Hamburg. Besucher aus aller Welt kennen die historische Stätte im Herzen der Hansestadt. Nun soll sie vor dem Verfall gerettet werden.
Der Ort vereint gleich mehrere Extreme: Viele Hamburger haben noch nie von der Ruine in Hinterhofatmosphäre in der City gehört, andererseits reisen Menschen aus vielen Ländern wegen dieser Stätte nahe der Laeiszhalle in die Hansestadt, denn sie ist nicht weniger als die Keimzelle des liberalen Judentums – weltweit. Es geht um die Tempelruine an der Poolstraße im Herzen Hamburgs, die inzwischen, von Unkraut überwuchert, einen bedenklichen Eindruck macht.
Nun hat die Stadt als Eigentümerin des Areals erste Vorstellungen für den Gedenkort präsentiert. Eins wurde bei der Begehung am Dienstag jedoch deutlich: Es gibt nach wie vor keine konkreten Pläne für die Ausgestaltung. Finanzsenator Andreas Dressel (SPD) sagte, es gehe in einem ersten Schritt darum, Schäden an der alten Synagoge zu verhindern, die zuletzt auch nicht mehr zugänglich war.
Tempelruine in der Poolstraße: Viele Beteiligte müssen sich einigen
Statiker und Restauratoren seien schon bald auf dem Gelände im Einsatz, im Anschluss gehe man zur nächsten Phase über, in der ein Ort des Gedenkens und der Erinnerung entstehen werde. Darüber hinaus sei eine Nutzung mit einem Residence-Programm für Forschende und Künstlerinnen und Künstler denkbar, ergänzte der SPD-Politiker.
Die Pläne werden verfolgt von der Steg Hamburg, der Stadterneuerungs- und Stadtentwicklungsgesellschaft Hamburg mbH, in Abstimmung mit dem Moses Mendelssohn Institut und der Nord Project Real Estate. Es geht um einen der interessantesten Lost Places der Stadt, sagte Johannes Robert von der Steg. „Wir freuen uns sehr auf das Ergebnis, das wir alle noch nicht kennen.“
Hamburger Tempel noch in Teilen erhalten
Der Tempel ist nur noch in Teilen erhalten, er wurde im Zentrum der ehemals von den meisten Hamburger Juden bewohnten Neustadt in der Mitte des 19. Jahrhunderts gebaut. Reste des Gebäudes beherbergten zwischenzeitlich eine Autowerkstatt, noch immer zeugen Schilder mit „Autolackierung“ oder „Kfz-Reparatur“ von dieser Zeit als Gewerbehof.
2020 hatte die Stadt das Grundstück mit der Ruine gekauft. Zuvor war der Ort – mehr als 70 Jahre lang – in Privatbesitz, ohne realistische Perspektive auf eine denkmalgerechte Sicherung oder Zugänglichkeit für die Öffentlichkeit, dahinvegetiert.
Brosda: Ort des Gedenkens, Austauschs und Lernens
Er soll langfristig wieder zu einer Stätte werden, die von der Kulturgeschichte der Stadt erzählt, sagte Kultursenator Carsten Brosda (SPD). Nutzungen als Zentrum des Gedenkens, Austauschs, Lernens und Erfahrens seien denkbar. Insgesamt solle es darum gehen, „eine verantwortungsvolle, sensible Entwicklung des Ortes unter Einbeziehung der Zivilgesellschaft mit einem ausgewogenen Gesamtkonzept in städtischer Verantwortung zu erreichen“. Optionen dafür würden mit Akteuren des jüdischen Lebens besprochen. Im Anschluss an die Begehung begann ein entsprechender Workshop.
Langfristig solle sich das Konzept dabei selbstständig tragen, ergänzte Dressel. Aber zunächst könne man nicht sagen, was die Erhaltung und Erneuerung mit modernen Ansprüchen wie etwa dem Feuerschutz kosten werde.
Hamburger Tempelverein gilt als Wurzel des liberalen Judentums
Dabei ist die Bedeutung des Baus immens: Der Hamburger Tempelverein mit seinem 1844 errichteten Sakralbau gilt als Wurzel des liberalen Judentums, zu dem sich heute etwa 1,7 der weltweit 14 Millionen Juden zugehörig fühlen. Das Tempelgebäude wurde im Zweiten Weltkrieg durch eine Fliegerbombe teilweise zerstört und steht seit vielen Jahren unter Denkmalschutz.
Wie wird der Bau trotz der mit dem Denkmalschutz verbundenen Vorgaben verändert? Auch dazu gab es bei der Präsentation wenige Details. Nur soviel: „Die Höhe des nun angedachten Gebäudes soll geringer ausfallen, als die 2019 per Bauvorbescheid genehmigte Überbauung des Torhauses um vier weitere Geschosse“, hieß es am Dienstag. Die beengte Hinterhoflage, einseitige Erschließung des Grundstücks und Ergänzung von Nachkriegsbauten bildeten Herausforderungen für den Bauprozess.
Kritik vom Israelitischen Tempelverband zu Hamburg
Der Tempelverband sieht den Prozess derzeit kritisch. „Wir haben bereits beim Hamburger Denkmalamt einen Antrag gestellt, dass der Tempel zum Nationaldenkmal wird“, sagte Eike Steinig, zweiter Vorsitzender und Sprecher des israelitischen Tempelverbands zu Hamburg. Bisher vergeblich.
„Wünschen würden wir uns auch, dass der Ort zum Weltkulturerbe wird“, ergänzte Steinig. Der Israelitische Tempelverband in Hamburg hatte den Tempel 1844 gebaut. Die Synagoge wurde schließlich 1937 unter Zwang verkauft.
Die 340 Mitglieder wünschen sich schon länger Räume für würdevolle Gottesdienste und einen Kindergarten zurück – um wieder einen Ort für die Gemeindeaktivitäten und jüdische Kultur zu bekommen, betont Steinig. Doch die Reaktion der Stadt darauf sei immer sehr zurückhaltend gewesen. Die Gemeinde treffe sich derzeit unter unwürdigen Umständen in einer leeren Turnhalle.
Synagoge am Bornplatz: Pläne helfen Gemeinde nicht
Auch die Pläne zum Wiederaufbau der orthodoxen Synagoge am Bornplatz helfen den Mitgliedern nicht. Denn sie betreffen die Jüdische Gemeinde, eine andere Gemeinschaft. Diese steht anders als der Israelitische Tempelverband nicht in der Tradition des Tempelverbandes.
Die damals noch rund 800 Mitglieder gehörten vor der Shoa, also der vom deutschen Nationalsozialismus verübten Verfolgung und Ermordung der Juden, zu den größten Geldgebern der Deutsch-Israelitischen Gemeinde (später jüdischer Religionsverband), dem Dachverband der jüdischen Gemeinden in Hamburg und haben nach eigenen Angaben alle wichtigen Gebäude maßgeblich mitfinanziert.
Synagoge in der Poolstraße verkörperte Reformprogramm
Etliche Teile des Baus in der Poolstraße entsprachen damals nicht den herkömmlichen Baumustern für Synagogen. Sie wiesen schon architektonisch auf das Reformprogramm hin: Außergewöhnlich war ein großes Tor als gemeinsamer Eingang für Frauen und Männer. Links vom Tordurchgang führte eine Treppe zur Chorempore sowie zur Orgel. Beides befand sich also über der Vorhalle – dies war für einen orthodoxen Ritus gänzlich ungebräuchlich, auch weil der teilweise bezahlte gemischte Chor von oben und außerhalb des Hauptschiffes vortrug.
Auch der Denkmalverein betont die Bedeutung der Pläne für die Ruine in der Poolstraße: „Wichtig ist die zeitnahe Sicherung der Substanz, deren Zustand schon seit Jahren besorgniserregend ist“, sagt Kristina Sassenscheidt, Geschäftsführerin des Denkmalvereins Hamburg e. V. Die Tempelreste seien Geschichtsdokumente, „denn der Tempel war nicht weniger als die Keimzelle des liberalen Judentums weltweit. In einer Diskussion im November in der Patriotischen Gesellschaft wurde seine Bedeutung verglichen mit der Schlosskirche in Wittenberg für den Protestantismus“, ergänzt die studierte Architektin.
Hamburger Denkmalverein: Tempelruine solle Platz für Begegnungen werden
Ein solcher Ort müsse mit größter Sensibilität behandelt werden. „Im nahen Gängeviertel ist zu sehen, wie eine Mischung von Atelier- und Diskussionsräumen ein Quartier beleben kann. Solche Begegnungsorte sind wichtig für die Stadtgesellschaft und ihre Auseinandersetzung mit Geschichte“, ergänzte Kristina Sassenscheidt.
Denkbar wäre an der Poolstraße beispielsweise eine Nutzung als offene Stadtwerkstatt von Arbeitsgruppen und Initiativen, die sich mit Kultur, Stadtentwicklung und der Geschichte des Tempels beschäftigen, so die Denkmalexpertin.
Überlegungen, wie es sie etwa zum Neubau von Wohnungen auf dem Grundstück gab, seien damit Grenzen gesetzt. Auch bei der Begehung am Dienstag hieß es, Wohnungen würden nicht gebaut. „Es geht nicht um Wohnungsbau, um die Kosten des Erwerbs wieder hereinzuspielen“, sagt Dressel.
Stadt Hamburg: Verkauf der Tempelruine ist nicht geplant
Immer wieder hatte es auch Spekulationen über eine Veräußerung des Grundstücks gegeben. Solchen Plänen wurde nun eine Absage erteilt. „Ein Verkauf der Ruine ist ausdrücklich nicht Teil der Überlegungen“, heißt es von der Stadt.
Wie geht es nun weiter? Am Dienstag, den 20. Juni, richtet die Patriotische Gesellschaft eine Veranstaltung unter dem Titel „Quo vadis II: Was soll aus der Poolstraße werden? Konzepte in der Diskussion“ aus. Zugleich sollen Schilder mit Informationen zum Bau-Fortschritt am Eingang Poolstraße 12 den Bürgern künftig Einblicke in den Prozess geben, so Dressel.