Hamburg. Die Hamburger Architektin Alexandra Czerner ist eine Pionierin klimabewusster Stadtplanung. Sie versteht die Metropole als Ökosystem.
Die Immobilienbranche ist erst spät ergrünt – zwar emittieren Gebäude in Bau und Betrieb rund 40 Prozent des CO2, doch eine wirkliche Debatte, was sich ändern kann und muss, wird erst seit Kurzem geführt. Eine Pionierin klimabewusster Stadtplanung ist die Hamburger Architektin Alexandra Czerner. Die 61-Jährige, die vor zehn Jahren in die Deutsche Akademie für Städtebau und Landesplanung berufen wurde, fordert einen radikalen Wandel im Denken der Branche.
Schon bei ihrem Diplom 1989 an der TU Hannover hat sie sich in ihrer mündlichen Architekturprüfung mit dem Thema „Raumschiff Erde“ und den begrenzten Ressourcen befasst. „Ich habe damals über den Club Of Rome referiert. Das Thema hat mich bis heute nicht losgelassen.“ Seitdem ist in der Immobilienwirtschaft einiges passiert – aber bezogen auf das Wissen viel zu wenig.
Mit ihrem Idealismus konnte sich Czerner nicht immer durchsetzen
„Wir waren zu langsam. Mein Berufsideal ist, die Welt ein Stückchen besser zu machen und nicht nur gebaute Quadratmeter zu hinterlassen.“ 1991 gründete sie in Hamburg das Büro czerner architekten, zehn Jahre später schloss sie sich mit Jürgen Göttsch und Martin Reichardt zusammen. Seit 2004 existiert das Büro in der heutigen Form als „czerner göttsch architekten – architektur und stadtplanung“ mit 20 Beschäftigten.
Nicht immer konnte sie sich mit ihrem Idealismus durchsetzen. „Ich habe immer Vorschläge für nachhaltiges Bauen gemacht, aber auch Bauherren erlebt, die gesagt haben: Das ist alles gut und schön. Aber wir haben genug zu tun; wenn ich nicht dazu gezwungen werde, werde ich zum Thema Klimaschutz nicht mehr machen.“
Immobilien Hamburg: Die Branche ist konservativ
Die Immobilienwirtschaft sei konservativ, was Änderungen betrifft. „Das Geschrei ist am Anfang oft sehr groß, am Ende geht es doch. Es geht hier um einen tiefgreifenden Kulturwandel: Wir machen aus der steinernen Stadt, in der die Natur an einzelne Orte verdrängt worden ist, wieder das Ökosystem Stadt.“ Städte versteht sie als Lebensraum, in dem alle Bausteine grün gedacht werden müssen. „Überall, wo Hitze, CO₂ und Feinstaub entstehen, brauchen wir unmittelbar Kühlung, Filterung und Umwandlung in Sauerstoff. Das Problem muss dort bekämpft werden, wo es entsteht.“
Czerner nimmt ein Umdenken wahr. Inzwischen sei es beispielsweise leichter, Bauherren von einer Dachbegrünung zu überzeugen. „Das machen wir schon lange.“ Komplizierter werde es bei der Fassadenbegrünung oder einem höheren Grünflächenanteil, bei der Ökodiversität. Ein positives Beispiel sei das Buchenhofprojekt des Bauvereins der Elbgemeinden an der Osdorfer Landstraße. „Dort haben wir schon 2011 ein wirkliches Kreislaufsystem entwickelt.“ Zugleich gebe es viele Beispiele, bei denen viele gute Ansätze in der Ausführungsplanung nach und nach herausgestrichen werden.
„Es sollte sich niemand darauf verlassen, dass Hamburg ein Klima wie Norditalien bekommt“
„Deshalb brauchen wir Regeln, nicht nur für den Neubau, sondern für jedes Eigentum. Wenn wir nur Neubauprojekte besser machen, bekommen wir noch keine klimaresiliente Stadt“, sagt Czerner. Zwar zähle jedes Projekt, nötig sei aber ein generelles Umsteuern. „Seit dem Bericht des Club of Rome sind mehr als 50 Jahre vergangen.“ Ihr bitteres Resümee: „Das Prinzip der Freiwilligkeit hat versagt. Die Politik will Bauherren freiwillig bewegen und mit Fördertöpfen überzeugen. Doch unsere Städte sind nicht sehr viel grüner geworden.“
In Anbetracht des Klimawandels gebe es nun erheblichen Handlungsdruck. „Es sollte sich niemand darauf verlassen, dass Hamburg ein Klima wie Norditalien bekommt“, warnt Czerner. „Wir müssen mit mehr Chaos rechnen – mal zu viel Wasser, dann zu wenig, Hitzeperioden. Begrünung hilft, die Ausschläge zu lindern und die Zahl der Hitzetage zu reduzieren, wie Experten berechnet haben.“
Czerner plädiert für eine verbindliche Grünflächenzahl
Zu diesem Zweck wünscht sie sich eine verbindliche Grünflächenzahl bei Immobilien. Dahinter steht die Kennziffer, wie viel Grün an und auf einem Gebäude sowie dem Grundstück wächst, das dann addiert und in Beziehung zum Grundstück gesetzt wird. Bei einer Grünflächenzahl von beispielsweise 0,5 müsste die Hälfte begrünt sein. „Man muss immer erst mal viel fordern, um dann etwas Gutes umzusetzen.“
Die Architektin definiert drei Hauptforderungen für die grün durchwachsene Stadt, um ein funktionierendes Ökosystem zu erreichen, das die Menschen mit Sauerstoff versorgt, die Luft reinigt, aber auch das Wasser hält. Eine ambitionierte Grünflächenzahl schaffe mehr Grün. Zweitens müsse die Grenzbebauung zukünftig verhindert werden, bei der das Gebäude direkt an eine gepflasterte Straße oder den Bürgersteig stößt.
An vielen Häusern sollen die Fassaden begrünt werden
„Hier gibt es keine Möglichkeit, Wasser versickern zu lassen oder Pflanzen zu setzen.“ Schon auf kleinsten Flächen wünscht sie sich große Rankpflanzen, die ganze Häuserwände begrünen. „Das müsste man zum Prinzip machen und vor allen Häuser einen halben Meter oder mehr aufbrechen, um diese Fläche zu begrünen.“ Drittens geht es ihr um das Entsiegeln von Flächen.
Das Umsteuern erfordert Verzicht – gerade auch beim Thema Mobilität. „Unsere Städte müssen dichter werden und zugleich grüner.“ Verkehrsflächen müssten dementsprechend zurückgebaut werden, Freiflächen neu gedacht werden. Zugleich gelte es, alle Maßnahmen zur CO2 -Ersparung zu nutzen.
Die Pflanzen in der Stadt werden sich durch den Klimawandel ändern
Die grün durchwachsene Stadt, wie sie Czerner vorschwebt, hat einen großen grünen Anteil in allen Straßenräumen. „So wie wir das jetzt vorschlagen, gibt es das in Deutschland noch nicht. Salzburg hat damit angefangen, eine Grünflächenzahl zu entwickeln.“ Auch mit den Pflanzen in der durchwachsenen Stadt hat sich die begeisterte Gärtnerin schon befasst: „Die Bepflanzung wird sich ändern. Mischwald ist eine Lösung wie auch die Integration von eher südeuropäischen Bäumen in unseren Parks und Straßen.“
Doch Wunsch und Realität klaffen mitunter auseinander. Auch ihr Büro hat etwa in der Mitte Altona, in einem sehr verdichteten Gebiet mit wenig Grün und großen Tiefgarageneinfahrten, einige Projekte entworfen. „Ohne Regeln kann ich nichts fordern. Ich kann Bauherren immer nur zu überzeugen versuchen. Wir haben einen Wettbewerb gewonnen und waren die Einzigen in der Konkurrenz, die einen begrünten Bereich an einer Blockseite abgespart haben“, erzählt sie. An einer weiteren Stelle hatte ihr Büro eine Hauskante leicht zurückgerückt, um dort eine Begrünung zu ermöglichen. „Das haben dann Behörde und Bauherren anders entschieden, weil es nicht in die Mitte Altona hineingepasst hätte.“
Czerner: Die Krise am Bau darf kein Argument gegen den Klimaschutz sein
Das habe sie mit ihrem Büropartner Jürgen Göttsch in der Haltung bestärkt, dass Überzeugungsarbeit allein nicht reicht. „Früher habe ich immer gedacht, mit guten Projekten kann man ein Beispiel geben. Mittlerweile sehe ich, das funktioniert nicht. Jetzt mache ich das, worauf ich eigentlich nie Lust hatte: die Politik ansprechen, Forderungen stellen und unbequem werden.“ Es gehe hier um einfache Dinge, die man leicht umsetzen kann und die nicht mehr Geld kosten. „Das sind wir der Zukunft schuldig“, sagt die Mutter eines Sohnes und einer Tochter.
Die Krise am Bau lässt sie als Gegenargument nicht gelten. „Mit bodengebundenen Pflanzen kann ich Fassadenbegrünung zusätzlich zu einer Dachbegrünung sehr einfach und kostengünstig entwickeln. Kein Projekt muss teurer sein als ein herkömmliches Projekt“, verspricht sie. „Man kann eng bebauen, man findet Lösungen, wir können auch bei gleicher Dichte noch ein gesundes Lebensumfeld und ein Ökosystem Stadt schaffen.“ Die Pflege der Rankpflanzen ist machbar – wie Salzburg und viele andere Beispiele zeigen. „Es gibt unglaublich viele Menschen und Bürgerinitiativen, die sich um die Pflanzen kümmern würden.“
„In Hamburg passiert zu wenig“
Wenn Häuser hinter einem grünen Kleid verschwinden, müssen auch die Architekten umdenken und ihren gestalterischen Ehrgeiz zurücknehmen. „Architektur hat viel mehr Aspekte als die Fassade. Es ist genauso anspruchsvoll, ein wunderbar proportioniertes Haus mit lebendigem Grün zu schaffen, als sich nur mit toten Materialien zu beschäftigen.“ Die Berufsgruppe habe sich immer schnell auf neue Regeln eingelassen.
Sie kritisiert, dass auch in Hamburg zu wenig geschieht. „Es gibt einzelne löbliche Beispiele, die aber nur ein Tropfen auf den heißen Stein sind. Deswegen sind Regeln so wichtig.“ Im Entwicklungsprojekt Oberbillwerder, dem 105. Stadtteil, sieht sie positive Entwicklungen, weil in den straßennahen Bereich zumindest ein schmaler Grünstreifen angedacht ist. Positiv sei die Begrünung des Weltkriegsbunkers an der Feldstraße. „Die Idee ist wunderbar“, sagt die 61-Jährige. „Die Begrünung muss jetzt zeigen, wie gut sie geplant ist, und wuchern.“
Scharfe Kritik übt die Expertin am Elbtower
Eher enttäuscht ist sie von der HafenCity. „Als Axel Gedaschko Senator war, hat er mich zu einem Bummel durch die HafenCity eingeladen und um Verbesserungsvorschläge gebeten. Da habe ich ihn auf die Probleme hingewiesen: zu wenig Grünflächen, zu viele gepflasterte Flächen, die Grenzbebauung.“ Die Reaktionen waren positiv, geändert hat sich indes wenig. „Ich habe seitdem mit jeder Senatorin, jedem Senator gesprochen und Vorschläge gemacht, aber es sind nicht sehr viel umgesetzt worden.“
Scharfe Kritik übt sie am Elbtower. „Der war schon als Idee ein Dinosaurier. Hochhäuser sind extrem teuer, je höher, desto teurer. Das ist eine Machtdemonstration, die wir in unserer Bürgerstadt wahrhaftig nicht brauchen. Wir benötigen auch kein zusätzliches Wahrzeichen.“ Nun gehe es darum, aus diesem Rohbau das Beste zu machen. „Wir sanieren ja auch Altbauten aus den 70er-Jahren und machen was Schöneres daraus. Die graue Energie, die dort drinsteckt, muss genutzt werden – also bitte weder abreißen noch weiterbauen.“
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Sie erhofft sich, dass Deutschland und die Industriestaaten beim Umbau der Städte in Zukunft mit gutem Beispiel vorangehen. „Wir haben mit der Industrialisierung angefangen, dann sollten wie jetzt den Ehrgeiz entwickeln, das Konzept der ökologischen Stadt voranzutreiben. Leider zeigt die Geschichte der Menschheit, dass große Änderungen meistens mit großen Katastrophen zu tun hatten. Meine Hoffnung ist, dass wir nicht erst das Ende abwarten, sondern rechtzeitig die richtigen Dinge tun.“
Fünf Fragen an Czerner
Meine Lieblingsstadt ist die, die ich mir ausgesucht habe: Hamburg. Allerdings ist mein Ideal eher das alte Hamburg vor der Zerstörung durch den Krieg und die Idee der autogerechten Stadt. Ich hoffe, dass Hamburg in Zukunft in allen Stadtteilen noch grüner wird.
Mein Lieblingsstadtteil ist Altona, wo ich lebe. Hier gibt es viele durchmischte Gegenden, Straßenzüge, Plätze, Orte, an denen das Leben tobt und wo wir die Mischung der Bevölkerung sehen und erleben können.
Mein Lieblingsort ist der Wohlers Park in Altona. Er liegt ein bisschen versteckt, und doch sind da abends bei schönem Wetter unglaublich viele Leute. Ich mag die Stimmung mit unterschiedlichen Menschen und unterschiedlichen Generationen. Nur einen Wunsch hätte ich: Nehmt Euren Müll nach dem Grillen mit.
Meine Lieblingsgebäude sind Häuser, die von der Natur eine zusätzliche Schicht bekommen haben, weil sie begrünt wurden. Ich liebe die alte Oberpostdirektion in der Schlüterstraße, die schöne alte Architektur und diese wunderbare lebendige Begrünung.
Einmal mit der Abrissbirne möchte ich die unnötig versiegelten Flächen aufreißen. Auch in Hamburg haben wir Zehntausende Quadratmeter versteinerte Flächen auf dem Boden, die man leicht begrünen und damit etwas Gutes für die Stadt tun könnte.