bezirksamt in Hamburg-Eppendorf an die Neonazi-Morde aus Fremdenhass in Hamburg in den 1980er-Jahren.
Ramazan Avci wurde am 21. Dezember 1985 an der Hasselbrookstraße in Eilbek von Neonazis gejagt, attackiert und malträtiert. Drei Tage lang lag er im Koma, bevor er starb. Wenige Tage später brachte seine Frau Gülüstan den gemeinsamen Sohn zur Welt. Der Mord an Ramazan Avci war zu der Zeit der vorläufige Höhepunkt rassistischer Morde in Deutschland. Verurteilt wurden die Täter wegen Totschlags.
Rassismus in Hamburg: Als Neonazis und HSV-Fans Migranten zu Tode prügelten
Das ist damals geschehen: In den 1980er-Jahren verübten Neonazis und Skinheads Brandanschläge und gewalttätige Übergriffe auf Migranten, aber auch gegnerische Fans. Mindestens drei Menschen wurden unter Beteiligung von rechten HSV-Anhängern ermordet: Der Werder-Fan Adrian Maleika wurde im Volkspark getötet, Mehmet Kaymakçı in Langenhorn und Ramazan Avci in Eilbek.
„Ins rechte Licht gerückt“ heißt die Ausstellung des HSV-Museums, die sich mit rassistisch motivierter Gewalt von Neonazis und Skinheads in den 1980er-Jahren in Hamburg beschäftigt. Im Mittelpunkt der Schau im Bezirksamt – sie ist nur ein Teil der gesamten Ausstellung – stehen die in Hamburg-Nord verübten Morde an Mehmet Kaymakçı und Ramazan Avci. Die Täter gehörten zur HSV-Fanszene.
Mit der Präsentation will das Bezirksamt Hamburg-Nord den Opfern gedenken und auf die grausamen Taten dieser Zeit aufmerksam machen.
Bezirksamtsleiter von Hamburg-Nord setzt sich gegen Rassismus ein
Bezirksamtsleiter Michael Werner-Boelz liegt das Thema Rassismus sehr am Herzen. „Eine klare Positionierung gegen gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit, gegen Rassismus und Antisemitismus, ist für mich handlungsleitend. Diese Ausstellung macht deutlich, wohin Rassismus führt. Wir müssen uns kritisch mit unserer Geschichte auseinandersetzen, um für die Gegenwart und Zukunft die richtigen Lehren zu ziehen.“
Der Soziologe und Aktivist Gürsel Yildirim aus Hamburg widmet sich seit vielen Jahren dem Kampf gegen Rassismus und steht in engem Austausch mit den Hinterbliebenen, wie etwa Gülüstan Avci. In diesen Tagen hilft er der 57-Jährigen unter anderem beim Übersetzen, da sie kein Deutsch spricht.
Neonazi-Morde: Hinterbliebene verlangen von der Stadt Hamburg eine Entschädigung
Yildirim möchte Dinge klarstellen. Vor allem wehrt er sich dagegen, Hinterbliebene als bloße Opfer zu sehen. „Manche sehen Gülüstan scheinbar nur als armes Objekt, die arme Witwe von Ramazan Avci. Das ist unwürdig.“ Gülüstan lebe nicht als eine gebrochene Frau. „Sie läuft nicht mit gesenktem Kopf durch die Gegend, sie ist Kämpferin.“
Doch für eine Entschädigung kämpft sie bislang vergeblich. So wichtig solche Ausstellungen seien, so wichtig sei es aber auch, dass die Stadt Hamburg sich der Verantwortung stelle für diese politisch motivierten Taten, sagt Gürsel Yildirim. „Gülüstan hat keine Opfer-Entschädigung bekommen, der Antrag wurde schon lange gestellt. Dabei hätte es der Familie gutgetan.“
Bis zu dessen 18. Geburtstag hat ein CDU-Politiker Gülüstan Avcis Sohn finanziell unterstützt – von der Stadt oder dem Staat habe es keinerlei Hilfen gegeben.
„Rassismus macht krank“ – Opfer leiden ihr Leben lang
Gülüstan gehe es nicht gut, sagt Gürsel Yildirim. „Klar ist Gülüstan krank geworden. Welche Opfer rassistischer Gewalt, rassistischer Morde und Anschläge sind nicht davon krank geworden, leben nicht in traumatisierten Lebensumständen. Traumata begleiten sie alltäglich. Rassismus macht krank, aber das beste Mittel dagegen ist Antirassismus“, so Gürsel Yildirim.
Was die Familie derzeit dringend benötige, sei eine größere Wohnung. „Sie lebt mit Sohn Ramazan, Schwiegertochter und zwei Enkeln in einer kleinen Wohnung.“
Nazi-Morde: Witwe von Ramazan Avci sucht dringend eine größere Wohnung
Die städtische Wohnungsbaugesellschaft Saga habe bislang nicht helfen können, eine größere Wohnung in Barmbek zu finden – Gülüstan Avci möchte gern in der ihr vertrauten Gegend wohnen bleiben.
- Hasstaten in Hamburg - Fast so viele wie im Rekordjahr 2021
- 700 neue Wohnungen am Diekmoor – Kritik an Bürgerbeteiligung
- Das sind die größten Klimasünder beim Bezirksamt Nord
Auch den HSV sieht Gürsel Yildirim in der Verantwortung. Denn es waren auch HSV-Fans unter den mordenden Neonazis. Das HSV-Museum hatte die Ausstellung „Ins rechte Licht gerückt“ bereits mit Unterstützung des Supporters Club sowie der DFL-Initiative „PFiFF“ vom 22. März bis zum 31. August 2022 in seinen Räumen im Volksparkstadion gezeigt.
Rassismus in Hamburg: HSV will Erinnerung an grausame Taten aufrechterhalten
Die Schau ist eine Leihgabe des HSV-Museums. „Wir freuen uns sehr über die Gelegenheit, unsere Ausstellung auch außerhalb des Fußball- und HSV-Umfeldes zeigen zu dürfen“, sagt Leiter Niko Stövhase. „Damit möchten wir sichtbar Verantwortung für unsere Geschichte übernehmen.“ Und er wünscht sich, dass die Ausstellung an weiteren Orten außerhalb des Volksparks gezeigt wird.
Dank des Netzwerks Erinnerungsarbeit seien die damaligen Geschehnisse Teil der Erinnerungskultur beim HSV und auch bei den jüngeren Fans bekannt. „Diese Erinnerung wachzuhalten und mit Leben zu füllen ist eine bedeutende Aufgabe der Gemeinschaft des HSV.“
Die Ausstellung im Foyer des Bezirksamtes Hamburg-Nord in der Kümmellstraße 7 in Eppendorf ist bis zum 11. August kostenlos zu sehen.