Hamburg. Haus in der Neustadt ist Keimzelle des liberalen Judentums. Stadt hat Areal erworben – doch bisher nichts unternommen.
Der weltweit bekannte Israelitische Tempel an der Poolstraße (Neustadt) verfällt weiter. „Es gibt tagtäglich einen weiteren Substanzverlust“, beklagte der Vorsitzende des Denkmalvereins Hamburg, Lennart Hellberg, auf einer Veranstaltung der Patriotischen Gesellschaft. Das Mauerwerk sei feucht, Steine lösten sich heraus. Besonders schlecht sei der Zustand der Apsis. „Es braucht dringend weitere Sicherungsmaßnahmen. Das Notdach reicht nicht.“
Weltweit bekannter Israelitischer Tempel in Hamburg droht Einsturz
Die Stadt Hamburg hatte das Teilgrundstück in der Poolstraße mit der Ruine des historischen Bethauses der Hamburger Reformjuden vor zwei Jahren gekauft, um es vor dem drohenden Verfall zu retten. „Mit dem Erwerb des Grundstücks ist dieses bedeutende Denkmal endlich dauerhaft gesichert“, hatte damals Kultursenator Carsten Brosda gesagt. Doch zwei Jahre später müsse der Denkmalverein Hamburg leider darüber nachdenken, den Status von „gerettet“ wieder auf „gefährdet“ zu stellen, kritisierte Lennart Hellberg.
Der 1817 gegründete Hamburger Tempelverein mit seinem 1844 errichteten Sakralbau in der Neustadt gilt als Wurzel des liberalen Judentums, dem sich heute etwa zwei Millionen der weltweit 14 Millionen Juden zugehörig fühlen. Hamburgs liberale Juden nannten die Synagoge „Tempel“, grenzten sich gegen die orthodoxen Juden mit Predigten in deutscher Sprache, Orgelmusik und deutschen Chorälen ab.
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Wichtig war ihnen die Gleichberechtigung von Mann und Frau. Das Tempelgebäude wurde im Zweiten Weltkrieg durch eine Fliegerbombe teilweise zerstört. Die Ruine steht seit längerer Zeit unter Denkmalschutz und soll eigentlich saniert werden. Mehr noch: Die Stadt will nach ursprünglichen Planungen auf dem Areal bis zu 13 Wohnungen bauen.
Passiert ist in den zwei Jahren nichts
Doch passiert ist in den zwei Jahren nichts, das machte die Veranstaltung in der Patriotischen Gesellschaft deutlich, die von deren Beiratsmitglied Ingrid
Nümann-Seidewinkel moderiert wurde. Nach der Schließung der Autowerkstatt Stern sei die Anlage – anders als von der Stadt zugesagt – derzeit nicht mehr uneingeschränkt öffentlich zugänglich.
Denkmalschützer und liberale jüdische Gemeinde fordern dringend Untersuchungs- und Sicherungsmaßnahmen sowie endlich die Vorlage eines Nutzungskonzepts. Dass auf dem engen Terrain Wohnungen gebaut werden sollen, wird von vielen als höchst problematisch empfunden. Außerdem gibt es die Sorge, dass abermals Fachbehörden über die Konzeption entscheiden und die Öffentlichkeit nicht beteiligt werde.
Unterstützung erhalten Israelitischer Tempelverein und Denkmalschützer vom renommierten Historiker Professor Michael Albert Meyer aus Cincinnati (USA). In einer Videobotschaft erläuterte er die herausragende religiöse Bedeutung dieses Hamburger Bauwerks für die weltweiten Reformjuden deutlich. Die Reste des Tempels müssten als Leuchtturm liberalen Judentums unbedingt erhalten bleiben.
Denkmalschützer und liberale jüdische Gemeinde fordern Vorlage eines Nutzungskonzepts
Nach Abendblatt-Informationen haben sich drei Hamburger Senatoren und ein Staatsrat erst kürzlich vor Ort ein Bild von der aktuellen Lage gemacht. „Im jüdischen Erbe in unserer Stadt kommt dem Tempel eine ganz besondere Bedeutung zu, der wir mit dem Ankauf und der Erarbeitung eines Nutzungskonzeptes Rechnung tragen werden“, sagte Finanzsenator Andreas Dressel (SPD) auf Abendblatt-Anfrage. „Wir sind im engen Austausch mit allen Beteiligten. Alle sind sich der Verantwortung bewusst, die Würde des Ortes bei allen Überlegungen zu wahren. Der Prozess ist hochkomplex, da geht Gründlichkeit vor Schnelligkeit.“
Sobald die wesentlichen Rahmenbedingungen bestimmt seien, werde die von Senat beauftragte steg Hamburg mbH den weiteren Beteiligungsschritt einleiten. „Der Workshop mit verschiedenen Akteure des jüdischen Lebens in Hamburg sowie der Zivilgesellschaft ist für das 1. Quartal 2023 vorgesehen. Dann werden wir Konkreteres sagen können: zu Nutzungsmöglichkeiten und Kosten“, betonte Andreas Dressel.
Selbstverständlich würden alle notwendigen Maßnahmen zur Sicherung dieser wertvollen Tempelruine unternommen. Ob und wie in das zukünftige Konzept eine Wohnnutzung integriert werden wird, könne derzeit noch nicht abschließend geklärt werden, heißt es in der Finanzbehörde. Weiterhin sei die öffentliche Zugänglichkeit der Flächen sowie die denkmalgerechte Sanierung der Tempelruine Teil der Konzeptansätze.