Hamburg . Der Geschäftsführer des Veranstalters fühlt sich von der Stadt erpresst. Grünen-Fraktionschef Osterburg sieht Hamburg im Recht.
Nach 30 Jahren ist Schluss für das Stuttgarter Weindorf in Hamburg: Der Veranstalter Pro Stuttgart e.V. gab am Mittwoch bekannt, dass die Traditionsveranstaltung nach drei Jahrzehnten eingestellt wird. Als Grund wird ein Disput mit dem Bezirksamt Mitte genannt. Schwere Vorwürfe erhebt der Veranstalter vor allem gegen den ehemaligen Mitte-Bezirksamtsleiter Andy Grote (SPD), der seit Ende Januar Innensenator ist.
Man sei gezwungen das Weindorf abzusagen, da das zuständige Bezirksamt Hamburg-Mitte die Platzmiete extrem erhöht habe, heißt es von Seiten des Veranstalters. Geplant war die Veranstaltung vom 12. bis 28. Mai 2016. „Wir fühlen uns erpresst. Offenbar wollte man uns loswerden", sagt Axel Grau, Geschäftsführer des Vereins Pro Stuttgart. „So kann man mit Partnern nicht umspringen." Es sei momentan schwer vorstellbar, dass es das Stuttgarter Weindorf in Hamburg noch mal geben wird.
Bezirksamt ist überrascht von Vorwürfen
Das zuständige Bezirksamt Mitte wehrt sich gegen die scharfe Kritik des Veranstalters. „Es war nicht von uns beabsichtigt, dem Weindorf den Garaus zu machen", sagt Sorina Weiland, Sprecherin des Bezirksamts Mitte. „Wir hätten uns gewünscht, dass die Veranstaltung erhalten bleibt." Jedoch habe das Bezirksamt in dieser Angelegenheit keinen Spielraum. „Von der heftigen Reaktion des Veranstalters sind wir überrascht", sagt Weiland.
Zum Hintergrund: Während die Stadt Hamburg 2015 rund 46.000 Euro Gebühren verlangt habe, will sie nun rund 125.000 Euro Platzmiete kassieren – also fast den dreifachen Betrag. Bisher durfte das Weindorf die Fläche vorm Rathaus elf Tage kostenfrei nutzen. Im Gegenzug durfte der Hamburger Fischmarkt jedes Jahr elf Tage kostenfrei in Stuttgart seine Zelte aufschlagen. Das vereinbarten die Städte bereits 1988. „Da das Stuttgarter Weindorf sechs bis sieben Tage länger als der Fischmarkt in Stuttgart dauerte, haben wir für die zusätzlichen Tage eine normale Platzmiete wie jeder andere Veranstalter gezahlt", betont Axel Grau. „Jetzt sollen wir plötzlich für den gesamten Zeitraum Platzmiete bezahlen." Für den Pro-Stuttgart-Chef ist das nicht nachvollziehbar.
Gebührenerlass ist nicht mehr leistbar
Das Bezirksamt Mitte sieht das anders. „Schon vor Jahren wurde vom Hamburger Rechnungshof die Sonderregelung für das Stuttgarter Weindorf auf dem Rathausmarkt angemahnt", sagt Sprecherin Sorina Weiland. Die Veranstaltung habe sich in den vergangenen Jahren schließlich etabliert. „Für uns ist es deshalb nicht leistbar, weiterhin einen Gebührenerlass zu gewähren", so Weiland. Dieses Geld müsse sonst an anderer Stelle wieder eingespart werden. Generell betrage die Miete für den Rathausmarkt, Hamburgs „Premium-Veranstaltungsfläche", 1,70 Euro pro Tag und Quadratmeter.
Der Veranstalter Pro Stuttgart e.V. weist darauf hin, dass die Platzmiete für den Rathausmarkt bereits in den vergangenen Jahren immer wieder erhöht worden sei. „Es gab seit 2011 kräftige Steigerungen", bestätigt Axel Grau vom Pro Stuttgart e.V. 2012 etwa sei die Miete für die zusätzlichen Tage um 12.000 auf 37.500 Euro gestiegen. Grau: „2013 haben wir 42.600 Euro bezahlt und im Folgejahr 45.500. Das war kein Problem für uns." Aber jetzt gehe die Stadt Hamburg eindeutig zu weit.
SPD gegen Sonderregelung für das Weindorf
Arik Willner, stellvertretender Fraktionsvorsitzender der SPD und Sprecher des City-Ausschusses sagt, dass es sich keinesfalls um eine Schlechterstellung des Stuttgarter Weindorfes handle, sondern lediglich um eine Gleichstellung: „Für die kommerzielle Nutzung von öffentlichen Flächen wird in Hamburg eine Sondernutzungsgebühr fällig“, so Willner. „Die gilt für alle kommerziellen Veranstaltungen, also auch dem Hamburger Weihnachtsmarkt.“ Die Sondernutzungsgebühr auszusetzen sei insbesondere auf dem Rathausmarkt nicht zulässig. Die bisherige Regelung mit Stuttgart sei folgerichtig vom Hamburger Rechnungshof beanstandet worden. „Die Gebührenordnung muss auch für das Stuttgarter Weindorf angewendet werden“, sagt Willner. Er betont, dass man weiterhin gesprächsbereit sei, macht aber gleichzeitig deutlich, dass es eine Befreiung der Gebühren nicht geben werde.
Pro Stuttgart e.V. wirft der Stadt hingegen vor, dass der bis vor Kurzem zuständige Mitte-Bezirksamtsleiter Andy Grote zu keinem Gespräch bereit gewesen sei. „In vier Jahren hatten wir keine Chance, mit Herrn Grote zu reden", kritisiert Grau. „Es gab keine Möglichkeit, mit ihm in Kontakt zu treten, die Situation zu besprechen und eventuell einen Kompromiss zu finden." Bei einem Parlamentarischen Sommerfest habe er lediglich mal zwei Minuten mit ihm sprechen können. Grau: „Mehr Kontakt gab es nicht."
Das Bezirksamt Mitte räumt ein, dass es „schade" sei, dass ein für Februar anvisierter Termin mit Herrn Grote nicht stattgefunden habe. Dass die beiden Seiten doch noch einen Kompromiss finden, scheint aussichtslos. „Der Veranstalter könnte höchstens auf eine andere Fläche", so Sorina Weiland. Aber das wolle Pro Stuttgart e.V. ihres Wissens nach nicht.
Grüne halten Gebühren für richtig
Auch Grünen-Fraktionschef Michael Osterburg plädiert dafür, dass das Stuttgarter Weindorf auf eine andere Fläche umzieht. "Schließlich darf der Hamburger Fischmarkt in Stuttgart auch nicht auf eine Premium-Fläche", sagt der Grünen-Politiker. Er schlägt den Gerhart-Hauptmann-Platz vor. Zudem sei es absolut gerechtfertigt, dass der Veranstalter künftig die normalen Gebühren bezahlen muss. "Jahrelang hat er von der Sonderregelung profitiert - eigentlich schulden die Schwaben uns sogar noch was", sagt Osterburg.
Oberbürgermeister wollte sich einschalten
Fast wäre es auch durch Stuttgarts Oberbürgermeister Fritz Kuhn zu einem letzten Rettungsversuch des Weindorfs in Hamburg gekommen. „Es war angedacht, dass Oberbürgermeister Fritz Kuhn an den Ersten Bürgermeister der Freien und Hansestadt Hamburg, Olaf Scholz, in dieser Angelegenheit schreibt, um vielleicht doch noch eine tragbare Lösung zu finden", sagt Sven Matis, Sprecher der Stadt Stuttgart. Dazu sei es jetzt jedoch nicht mehr gekommen, nachdem der Verein Pro Stuttgart durch seine Entscheidung vollendete Tatsachen geschaffen habe.
Unklar ist, ob unter diesen Umständen der Hamburger Fischmarkt in Stuttgart dieses Jahr überhaupt stattfindet. Bisher ist der Fischmarkt vom 7. bis 17. Juli 2016 auf dem Stuttgarter Karlsplatz geplant. Sven Matis, Sprecher der Stadt Stuttgart, sagt: „Zur Zukunft der Veranstaltung Hamburger Fischmarkt in Stuttgart kann die Stadt noch keine Angaben machen. Tatsache ist, dass bisher für die Nutzung des Karlsplatzes von der Stadt Stuttgart keine Platzmiete verlangt wurde, weil es sich um eine wechselseitige Vereinbarung mit Hamburg handelte."
Städtepartnerschaftliche Beziehung zerrüttet
Dass der Weindorf-Veranstalter künftig eine horrende Platzmiete für den Rathausmarkt zahlen soll, hat Pro Stuttgart e.V. in einem Brief erfahren. „Nach unserer fassungslosen und empörten Reaktion bekamen wir im Januar endlich für den 16. Februar 2016 einen Terminvorschlag", sagt Werner Koch, Vorsitzender des Vorstands von Pro Stuttgart e.V. Am 27. Januar sei dieser wieder abgesagt worden. Koch: „Die Begründung: Andy Grote habe nun eine neue Funktion als Innensenator und werde an dem Gespräch nicht teilnehmen. Einen neuen Termin mit einem kompromissbereiten Gesprächspartner haben wir auf mehrfache Nachfrage bis heute nicht erhalten." Für den Veranstalter steht fest: Damit kündigt das Bezirksamt die städtepartnerschaftliche Beziehung zu Stuttgart.
Aufgrund der Kostenexplosion habe Pro Stuttgart e.V. der Stadt Hamburg und der Bürgerschaft am 23. Februar die Veranstaltung absagen müssen. „Bereits in der Vergangenheit war es wegen des hohen organisatorischen und finanziellen Aufwands und des nicht kalkulierbaren Erfolgsrisikos für die sehr motivierten Wirte schwer, dieses Hamburg-Abenteuer zu wagen“, sagt Werner Koch.
Verhalten des Bezirksamts sei unmoralisch
Die unglaubliche Kostensteigerung und das Verhalten des Bezirksamts Hamburg-Mitte seien ein Schlag ins Gesicht und geradezu unmoralisch. „Nicht nur für uns als Veranstalter, sondern vor allem für die Wirtinnen und Wirte, die mit größtem Einsatz das Weindorf in Hamburg über dreißig Jahre aufgebaut und betrieben haben", sagt Koch. Zudem seien die Wirte wegen der teilweise problematischen Wetterverhältnisse oftmals ohne Gewinne geblieben.
Pro Stuttgart e.V. moniert, dass die Gebühren in den vergangenen Jahren um das Siebenfache gestiegen seien. Hinzu komme, dass in den ersten Jahren eine doppelt so große Fläche belegt werden durfte. Die Kosten konnten auf 30 Wirte umgelegt werden. 2015 passten laut Veranstalter nur noch elf Betriebe auf die verkleinerte Fläche. Sie mussten alle entstehenden Kosten und auch die Platzmiete erwirtschaften. Ende 2015 habe die Stadt Hamburg, vertreten durch den damaligen Leiter des Bezirksamt Mitte, Andy Grote, diese seit 1988 bestehende Vereinbarung mit der Stadt Stuttgart im Alleingang aufgekündigt.
Veranstalter enttäuscht von Hamburgern
Das Verhalten zeige, dass das Bezirksamt Hamburg-Mitte und auch Andy Grote als ehemaliger Bezirksamtsleiter das Stuttgarter Weindorf zu Gast in Hamburg in keiner Weise wertgeschätzt haben, kritisiert der Vorstandvorsitzende Werner Koch. Nicht gesehen werde zudem, dass das Weindorf werblichen Nutzen und verschiedenste Einnahmen etwa durch Übernachtungen und Einkäufe für die Stadt Hamburg bringe. „Eine dreißig Jahre gelebte Städtepartnerschaft beenden wir somit mit einem Kopfschütteln", so Kochs Fazit. „Wir hätten uns eine stilvollere Verabschiedung nicht nur gewünscht, sondern von den viel gerühmten Hamburger Kaufleuten geradezu erwartet.“
Beliebt waren die Weindorf-Wirte auch beim Parlamentarischen Sommerfest der Hamburger Bürgerschaft, zu dem jedes Jahr weit mehr als 1000 Gäste aus Politik, Kultur und Wirtschaft erwartet werden. Dort waren Weindorf-Wirte bisher wie auch andere Partner der Veranstaltung mit einen kleinen Stand im Innenhof des Rathauses vertreten. Die Gäste konnten dort kostenlos schwäbischen Wein verkosten. Dass die Weindorf-Wirte nun noch bereit sind, mehrere Kisten Wein zu sponsern dürfte jedoch sehr unwahrscheinlich sein.
Weindorf-Wirte verschenkten Weinstöcke
Die Kooperation der Städte endet nun abrupt. Noch im vergangenen Jahr war das „30. Stuttgarter Weindorf zu Gast in Hamburg“ zusammen mit Hamburgs Erstem Bürgermeister Olaf Scholz, der Bürgerschaftspräsidentin Carola Veit und Stuttgarts Oberbürgermeister Fritz Kuhn gefeiert worden. Alle Redner lobten die langjährige, vertrauensvolle, freundschaftliche und kooperative Zusammenarbeit.
Damals wurde noch die Einzigartigkeit dieser gastronomischen Nord-Süd-Städtepartnerschaft zwischen Hamburg und Stuttgart hervorgehoben. Die gemeinsame Vergangenheit hatte viele Höhepunkte: So schenkten die Weindorf-Wirte der Hamburgischen Bürgerschaft als Dank für die hanseatische Gastfreundschaft zu jedem Jubiläum immer wieder Weinstöcke. Mittlerweile wachsen 100 Rebstöcke am Stintfang oberhalb der St. Pauli Landungsbrücken. Jedes Jahr werden rund 50 Flaschen Wein je 0,375 Liter hergestellt. Der "Hamburger Stintfang Cuvee" ist jedoch nicht im Laden zu kaufen, er wird von der Bürgerschaft nur an ausgewählte Staatsgäste verschenkt. Weitere Weinstöcke von den Stuttgarter Weindorf-Wirten werden nun sicher nicht mehr hinzukommen.