Ellerhoop/Kreis Pinneberg. Stadtplanerin Alexandra Czerner sprach sogar von einem „Verbrechen“ und fordert einen gesetzlichen Zwang zur Begrünung von Dächern.
Ein radikales Umdenken und vor allem Umsteuern in der Bauwirtschaft durch die Politik fordert Alexandra Czerner. Die Hamburger Architektin und Stadtplanerin hielt einen fesselnden Vortrag zum klimagerechten Städtebau während der Hauptversammlung des Landesverbandes des Bundes deutscher Baumschulen (BdB) in Ellerhoop.
Demnach müssten die Baugesetze dringend geändert werden. Bauherren etwa soll ein verbindlicher Anteil an durchwachsenen Grünflächen an und auf den Gebäuden auferlegt werden. Ohne eine solche gesetzlich festgelegte Grünflächenzahl sei das Aufheizen der Städte nicht mehr aufzuhalten, sagte die Stadtplanerin.
Hamburger Stadtplanerin: „Es ist nicht fünf vor oder fünf nach 12, sondern bereits halb Eins“
„Es ist nicht fünf vor oder gar fünf nach Zwölf, was den Klimawandel angeht“, beschwor Alexandra Czerner die etwa 100 Zuhörer im Gartenbauzentrum aus der Baumschulwirtschaft sowie der Pinneberger Kreisverwaltung und Kommunalpolitik. „Es ist bereits halb eins.“
Darum seien „klare Regeln für alle Gebäude notwendig“, neue wie alte, forderte sie. Genauso wie die Landesbauordnung Vorschriften dazu mache, wie hoch ein Gebäude auf einem bestimmten Grundstück gebaut werden dürfe, müsse es künftig neben der Geschossflächenzahl auch eine Grünflächenzahl geben.
Architektin: „Für den Klimaschutz ist die Hamburger HafenCity ein Verbrechen“
50 Prozent sollte diese betragen, forderte die Stadtplanerin und Architektin. Das hieße, dass mindestens die Hälfte der Grundstücks- und Dachfläche eines Hauses begrünt werden müsste. Für Häuslebauer mit ihrem Einfamilienhaus und einem Garten sei das oft leicht zu erreichen. Im mehrgeschossigen Mietwohnungsbau in den Städten wäre dies allein mit der Begrünung von Dächern nicht zu schaffen.
„Wir brauchen vitale Fassadenbegrünungssysteme“, forderte Alexandra Czerner. Auch die steinernen Hausfassaden müssten praktisch überall und das großflächig mit bodengebundener Vegetation dauerhaft begrünt werden. Dazu zählten Bäume, Büsche, Kletterpflanzen.
Kritik an HafenCity: „Unbegrünte Bürgersteige grenzen direkt an unbegrünte Mauern“
Da, wo dies nicht möglich sei, müssten die versiegelten Flächen eben wieder entsiegelt und aufgerissen und so eine direkte Verbindung in die Erde geschaffen werden, forderte die Stadtplanerin. Eine der größten Bausünden einer klimaungerechten Architektur sei die Hamburger HafenCity, sagte sie. Da grenzten unbegrünte Bürgersteige direkt an unbegrünte Mauern der Hochhäuser. „Das ist ungesund für die Menschen und für den Klimaschutz ein Verbrechen.“
Neueste Daten des Bundesumweltamtes belegen diese Aussagen der engagierten Stadtplanerin und Architektin. In dessen aktuellem Monitoringbericht vom November 2023 zu den Klimaanpassungen heißt es, dass sich deutschlandweit die Zahl der „heißen Tage“ mit Temperaturen von mehr als 30 Grad Celsius seit den 50er-Jahren auf zehn Tage mehr als verdreifacht haben.
Klimawandel: Immer mehr heiße Tage, vor allem in den großen Städten
In besonders heißen Sommern wie 2018 heizten sich die großen Städte sogar extrem auf. In Frankfurt am Main sei es da an 42 Tagen heißer als 30 Grad gewesen. „Damit wurde der bis dato höchste bundesweite Mittelwert um mehr als das Doppelte übertroffen“, heißt es in dem 370 Seiten starken Bericht des Umweltbundesamtes.
Diese Entwicklung ist auch im an sich kühleren Norden festzustellen, wie der aktuelle Klimareport für Schleswig-Holstein des Deutschen Wetterdienstes feststellt. Demnach ist in den vergangenen 30 Jahren die Zahl der warmen Tage (mehr als 25 Grad Celsius) hierzulande um 50 Prozent auf 22,5 Tage im Vergleich zu 1961 bis 1990 angestiegen. Bundesweit lägen diese Daten inzwischen bei 27 bis eben 40 Tagen, resümiert der Wetterdienst, was einem Anstieg von 12,5 Tagen entspreche. Bis auf 1990 sind die zehn wärmsten Jahre allesamt in diesem Jahrtausend gewesen.
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Somit hätten Politik, Wirtschaft und Bürgerschaft in großen Städten „keine Zeit mehr zu warten“, folgerte Stadtplanerin Czerner. „Die Städte sind zu heiß und heißer als das Umland“, sagte sie und forderte: „Es besteht dringender Handlungsbedarf. Dachbegrünung ist nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Wir brauchen massive Fassadenbegrünung.“
Im Vergleich zu den sonstigen Baukosten seien die Investitionen in die dauerhafte Bepflanzung der Gebäude eher marginal, sagte Alexandra Czerner. Vorbild könnten jene Altbauten sein, an denen sich Grünpflanzen am Mauerwerk bis zum Dachgiebel hochranken würden.
Grüne Städte: Das Prinzip der Freiwilligkeit sei gescheitert
Das von Politik beschworene Prinzip der Freiwilligkeit habe sich in Bezug auf seit Langem wissenschaftlich erkannte klimapolitische Fehlentwicklungen der Städte (Club of Rome 1972) in den vergangenen 50 Jahren als gescheitert erwiesen. Weiterhin darauf zu hoffen, ohne bindende Regeln grün durchwachsene Städte – egal, welchen Fachbegriff man dafür nutzt – blühen zu sehen, sei nicht nur sinnlos, sondern verantwortungslos. Die Forderung an die Politik sei deshalb unmissverständlich: Verbindliche Regeln zur Durchgrünung der Städte für Neubauvorhaben und für Bestandsbauten jeglicher Nutzung seien umzusetzen.