Hamburg. Beinahe hätte Piotr W. einen Gewaltexzess nicht überlebt. Jetzt ist der Fall wieder vor Gericht. Die Anklage sieht einen Mordversuch.

Sie quälten ihren Kollegen bis aufs Blut, und zwar buchstäblich. Sie schlugen, traten, sie demütigten ihn. Nach dieser abseitigen, folterartigen, völlig sinnlosen Tat in drei Akten war nicht mehr viel übrig von Piotr W., einem damals 43 Jahre alten Mann, der zusammen mit vier Landsmännern aus Polen in einer Monteurswohnung an der Cuxhavener Straße lebte.

Der Gewaltexzess, der sich im August 2021 ereignete, geht am kommenden Mittwoch vor einer Schwurgerichtskammer des Hamburger Landgerichts in die zweite Runde, nachdem der Bundesgerichtshof (BGH) das Urteil gegen beide Angeklagten teilweise aufgehoben hatte.

Staatsanwaltschaft von Tötungsvorsatz überzeugt

Verurteilt hatte das Landgericht den Haupttäter Lukas D. (37) im August 2022 zu einer Gefängnisstrafe von sieben Jahren und zehn Monaten. Den Mitangeklagten Dawid B. sprach es lediglich wegen unterlassener Hilfeleistung schuldig, setzte eine Freiheitsstrafe von zehn Monaten fest, sprach ihn aber ansonsten vom Vorwurf der Beihilfe frei.

Allerdings erging der Schuldspruch nicht, wie von der Staatsanwaltschaft beantragt, wegen versuchten Mordes, sondern nur wegen gefährlicher Körperverletzung. Dagegen hatte die Anklagebehörde Revision eingelegt und war damit in Teilen auch erfolgreich. „Die Staatsanwaltschaft ist weiterhin überzeugt, dass hier ein Tötungsvorsatz nachzuweisen ist“, sagte Behördensprecherin Liddy Oechtering auf Abendblatt-Nachfrage.

Folter-Fall: „Sadistische Neigungen und Freude am Quälen“

Gleich drei sogenannte Mordmerkmale sieht die Anklage in diesem Fall verwirklicht: Heimtücke, niedrige Beweggründe und Grausamkeit. Zum Prozessauftakt im Februar 2022 hieß es in der Anklage der Staatsanwaltschaft, dass das Handeln von Lukas D. von „sadistischen Neigungen und Freude am Quälen und Erniedrigen bestimmt“ gewesen sei. Im neuen Prozess wird dem 37-Jährigen erneut gemeinschaftlicher Mord in zwei Fällen in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zur Last gelegt. Dawid B. muss sich – wie vor zwei Jahren – jeweils wegen Beihilfe verantworten.

Das Martyrium des Piotr W. beginnt, so die Anklage, am Abend des 14. August 2021 in der Monteurswohnung an der Cuxhavener Straße. Fünf Handwerker leben dort, alle Polen, alle beschäftigt bei einem Abrissunternehmen. Piotr W. schläft, als sich Lukas D. und ein (gesondert verfolgter) Mitbewohner in sein Zimmer schleichen und ihn zunächst mit Möbelstücken bewerfen, um „ihre Gewaltfantasien auszuleben“, wie es in der Anklage heißt. Sie hören nur deshalb auf, weil sie im verwüsteten Zimmer nicht mehr „gezielt auf ihn einwirken“ können, heißt es weiter. Beim Auftakt des Gewaltreigens brechen unter anderem drei Rippen des Opfers.

Das Martyrium des Piotr W. endet nicht, es geht einfach immer weiter

Am Nachmittag des nächsten Tages geht es in der Küche weiter. Da tritt Lukas D. dem 43-Jährigen mehrfach ins Gesicht und gegen das Ohr, schlägt ihm eine leere Bierflasche gegen die Schulter und den Metallstiel eines Besens auf den Hinterkopf. Piotr W. bricht bewusstlos zusammen. Schaut der Angeklagte Dawid B. da noch tatenlos zu und billigt so nach Auffassung der Staatsanwaltschaft das Geschehen, greift er kurz darauf aktiv ein: Als Lukas D. ihn zwingt, sein eigenes Blut aufzuwischen, soll er den Schwerverletzten zu Boden gedrückt haben, sodass Lukas D. ihn in der demütigenden Position fotografieren kann.

Zu Ende ist der Exzess aber noch immer nicht: Als Lukas D. das Opfer später zwingt zu duschen, misshandelt er ihn weiter, mit dem Stiel eines Wischmobs und einer Fahrradkette. Schließlich fällt Piotr W. durch die Glaswand der Duschkabine, wodurch er weitere Schnittwunden, Knochenbrüche und lebensbedrohliche Verletzungen erleidet. Die Angeklagten hätten ihn im Glauben zurückgelassen, „er sei bereits tot oder werde in Kürze sterben“, so die Staatsanwaltschaft.

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Und ganz falsch lagen sie mit dieser Einschätzung nicht. Das Gericht hatte im ersten Prozess Fotos gezeigt, die die Verletzungen des 43-Jährigen dokumentierten. Es waren blutige Zeugnisse roher, ungezügelter Gewalt. Ausgerechnet eines dieser Bilder rettete dem Mann offenbar das Leben. Denn ein Zeuge alarmierte die Feuerwehr, nachdem ein Dritter ihm ein Handy-Foto vom nackten, blutüberströmten Körper des Opfers geschickt hatte. Mehr tot als lebendig holten die Sanitäter Piotr W. aus der Wohnung. Ohne sofortige intensivmedizinische Behandlung wäre er gestorben.