Hamburg. Neue Einigkeit der Initiativen in und um Hamburg setzt den Flughafen Fuhlsbüttel und die Stadt unter Druck.

Die Bürgerinitiativen gegen den Fluglärm in und um Hamburg erhöhen jetzt den Druck auf den Flughafen und fordern ein totales nächtliches Flugverbot über Hamburgs Dächern. Zwischen 22 und 6 Uhr soll Ruhe sein. Bisher wird bis 24 Uhr in Fuhlsbüttel gelandet.

Währenddessen feiert die Flughafen Hamburg GmbH im Internet ihr Wachstum: Mehr Flugbewegungen (plus 1,3 Prozent), mehr Luftfracht (plus 7,6 Prozent), mehr Passagiere (plus 8,1 Prozent) als 2014. Und damit auch mehr Lärm. Selbst der eher flughafenfreundliche Mittelwert stieg um 3 Dezibel db(A) auf den höchsten Wert seit sechs Jahren.

„Wenn die Stadt ihren Flughafen nicht nach Kaltenkirchen verlagern will, dann muss Fuhlsbüttel ein echter Stadtflughafen werden“, sagt Reimer Rathje von der Norderstedter Wählergemeinschaft „Wir in Norderstedt“ (WiN), die mit ihrem Thema Fluglärm den Sprung in die Stadtvertretung geschafft hat. „Das heißt: Nachtruhe zwischen 22 und 6 Uhr. Nicht der Bürger muss sich dem Flughafen anpassen, sondern umgekehrt der Flughafen den Erfordernissen der Gesundheitsvorsorge.“

Das ist auch die Position der BIG-Fluglärm Hamburg e.V., dem Dachverband der Hamburger Bürgerinitiativen gegen den Fluglärm. Die lange moderater auftretende Bürgerinitiative Alstertal/Walddörfer (BAW), die mittlerweile auch Bürger im angrenzenden Kreis Stormarn vertritt, ist jetzt ebenfalls auf den härteren Kurs in Sachen Nachtruhe eingeschwenkt.

„Allein im Juli hat es in Richtung Alstertal/Walddörfer 741 Flüge nach 22 Uhr gegeben, davon 91 nach 23 Uhr“, sagt Martin Mosel von der BAW. Derzeit hat der Flughafen eine Betriebserlaubnis bis 23 Uhr. Nachzügler dürfen aber bis 24 Uhr landen. Mediziner fordern eine strikte Nachtruhe von acht Stunden, genauso wie die Nichtregierungsorganisationen und Naturschützer in ihrem Anfang August vorgelegten alternativen Luftverkehrskonzept für Deutschland.

Darin werden unter anderem Fernbahnanschlüsse für große Flughäfen gefordert, um den innerdeutschen Flugverkehr auf die ökologischere Schiene verlagern zu können.

Außerdem sollen die Lärmgesichtspunkte mit einem generellen Nachtflugverbot stärker berücksichtigt werden, als es die Bundesregierung in ihrem Konzept angedacht hat. „Unsere Kinder haben nicht einmal sechs Stunden Schlaf“, sagt der Norderstedter Rathje, „das grenzt an Körperverletzung“.

Der Flughafen Hamburg pocht auf seine Betriebsgenehmigung und zeigt in Richtung Politik. „Wir sind ein Wirtschaftsunternehmen und haben einen Auftrag für die Stadt und die Region“, sagt Stefanie Harder, Leiterin der Unternehmenskommunikation. „Uns steht die Entscheidung über die Betriebszeiten nicht zu, das ist Sache der Politik.“

Der Senat hat offenbar nicht vor, irgendetwas zu ändern – Susanne Meinecke, Sprecherin der Wirtschaftsbehörde, sagte dem Abendblatt, man wolle am Status Quo festhalten. „Die geltenden Betriebszeiten gewährleisten eine verlässliche Erreichbarkeit unserer Metropolregion und erfüllen auch das steigende Mobilitätsbedürfnis der gesamten Bevölkerung“, sagte sie.

Indes hat der Flughafen die Gesprächsrunde „Allianz gegen den Fluglärm“ initiiert, in der Stadt, Umlandgemeinden, Politiker und Initiativen die Interessenlagen erörtern und integrieren sollen. Das ist auch Teil eines 16-Punkte-Programms, auf das sich die Bürgerschaft kurz vor der Wahl geeinigt hatte – das sieht unter anderem mehr Rechte für die Lärmschutzbeauftragte vor.

Doch der Runde Tisch droht Schieflage zu bekommen: Zum Vorbereitungstreffen für die nächste Sitzung im September wurden ausgerechnet die Lärmbetroffenen vergessen. Ihr etatmäßiger Vertreter wurde zwar eingeladen, war aber im Urlaub. Dass kein Ersatz hinzugebeten wurde, fiel erst zu Beginn der Sitzung auf. Das Programm lief trotzdem ab wie vorgesehen. „Was wieder zeigt, dass man uns nicht ernst nimmt“, sagen Rathje und Mosel.

Für sie sind die Gespräche Teil einer Verzögerungstaktik. Die Stadt, Anteilseigner der Flughafen GmbH und Nutznießer von jährlich 20 Millionen Euro aus der Gewinnabführung, wolle lediglich Zeit schinden. „Sie weiß genau, dass die Zustände nicht haltbar sind und versucht, den Status Quo so lange wie möglich aufrecht zu erhalten“, sagt Rathje.

Für besondere Verärgerung sorgt die Gebührenpolitik, die Stadt und Flughafen „mit großem medialem Druck in die Welt posaunen“ (Mosel) und die lediglich „Feigenblatt-Funktion“ habe. So wurden im Juli mit Wirkung zum 1. August Flüge nach 24 Uhr „sanktioniert“, indem die dafür fällige Landegebühr um gut 150 Prozent gesteigert wurde. Sie wächst von 500 auf 1300 Euro, was, umgelegt auf die Passagiere, für die Fluggesellschaft kaum nennenswert sei. Im gesamten Jahr 2015 sind laut Flughafen bisher neun Ausnahmen beantragt worden, die mit erhöhter Landegebühr belegt werden.

„Was der Flughafen als einschneidende Nachtflugbeschränkung verkauft, ist für uns eine Nebelkerze“, sagt Mosel. Margarete Hartl-Sorkin von der BIG-Fluglärm formuliert freundlicher: „Es ist der zaghafte Versuch, allen gerecht zu werden.“ Doch die Initiativen haben genug von der Politik der Mini-Schritte. Sie planen einen Frontalangriff auf den Status Quo.

Reimer Rathje
kämpft gegen den
Fluglärm
Reimer Rathje kämpft gegen den Fluglärm © Andreas Burgmayer

Dafür streben sie eine Reform der Regeln an, die die Benutzung der vier Start- bzw Landebahnen festlegen. Derzeit muss diejenige Richtung Norderstedt/Quickborn rund 60 Prozent der am stärksten belastenden Starts hinnehmen. Dann folgt Niendorf/Blankenese. Die Bahn Richtung Alsterdorf/City wird praktisch kaum genutzt.

Derzeit gelten die Regeln unter Vorbehalt, bestätigt der Flughafen. Je nach Wetterlage und Verkehrsaufkommen entscheidet die Flugsicherung, wo gestartet und gelandet wird. „Das führt zu einer Fülle von Ausnahmen, die wir nicht kontrollieren können“, sagt Mosel. Den Initiativen schwebt vor, die Regeln neu auszuhandeln und unter öffentlicher Kontrolle strikt einhalten zu lassen. Damit würde die Einigkeit unter den Lärmbetroffenen an ihre Grenzen stoßen. Norderstedt und auch die BAW wollen die Bahn Richtung Alsterdorf/Hamm öffnen, „um die Lärmlasten gleichmäßiger zu verteilen“. Wer diesem Begehren nachgibt, dürfte in bevölkerungsreicheren Innenstadtrevieren auf Widerstand stoßen.