St. Pauli. Bezirkschef und Weindorf-Veranstalter sprechen über Zukunft des Festes. Winzer aus Baden-Württemberg pflegen Hamburger Weinberg weiter.

Wer in diesen Tagen wissen will, wie es um die bilateralen Beziehungen zwischen Hamburg und Stuttgart bestellt ist, muss in den Weinberg oberhalb der Landungsbrücken steigen. Wie jedes Jahr steht dort Fritz Currle, 72, Winzer und Stuttgarter Stadtrat, um im böigen norddeutschen Wind alte Triebe vom Rebstock zu knipsen und das Unkraut zu jäten. Auch im Frühjahr 2016 schneidet, düngt und spritzt („Allesch bio!“) der erfahrene Weinbauer die Hamburger Pflanzen, als wären es seine eigenen. Auch 2016 ackert er für den Wein und die Städtefreundschaft.

Doch erstmals nach 20 Jahren liegt ein Schatten über seinem Engagement im Norden. Denn seit der Absage des diesjährigen Stuttgarter Weindorfes auf dem Hamburger Rathausmarkt ist das Verhältnis der beiden Städte leicht gestört. Winzer Currle nennt es „höchst unglücklich“.

Bekanntermaßen hatte der Verein Pro Stuttgart das Ende der 30 Jahre alten Traditionsveranstaltung in Hamburg verkündet, als die Stadt rund 125.000 Euro Platzmiete statt wie bisher 46.000 Euro verlangte. Damit löste das Hamburger Bezirksamt Mitte – auch auf Hinweis des Rechnungshofes – eine 1988 vereinbarte städtepartnerschaftliche Sonderregelung, wonach die Fläche zum Teil kostenfrei genutzt werden durfte.

Hoffnung auf Wiederauflage des Weindorfs

Seither wurde zwar von beiden Seiten Gesprächsbereitschaft für eine Wiederauflage des Weindorfs im Jahr 2017 signalisiert. Doch erst im Mai oder Juni, so eine Bezirksamtssprecherin, werden sich Axel Grau, Geschäftsführer von Pro Stuttgart, und Bezirksamtsleiter Falko Droßmann (SPD) an einen Tisch setzen, um über die Zukunft der Veranstaltung zu sprechen. „Dann bleibt immerhin Zeit, ein Weindorf 2017 vorzubereiten“, sagt die Sprecherin. Am geltenden Gebührenrahmen werde zwar nicht gerüttelt, aber über detaillierte Nutzungsarten der Flächen könne der Preis durchaus noch nach unten korrigiert werden.

Winzer Fritz Currle ist hingegen nicht nur enttäuscht über den Ausfall des diesjährigen Weindorfs. Er war nach der Absage auch verunsichert, ob er den Hamburger Weinberg überhaupt weiter pflegen soll. „Ich wusste ja nicht, ob das noch gewünscht ist.“ Doch die Bürgerschaft habe ihm versichert, weiterhin an seiner Expertise interessiert zu sein, erzählt er. Immerhin gedeihen im Hang auf St. Pauli die Trauben für den „Hamburger Stintfang Cuvée“, einen Wein, den Currle Jahr für Jahr keltert und ausbaut, um ihn der Bürgerschaft zum Weinfest wieder zukommen zu lassen. Die 40 bis 50 kleinen Flaschen (0,375 Liter) verschenkt die Stadt üblicherweise als Rarität an auserwählte Gäste.

Tatsächlich war 2015 sogar ein sehr guter Jahrgang des „Stintfang Cuvée“, verrät Currle, allerdings ist noch unklar, wie und ob der Wein in diesem Jahr nach Hamburg kommt. Für gewöhnlich wurde der Tropfen Bürgerschaftspräsidentin Carola Veit beim Weindorf auf dem Rathausmarkt überreicht. „In diesem Jahr haben wir wegen des Ausfalls aber noch kein Protokoll“, sagt Norman Sauer, der sich als in Hamburg lebender Württemberger ebenfalls um den Weinberg kümmert. „Aber das Gute an Wein ist ja, dass man ihn notfalls lagern kann.“

Kaninchen-Problem auf dem Weinberg

Eine verpasste Übergabe des in Stuttgart gekelterten Hamburger Weins wäre noch ein Novum in der langen Geschichte der Städte- und Traubenfreundschaft. Nachdem der Verein Pro Stuttgart der Bürgerschaft im Jahr 1995 die ersten 50 Rebstöcke zum zehnten Jubiläum des Hamburger Weindorfes schenkte und weitere 50 im Jahr 2010 zum 25. Jubiläum folgten, lief es mal besser, mal schlechter für die Weinjahrgänge. In den Jahren 1997, 1999 und 2010 wurden die Trauben etwa von Dieben entwendet, 2013 raffte ein aus Amerika stammender Pilz namens Oidium die Ernte dahin. Dass ausgerechnet die üppige Lese aus dem Jahr 2015 wegen Querelen um das Weindorf vorerst ohne Übergabetermin bleibt, gehört wohl zur Ironie der Geschichte. Zumal es 2016 neue, ungekannte Probleme im Hang gibt.

„Wir haben großen Kaninchenverbiss“, sagt Winzer Currle und zeigt auf angeknabberte Rinde. Um die Pflanzen vor den Nagern zu schützen, wurden die alten Rebstöcke nun mit einem Spezialüberzug versehen. Zudem kam ein Olivenöl-Wasser-Gemisch gegen Insektenbefall zum Einsatz. „Pflanzenpflege im Frühjahr ist nämlich enorm wichtig“, sagt der erfahrene Weinbauer. „Sonst kann man die Rebe im Herbst vergessen.“ Etwa 15-mal müsse man zwischen Februar und September insgesamt zu Pflegearbeiten in den Weinberg, sagt sein Kompagnon Sauer. Dann schütteln sich Currle und Sauer den Schmutz von der Hose, was gut in die Zeit passt, denn Hamburg und Stuttgart mussten sich auch kurz schütteln, nachdem ihr Verhältnis ein wenig weniger freundschaftlich, geradezu „zugig“ (Sauer) wurde.

Dabei legen die württembergischen Arbeiter im Weinberg der Städtefreundschaft aber Wert auf einen versöhnlichen Abschluss: „Wir würden uns wünschen, dass der Verein Pro Stuttgart und die Hamburger Behörden eine Lösung für das Weindorf im kommenden Jahr finden“, sagt Sauer. Und Winzer Currle hält fest: „Eine 30-jährige freundschaftliche, partnerschaftliche Beziehung wirft man nicht einfach so weg. Schon gar nicht wegen verwaltungstechnischer Unebenheiten.“