Hamburg. Die DLRG sucht dringend Rettungsschwimmer und bietet eine Ausbildung an. Das Abendblatt war beim Training dabei. Ein Selbstversuch.
So in etwa muss es sich wohl anfühlen, durch einen Pudding zu schwimmen. Meine Arme und Beine sind längst schwer, der Druck nach unten wird mit jedem Zug stärker. Von dem Gefühl der Leichtigkeit im Wasser ist nichts mehr übrig. Ich japse nach Luft.
Zum ersten Mal in meinem Leben schwimme ich heute in Klamotten. Genauer: Ich trage einen auch im trockenen Zustand schon schweren Baumwollanzug. Binnen Sekunden saugt der sich so voll mit Wasser, dass sich jede Arm- und Beinbewegung anfühlt, als würde man mit deutlich zu schweren Gewichten im Fitnessstudio trainieren.
Rettungsschwimmer: 300 Meter schwimmen in Kleidung für Abzeichen in Silber
Nach vier Bahnen à 25 Meter ist für mich Schluss. Ich kann nicht mehr. So ist es einfach. Dabei halte ich mich doch für eine gute und sichere Schwimmerin! Kraulen? Brust? Rücken? Alles kein Problem. Und doch: Angezogen ist es einfach etwas anderes. 300 Meter schwimmen in Kleidung – das ist nur eine von mehreren Anforderungen, die man meistern muss, um das Deutsche Rettungsschwimmabzeichen in Silber zu erhalten.
Um dafür zu trainieren, bin ich heute Abend in die Schwimmhalle der Bartholomäus-Therme in Barmbek gekommen. Hier findet jeden Dienstag das Rettungsschwimmer-Training der DLRG Hamburg Nord-Ost statt. Seit Jahren schon habe ich mir immer wieder vorgenommen herzukommen. Aber der Tag passte nicht. Die Umstände passten nicht. Und auf dem Sofa war es ja auch gemütlich.
Ausgebildete Rettungsschwimmer fehlen im ganzen Land
Mit mir sind zwölf andere Personen im Becken. Die meisten hier wollen auch das silberne Rettungsschwimmer-Abzeichen machen. Das braucht man unter anderem, um den Wasserrettungsdienst an den Küsten zu übernehmen. Der Kurs – so sagt es mir Ausbilder Niklas Cordes – ist ausgebucht. Das ist eine gute Nachricht. Denn ausgebildete Rettungsschwimmer fehlen im ganzen Land. Schon vor Corona gab es Engpässe. Als die Ausbildung dann im Lockdown nicht stattfinden konnte, verschärfte sich die Lage weiter. Teilweise war die Personalnot so groß, dass Freibäder ihren Betrieb einschränken mussten. Auch in Hamburg war das so.
Und auch in der vergangenen Saison gab es sie wieder, diese unerträglichen Nachrichten von Erwachsenen und Kindern, die in der Elbe, Nord- oder Ostsee ertrunken sind. Weil sie nicht sicher schwimmen konnten, die Strömung unter- und ihre Kräfte überschätzten, weil sie in Gedanken woanders waren, weil Eltern alles auf dem Smartphone wichtiger fanden oder weil eben keiner da war, der helfen konnte.
Menschen vor dem Ertrinken retten: ohne gute Technik kaum zu schaffen
Das mit dem Helfen – das klingt in der Theorie so leicht. Aber: Jemanden aus dem Wasser zu retten, der womöglich Todesangst hat, kann auch für den Helfer gefährlich werden. Der Ertrinkende ist in Panik, sucht Halt und schlingt seine Arme um alles, was er findet – auch um den Helfer.
Damit das eben nicht passiert, lernen wir hier vor der eigentlichen Rettung ans sichere Land erst mal die Befreiung. Dafür gibt es verschiedene Griffe und Kniffe, die wir zunächst am Beckenrand und dann mit einem Partner im Wasser üben. „Es geht immer darum, den Ertrinkenden in eine Position zu bringen, in der er in Rückenlage im Wasser bis zum Ufer geschleppt werden kann und dabei gut Luft bekommt“, erklärt Ausbilderin Sarah Liebner. Ich finde: Die Griffe sind an sich nicht so schwer. Aber ganz klar ist auch, dass ich es intuitiv niemals richtig gemacht hätte.
- Nach der Corona-Pandemie lernen wieder mehr Kinder schwimmen
- In diesen Stadtteilen können viele Kinder nicht schwimmen
- Traurige Gewissheit: Zehnjähriger tot im Hafen gefunden
Wird man etwa von dem Ertrinkenden angegriffen, sollte man sich im besten Fall erst mal unter Wasser sinken lassen. Warum? Umgekehrte Psychologie. „Der Ertrinkende lockert in dem Moment den Griff, weil er ja nach oben und nicht nach unten will“, erklärt Liebner. „Dann fällt die Befreiung leichter.“
Halten wir fest: Intuition bringt einen nicht weiter. Kraft auch nicht. Nur Technik und unendlich viele Wiederholungen. „Sonst hat man kaum eine Chance“, sagt Liebner. Die 30-Jährige ist Ärztin am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE) und seit ihrer Kindheit bei der DLRG engagiert. Jede Saison übernimmt sie für ein paar Wochen den Wasserrettungsdienst in einem Badeort an der Nordseeküste. Auf die Frage, ob sie dabei schon mal in Situationen gekommen ist, in denen sie wirklich Ertrinkende retten musste, erzählt sie: „Ja, klar. Das passiert leider regelmäßig, aber darauf sind wir ja auch vorbereitet.“ Einmal habe sie zum Beispiel zwei Grundschulkinder aus dem Wasser gerettet, die von der Strömung mitgerissen worden waren.
Rettungsschwimmen: Auch das An-Land-Holen muss gelernt sein
Wie so oft hätten Passanten damals die Notsituation bemerkt und Hilfe geholt. „Die Kinder waren eigentlich nicht weit abgetrieben. Und doch ist es für jemanden ohne Rettungskenntnisse fast unmöglich, die Kinder aus dem Wasser zu retten und sicher an Land zu bringen“, so die 30-Jährige. Das An-Land-Holen ist der nächste Punkt, der heute in der Bartholomäus-Therme auf dem Programm steht. Auch dafür gibt es Techniken, die für sich genommen eigentlich einfach sind. Man muss sie nur kennen – und dann ist es ein bisschen wie Zauberei.
Nach einigen Wiederholungen gelingt es mir – eine Frau, die größer und schwerer ist als ich es bin – über die Kante aus dem Wasser an den Beckenrand zu ziehen und sie dort sicher abzulegen. Man muss es vielleicht einmal gemacht haben, damit einem bewusst wird, dass das ohne Technik einfach nicht zu schaffen ist.
Dass ich bis vor zwei Stunden noch heimlich dachte, dass ich das Abzeichen mehr oder weniger mit links machen würde, erscheint mir zunehmend absurd. „So ganz aus dem Stegreif geht das natürlich nicht“, sagt Ausbilder Niklas Cordes. Aber – und das ist die gute Nachricht. „Es ist für jeden zu schaffen, der gut und sicher schwimmen kann.“
Neun Einheiten à zwei Stunden umfasst die praktische Ausbildung bei der DLRG Hamburg Nord-Ost. Dazu gehört auch Theorieunterricht und ein Erste-Hilfe-Kurs. Atmet der Ertrunkene nicht mehr, muss der Rettungsschwimmer natürlich auch an Land die Wiederbelebung übernehmen.
Rettungsschwimmen: 25 Meter Streckentauchen wird verlangt
Die DLRG bietet die Kurse an unterschiedlichen Standorten in Hamburg an (siehe Übersicht unten). Wer mindestens 16 Jahre alt ist, kann mitmachen. In der Bartholomäus-Therme sind viele junge Leute im Studentenalter dabei, die nach Bronze-, Silber- und Gold-Abzeichen einfach weitermachen wollten. Aber auch eine Lehrerin ist hier, die den Schein gerne machen möchte, um sich bei der nächsten Klassenfahrt auf Sylt sicher zu fühlen.
Es gibt sehr viele gute Gründe, hier zu sein. Aber es ist auch anstrengend. Und nach einer Weile auch einfach kalt. Nach knapp zwei Stunden zittere ich am ganzen Körper. Dass heute kein Streckentauchen mehr auf dem Programm steht, ist mir jedenfalls sehr recht. Nur zur Info: 25 Meter am Stück muss man tauchen. Auf Anhieb ist das – zumindest für mich – nicht zu schaffen.
„Aber auch das ist eine Frage der Übung und etwas, das man als sicherer Schwimmer richtig gut trainieren kann“, sagt Niklas Cordes. Beim Tauchen sei das meiste ohnehin Kopfsache. Für heute reicht es mir, ihm das einfach zu glauben. Ich bin platt. Am Ende stehe ich unter der heißen Dusche. Lange. Die Vorboten des Muskelkaters, den ich morgen habe, spüre ich jetzt schon. Aber ich werde ihn mit Stolz ertragen. Und wiederkommen.
Wo und wann Rettungsschwimmer-Kurse angeboten werden:
Wichtig: Da es zum Teil Wartelisten gibt, bitte im Voraus Kontakt aufnehmen. Die Kosten pro Kurs sind je nach Bezirk unterschiedlich. Bei dem hier vorgestellten Kurs liegen die Kosten bei 150 Euro inklusive Erste-Hilfe-Kurs, Theorieunterricht und Prüfung.
- Schwimmhalle St. Pauli; mittwochs von 20 bis 21.30 Uhr, Kontakt über 040-6321840 und info@alster.dlrg.de
- Bartholomäus-Therme: dienstags von 19 bis 21 Uhr, Kontakt über info@hh-no.dlrg.de
- Schwimmhalle Blankenese, dienstags von 19 bis 21 Uhr, Kontakt über 040-25480605 und altona@hh.dlrg.de
- Schwimmhalle Inselpark, mittwochs 16.30 bis 17.30 Uhr (Jugendliche), donnerstags 18 bis 20 Uhr (Erwachsene), Kontakt über info@harburg.dlrg.de