Hamburg. Johann-Christian Kottmeier fürchtet um Hamburgs Weltkulturerbe – und macht einen spektakulären Vorschlag.

Die Thesen hatten es in sich, blieben aber ungehört. „Bis heute ist es nicht gelungen, für Bauwerke über 80 Meter Höhe eine nachhaltige Wirtschaftlichkeit nachzuweisen“, donnerten die Kritiker des Elbtowers 2021 in ihren Sieben Thesen. Und weiter: „Finanzierung und die betroffenen öffentlichen Budgets müssen überprüfbar sein.“ Architekten, Stadtplaner und ein Pfarrer hatten das Papier verfasst.

Darin steht auch: „Hamburger kennen bisher keine Gebäude über 150 Meter Höhe.“ Der Entwurf des Elbtowers sei eine radikale Abkehr vom hanseatischen Lebensgefühl und der Baukultur der europäischen Stadt. Einer der Verfasser der Thesen, Johann-Christian Kottmeier, fühlt sich heute an die Geschichte der Propheten im eigenen Lande erinnert. Ein Wolkenkratzer wie der Burj Khalifa passe nach Dubai, sagt er, aber nicht nach Hamburg.

Speicherstadt – Architekt warnt: „Das Weltkulturerbe ist in großer Gefahr“

„Wenn die Stadt ein ikonografisches, also das Stadtbild prägendes Gebäude, errichten will, darf das nicht von Privatleuten gebaut werden“, sagt der 71-Jährige und verweist auf die Kirchen, das Rathaus oder die Elbphilharmonie. Man hätte ein solches Projekt diskutieren oder besser noch per Volksabstimmung klären müssen. „Niemals zuvor ist etwas so schnell durchgewinkt worden. Die Bürgerschaft hat bis zum Schluss keine ordentlichen Zahlen gehabt“, zürnt er. „Das Konstrukt musste in dem Moment zusammenbrechen, in dem die Zinsen steigen. Und so ist es gekommen.“

Doch Kottmeier hält sich nicht lange mit der Vergangenheit auf: „Zurück soll kein Seemann schauen“, sagt der begeistere Segler. Er hat längst ein neues Thema entdeckt – die Zukunft der Speicherstadt. „Das Weltkulturerbe ist gerade in großer Gefahr“, sagt der Sprecher des Arbeitskreises Denkmalschutz der Patriotischen Gesellschaft.

Der Architekt verweist auf zwei Probleme, die dem Lagerhauskomplex zusetzen. „Die Fahrwassertiefe der Elbe lag 1870 bei etwa 4,5 Metern, und der Tidenhub betrug 1,7 Meter. Heute liegt er bei fast vier Metern und die Flusstiefe bei 15,50 Meter.“ Beides wirke sich direkt auf die Speicherstadt aus, die Ende des 19. Jahrhunderts auf Eichenpfählen errichtet worden ist.

Kottmeier: Die Eichenpfähle der Speicherstadt nehmen Schaden

„Der Tidenhub hat sich in beide Richtungen vergrößert, das Niedrigwasser fällt tiefer, das Hochwasser höher aus. Deshalb sind die Pfahlköpfe, die bei Gründung der Speicherstadt ganzjährig unter Wasser standen und nicht verrotten konnten, nun bei Niedrigwasser über längere Zeit dem Sauerstoff ausgesetzt. Sie nehmen Schaden, mit der Folge, dass das gesamte Fundament der Speicherstadt nachgibt.“ Zudem spüle die hohe Stromgeschwindigkeit die Sandauffüllungen aus, auf denen die Speicherstadt ruht.

Kottmeier kritisiert die vielen Eingriffe in den Fluss und die Elbvertiefungen: „Ich segele seit 1966 auf der Elbe, damals hatten wir einen Tidenhub von geschätzt 2,6 Metern.“ Die letzte Elbvertiefung auf 15,5 Meter habe dem Fluss den Rest gegeben und ihn aus dem Gleichgewicht gebracht.

Kottmeier sieht die vielen Elbvertiefungen als Wurzel des Übels

„Als 1858 die Frage anstand, ob man den Hamburger Freihafen als Dockhafen oder als offenen Tidehafen baut, entschied man sich für einen Tidehafen. Wörtlich hieß es damals: Wenn wir ein Tidenhub wie London mit 3,50 Meter hätten, so wäre ein Dockhafen zwingend. Da liegen wir heute.“ Die Ausbaggerungen der Elbe seien wesentlich für die heutigen Probleme, der Meeresspiegel habe sich nur um 15 Zentimeter erhöht. „In der Speicherstadt versacken Stück für Stück die Böden, und damit droht unser Weltkulturerbe insgesamt zu versacken.“

Der Präsident des Architektur Centrums Hamburg hat auch eine Lösung parat: „Wir sollten die Hochwasserschutzlinie aus dem Inneren der Stadt vom Zollkanal nach außen vor die HafenCity legen. Das ist verhältnismäßig einfach, weil wir nur drei Lücken schließen müssen.“ Eine läge beim Baumwall in Höhe des Hanseatic Trade Centers, eine weitere beim geplanten Elbtower. „Dort sollten wir einfache Tide-Tore bauen, die jeweils eine Stunde vor bis eine Stunde nach Hochwasser geöffnet werden und auf diese Weise den Tidenhub auf eine Amplitude von maximal 50 cm reduzieren.“ Zudem schlägt Kottmeier eine Schleuse im Magdeburger Hafen vor. „Ähnliche Überlegungen hatte man bereits beim Bau der HafenCity, aber auf später verschoben.“

Präsident des Architektur Centrums Hamburg hält Lösung für wirtschaftlich machbar

Für die Speicherstadt sei das die Rettung: „Dann würde alles wieder unter Wasser stehen, und die Pfähle wären geschützt“, sagt der gebürtige Hamburger, der viele Jahre einen Holzbaubetrieb führte. „Die Kaimauern sind zum Teil abgängig, sie verrutschen. Die HPA musste schon einen Teil der Mauer ersetzen, was aber extreme Kosten verursacht.“

Kottmeier hält es für möglich, dass der Flutschutz sogar kostenneutral zu realisieren sei, weil enorme Kosten für Sanierungen oder Hochwasserschutzmaßnahmen etwa am Zollkanal entfallen. Zudem könnten die ursprünglichen Kaimauern, die die Inseln der Speicherstadt umschließen, weitestgehend so bleiben, wie sie jetzt sind.

Zum Podcast von Matthias Iken mit Christian Kottmeier
Johann-Christian Kottmeiers Lieblingsplatz ist das Falkensteiner Ufer. Die Elbvertiefungen sieht er kritisch. © Christian Kottmeier | Christian Kottmeier

„Die Speicherstadt wäre für die Zukunft gerettet und könnte sogar fast vollständig für Wohnungen genutzt werden, weil Rettungswege nicht mehr durch Hochwasser behindert werden.“ Ökologische Vorteile brächte der bessere Austausch zwischen den Flussgebieten von Alster und Bille.

Die Lösung mit Fluttoren könnte die Innenstadt attraktiver machen

Kottmeier erwartet durch die Fluttore auch eine Aufwertung der Innenstadt. „Mit der Aufstauung des Nikolaifleets, des Zollkanals und des Oberhafens sowie sämtlicher Kanäle der Speicherstadt verschwinden Barrieren.“ Zudem ließen sich die Verkehrswege 24 Stunden lang sowohl für den Berufs- als auch für den Freizeitverkehr nutzen. „Wir brächten die Innenstadt in einen wassertechnischen Zustand wie vor 170 Jahren zurück, als innerhalb des Wallrings noch rund 100.000 Menschen lebten.“

Kottmeier denkt gleich weiter: „Wenn wir die Kerngebietsausweisung in der Innenstadt aufheben und der Großteil der leer stehenden Büroräume in Wohnanlagen umwandeln, könnten bald wieder 50.000 bis 75.000 Menschen innerhalb des Wallrings wohnen. Damit würde sich die Innenstadt wieder von selbst beleben.“

Patriotische Gesellschaft will Debatte in der Stadt anstoßen

Die Patriotische Gesellschaft will nun eine Debatte anstoßen. Stellen wir uns mal vor, das Nikolaifleet und der Zollkanal wären immer so voll wie bei Hochwasser und sie lägen mit den Kanälen der Speicherstadt auf einer Höhe – dann könnten wir die Wasserwege der Stadt viel intensiver für den Wirtschafts- und Freizeitverkehr nutzen. Das wäre sogar nachhaltig.“

Und es wäre ein Weg zurück zu alten Hamburger Traditionen. „An der Trostbrücke trafen sich früher Bille und Alster. In dieser natürlichen Austiefung lag ein Hafen. Diesen könnten wir wieder zum Leben erwecken, theoretisch könnten die Blankeneser dann mit dem Boot zum Einkaufen in die City fahren.“ Und auch Touristen hätten etwas davon: Hafenbarkassen könnten fast rund um die Uhr dort fahren.

Mehr zum Thema

Das alles mag ausgefallen klingen – aber Kottmeier weiß, dass sich Zeiten radikal ändern können. Er selbst wuchs im Ostflügel des Harburger Schlosses auf, weil sein Vater Verwalter des Gebäudes war. „Georg Wilhelm von Celle hat dieses Gebäude 1692 gebaut – und es hatte sich nicht verändert. Mein Kinderzimmer hatte 4,80 Meter hohe Decken, die Mauerwerkslaibung 1,50 Meter. Das war ein nachhaltiges Gebäude, in dem wir immer schönes Klima hatten und im Winter kaum heizen mussten.“ Als Kind habe er in einer großen Trümmerlandschaft gelebt, ein einzigartiger Abenteuerspielplatz. „Das Schloss lag auf einer Insel, doch selbst bei der Flut 1962 blieben die Kellergewölbe trocken.“

Den Abriss versteht er bis heute nicht: „Meine Eltern haben den sogenannten Harburger Schlosskrieg geführt. Die SPD hat 1963 einen ähnlichen Beschluss gefasst wie Walter Ulbricht in der DDR: Sie wollen die Reste des Feudalismus beseitigen. Wir haben damit einen der ältesten und wichtigsten Profanbauten der Stadt verloren.“ Diese Vernichtung hat Kottmeier geprägt. „Das ist ein Trauma. Ich träume bis heute davon, dass man es retten kann.“

Fünf Fragen an Johann-Christian Kottmeier

Meine Lieblingsstadt? Die Frage ist schwer zu beantworten. Natürlich mag ich Hamburg. Hier bin ich geboren, hier kenne ich viele Menschen und nach 50 Jahren Bautätigkeit alle möglichen Ecken. Die Stadt hat faszinierende Facetten, die auch viele Einheimische nicht kennen: So kann man beispielsweise auf dem Katharinenweg aus der Innenstadt mit dem Fahrrad fast im Grünen bis nach Harburg fahren. Hamburg ist meine Heimat. Aber die Stadt aller Städte ist für mich wegen ihrer Vielfalt, wegen ihrer Möglichkeiten New York. Sie ist teuer, sie ist laut, aber eben die Kulturhauptstadt der Welt. Hamburg und New York haben viele Gemeinsamkeiten: früher bedeutende Wasser-, Hafen- und Industriestädte, die sich an veränderte Umwelt- und Wirtschaftsbedingungen anpassen müssen. New York ist schon lange erfolgreich dabei, sich zu transformieren. Hamburg hat das noch vor sich.

Zum Podcast von Matthias Iken mit Christian Kottmeier
Das Hufnerhaus am Moorfleeter Deich in Allermöhe stammt aus dem Jahr 1547 und wird im Rahmen eines Jugendprojekts saniert. © Christian Kottmeier | Christian Kottmeier

Mein Lieblingsstadtteil ist Ottensen wegen der Kleinteiligkeit. Zuvor haben wir in St. Georg gewohnt, da war es genauso schön. Und man war sofort an der Alster.

Mein Lieblingsplatz ist das Falkensteiner Ufer, der Blick von dort in die Ferne, auf die Schiffe, der ist einmalig.

Mein Lieblingsgebäude ist das Hufnerhaus am Moorfleeter Deich in Allermöhe, das wir gerade sanieren. Vor einigen Jahren haben wir eine Jugendbauhütte gegründet und dieses Haus mit Jugendlichen vor dem Verfall gerettet. Die Außenfassade ist fast fertig. Das Haus ist 1547 gebaut worden und damit 100 Jahre älter als der Dreißigjährige Krieg.

Mit der Abrissbirne würde ich zwei Gebäude in den Blick nehmen. Das eine ist das KPMG-Gebäude, das den Michel verdeckt. Das andere entsteht gerade an der Ecke Holzbrücke/Willy-Brandt-Straße und stellt den Katharinenkirchturm zu.