Berlin. Junge Kinder sind häufig in Badeunfälle verwickelt. Die Notlage von Jungen und Mädchen bleibt allerdings oft unbemerkt, denn sie ertrinken still.
Die Bilanz fiel 2020 zwar besser aus als im Jahr davor. Dennoch: Mindestens 192 Menschen waren in den ersten sieben Monaten des vergangenen Jahres in deutschen Gewässern ertrunken. Das teilte die Deutsche Lebens-Rettungs-Gesellschaft (DLRG) bei der Vorstellung ihrer Sommerzwischenbilanz mit. Das waren – wohl auch wegen des kühlen Frühsommers – 63 Menschen weniger als 2019 zum gleichen Zeitpunkt. Die Bilanz für 2021 liegt noch nicht vor.
Aber es waren dennoch zu viele, sagen Experten wie der Kinderchirurg Professor Ulf Bühligen. Besonders unter den Kindern und Jugendlichen. So waren 15 der Ertrunkenen zwischen 0 und 5 Jahre alt. Experten erklären das auch mit einer medizinischen Besonderheit: Kinder ertrinken meist lautlos. Antworten auf die wichtigsten Fragen:
Warum ertrinken Kinder anders als Erwachsene?
Der Leipziger Kinderchirurg Professor Ulf Bühligen erlebt jedes Jahr Kinder, die zu lange unter Wasser waren und die in der Folge sterben oder schwere lebenslange Schäden davontragen. „Oft geschieht das Unglück ganz unbemerkt“, sagt Bühligen, „denn Kinder ertrinken leise.“ Fielen sie beispielsweise ins Wasser, würden sie wie schreckensstarr. „Sie tun dann gar nichts mehr.“
Kein Rudern mit den Armen, erst recht kein Schreien. Denn häufig zieht sich durch den Schreck die sogenannte Stimmritze zusammen. Eigentlich ein Schutzmechanismus des Körpers, damit kein Wasser in die Lunge gelangt. Doch die Kinder können dann nicht mehr rufen, auch nicht atmen. „Viele Kinder gehen einfach unter“, sagt Bühligen und mahnt: „Eltern dürfen am See, im Schwimmbad, im Garten am Teich ihre Kinder niemals auch nur einen Moment aus den Augen lassen, bis sie sichere Schwimmer sind.“ Im Mai waren etwa in Niedersachsen zwei kleine Jungen in einem Gartenteich ertrunken.
Was ist ein „sicherer Schwimmer“?
Als sicher gilt ein Schwimmer, wenn er mindestens das Jugendschwimmabzeichen Bronze hat – den Freischwimmer. Dazu muss er mindestens 200 Meter in höchstens 15 Minuten schwimmen können, muss zwei Meter tief tauchen und aus einem Meter Höhe springen können. Eigentlich sollten Kinder nach Meinung von Experten sicher schwimmen können, wenn sie die Grundschule verlassen.
Das ist jedoch häufig nicht der Fall – und die Schwimmfähigkeit lässt laut Untersuchungen der DLRG sogar noch weiter nach. So konnte 2010 die Hälfte der Zehnjährigen nicht sicher schwimmen, 2017 waren es sogar 59 Prozent.
Ein Grund: „25 Prozent der Grundschulen haben keinen Zugang zu einem Bad mehr“, sagt Achim Wiese von der DLRG. Aber auch die Schwimmfähigkeit vieler Eltern sei schlechter als früher, „diesen fehlenden Bezug zum Wasser geben sie an die Kinder weiter“.
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Was können Eltern einem Kind mit Seepferdchen zutrauen?
„Viele denken, mit dem Seepferdchen könnten Kinder schon schwimmen“, sagt Achim Wiese. „Das ist falsch.“ Es sei im Grunde ein Wasser-Gewöhnungskurs: Das Kind kann sich ohne Probleme Wasser über das Gesicht laufen lassen, es kann sich für eine Strecke von 25 Metern über Wasser halten, jedoch „immer vorausgesetzt der Beckenrand ist in greifbarer Nähe und jemand begleitet das Kind am Rand“, sagt Wiese.
Ganz anders sei die Situation dann an einem See. Dort gebe es keinen Beckenrand, die Situation sei häufig unübersichtlich. „Die Tatsache, dass das Kind ein Seepferdchen hat, führt bei den Eltern dann zu einer trügerischen Sicherheit“, sagt Wiese.
Das bestätigt Kinderchirurg Bühligen: „In den meisten Ertrinkungsfällen bei Kindern ist ein Erziehungsberechtigter dabei, aber bemerkt es nicht.“ Die Eltern lesen am See, und hinter ihrem Rücken ertrinkt das Kind. Deswegen gilt laut Wiese auch mit Seepferdchen: Mutter oder Vater müssen dem Kind immer so nah sein, dass sie jederzeit zugreifen können. Und auch der Freischwimmer entbinde die Eltern nicht von der Aufsichtspflicht: „Sie müssen sicher wissen, was sie ihrem Kind zutrauen können.“
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Wo und ab wann lernen Kinder am besten schwimmen?
Die DLRG empfiehlt, mit etwa fünf Jahren das Schwimmen zu beginnen. Davor sei es kritisch, weil wichtige körperliche Voraussetzungen häufig noch nicht gegeben seien: Ausdauer, Kraft und Koordination.
Wenn die Grundschule Kinder nicht zu sicheren Schwimmern macht, sollten Eltern sich einen Verein suchen, rät Wiese. Der sei mit einem Mitgliedsbeitrag von im Schnitt 50 Euro im Jahr für die meisten Menschen bezahlbar. 15 bis 20 Stunden dauern im Schnitt die Seepferdchen- und Freischwimmerkurse, die mit einer Prüfung abgeschlossen werden. „Ich rate allen Eltern: Versuchen Sie nicht, Ihren Kindern das Schwimmen selbst beizubringen, und setzen Sie sich nicht während des Kurses an den Beckenrand.“
Ertrinken verhindern: Was können Eltern tun?
Den Kopf gemeinsam unter Wasser stecken, mal die Augen unter Wasser öffnen – auch wenn sie ihnen das Schwimmen laut DLRG nicht beibringen sollten, können Eltern ihren Teil dazu beitragen, dass Kinder ein gutes Verhältnis zum Wasser entwickeln.
„Spritzen Sie ihnen spielerisch Wasser ins Gesicht, zeigen Sie ihnen, dass man Spaß haben kann im Wasser“, rät Achim Wiese von der DLRG. So könne man auch gleich mit ihnen üben zu pusten, wenn sie Wasser ins Gesicht bekommen, und nicht reflexhaft einzuatmen und die Luft anzuhalten. „Durch das Pusten vermeiden sie, dass Wasser in die Lunge gelangt.“
Im Schwimmbad könnten sich Eltern mit den Kindern erst einmal auf die Treppen setzen und mit den Beinen im Wasser spielen. „Ins Wasser können Mütter und Väter eine Schwimmnudel oder ein -brett mitnehmen, um gemeinsam Spaß zu haben.“ Von Schwimmflügeln rät Wiese jedoch ab. Einerseits sollten sich Kinder mit dem natürlichen Auftrieb auseinandersetzen, andererseits könnten Schwimmflügel auch eine Sicherheit vermitteln, die sie nicht geben: „Sie schützen nicht vor dem Ertrinken.“