Hannover. Weltausstellung in Hannover wollte nachhaltig sein. Schau in Hamburg zeigt, wie Anspruch und Wirklichkeit auseinanderklaffen.

Es war die vorletzte Großveranstaltung, zu der sich die Republik durchringen konnte: Vor 23 Jahren fand in Hannover die Expo 2000 unter dem Motto „Mensch, Natur und Technik – Eine neue Welt entsteht“ statt. Acht Jahre zuvor hatten sich die Bürger mit einer knappen Mehrheit für die Ausrichtung ausgesprochen. Um die Sorgen der Gegner zu zerstreuen, sollte es eine besonders soziale und ökologische Weltausstellung werden.

Eine Idee lautete: Die Pavillons sollten nach der Expo nachgenutzt, wiederaufgebaut oder stofflich wiederverwertet werden. Ganz neu war dieses Konzept nicht, denn auch das Atomium in Brüssel, der Eiffelturm in Paris oder der Pavillon von Mies van der Rohe in Barcelona sind Hinterlassenschaften alter Weltausstellungen. Und in Hamburg erinnert die Factory Hammerbrooklyn an den US-Pavillon der Expo 2015 in Mailand.

HafenCity: Ausstellung in Hamburg mit Bildern von Piet Niemann

Wie es heute tatsächlich in Hannover aussieht, hat der Fotograf Piet Niemann in beeindruckenden Bildern eingefangen. Sein Fotoband „Expo 2000 – 20 Years Later“ ist eine künstlerische Bestandsaufnahme des Geländes zwei Jahrzehnte danach. Niemann Arbeiten wurden 2023 beim Europäischen Architekturfotografie-Preis ausgezeichnet und sind bis Ende Februar in der BDA Galerie Hamburg an der Shanghaiallee zu sehen.

Der Niederländische Pavillon galt einst als inoffizielles Wahrzeichen und war ein Publikumsmagnet der Expo 2000. 20 Jahre später ist wenig von seinem Glanz geblieben. Nun wird er saniert.
Der Niederländische Pavillon galt einst als inoffizielles Wahrzeichen und war ein Publikumsmagnet der Expo 2000. 20 Jahre später ist wenig von seinem Glanz geblieben. Nun wird er saniert. © Piet Niemann © | Piet Niemann ©

Zwischen Anspruch und Wirklichkeit klaffen – das zeigen die Fotos eindrücklich – Welten. „Es wird keine Ruinen geben“, versprach Expo-Generalsekretärin Birgit Breuel zur Eröffnung. Der 31-Jährige widerlegt sie mit seiner Kamera. Mehrere Tage fotografierte er zwischen Oktober und Dezember 2020 vor Ort. Nebel und Novembertristesse verleihen dem Ort den Charme des Vergänglichen.

Lost Places: Überbleibsel erinnern an gestrandete Wale oder notgelandete Ufos

Vieles verfällt, aus belebten Flächen werden tote Zonen, manche Überbleibsel erinnern an gestrandete Wale oder notgelandete Ufos. Niemanns Fotografien zeigen verlassene Pavillons, aber auch Natur, die das Gelände zurückerobert. Manche hochfliegenden Pläne zur Nachnutzung scheiterten am Platzen der Dot-com-Blase im Jahr 2000.

Ein besonderes Beispiel dafür ist der Torso des niederländischen Pavillons, der mit der Idee einer gestapelten Landschaft viele Besucher begeisterte. Zwei Jahrzehnte später blieben nur Graffiti, Vandalismus und Zerstörung.

Expo Hannover: Niemann sieht Nachhaltigkeitsversprechen nicht eingelöst

Immerhin wird er nun vom einstigen Architekten zu einem Co-Working-Space mit Büros, Gastronomie und Studentenwohnungen umgebaut. „Wenn für den Niederländischen Pavilion ca. 14 große, sorgfältig ausgesuchte, an die 200 Jahre alte Eichen- und Buchenstämme gefällt werden, um für ein temporär geplantes Gebäude verbaut zu werden, dann finde ich das unter dem Aspekt der Nachhaltigkeit schwierig“, sagt Niemann, der in Bad Bramstedt lebt.

Piet Niemanns Buch zeigt den litauischen Pavillon, der als architektonisches Highlight gefeiert wurde. Das Gebäude ist zu großen Teilen aus Stahl gefertigt, sodass es trotz Vandalismus und mehrerer Brände immer noch in einem guten statischen Zustand ist. 
Piet Niemanns Buch zeigt den litauischen Pavillon, der als architektonisches Highlight gefeiert wurde. Das Gebäude ist zu großen Teilen aus Stahl gefertigt, sodass es trotz Vandalismus und mehrerer Brände immer noch in einem guten statischen Zustand ist.  © Piet Niemann © | Piet Niemann ©

Immerhin: Rund 20 Pavillons werden weiter genutzt: Der Christus-Pavillon wurde zum Teil einer Kirche in Volkenroda, der mexikanische Pavillon zur Bibliothek der Hochschule für bildende Künste in Braunschweig, der Blaue Kubus der Isländer fand eine zweite Heimat im Danfoss Universe in Nordborg, der portugiesische Pavillon verwandelte sich in Coimbra als Konzertsaal. Die Kabinen der Gondelbahn schweben heute durch die Kitzbüheler Alpen und den Schwarzwald. Der Schweizer Pavillon wurde zu 60 Prozent als Bauholz verkauft. Aber ein großer Teil darbt weiter auf dem Messegelände.

Expo 2000: Als Kind besucht Piet Niemann die Ausstellung

Piet Niemann war als Achtjähriger vor Ort. „Wirklich lebhafte Erinnerungen habe ich nur an die Expo-Gedenkmünze, die ich dort geschenkt bekam“, erzählt er dem Abendblatt. Recht vage entsinnt er sich langer Schlangen und vieler Menschen. Insgesamt kamen mehr als 18 Millionen Menschen nach Hannover – stieß die Weltausstellung zunächst nur auf verhaltenes Interesse, wurde es zum Ende hin sehr voll auf dem Gelände.

Die Idee zu einem Bilderbuch der Vergänglichkeit kam Niemann, als er Ende 2016 das „Museum for Art Architecture and Technology“ in Lissabon fotografierte: Sein Interesse für Architektur brachte ihn auf das Gelände der Expo 1998, wo noch heute einige Bauten Touristen anziehen wie etwa der Bahnhof „Estação do Oriente“ von Santiago Calatrava.

Ausgang Ost der U-Bahn-Station zum geplanten Stadtteil Kronsrode, der nun entsteht. Bis 2026 sollen dort rund 3500 Wohnungen für ca. 10.000 Menschen gebaut werden
Ausgang Ost der U-Bahn-Station zum geplanten Stadtteil Kronsrode, der nun entsteht. Bis 2026 sollen dort rund 3500 Wohnungen für ca. 10.000 Menschen gebaut werden © Piet Niemann © | Piet Niemann ©

„Mein Spaziergang brachte mich tiefer in das Areal der damaligen Expo und zunehmend wurde deutlich, dass nicht alle Orte einen derartig glücklichen Ausgang in die Gegenwart gefunden haben“, erzählt er. Mit jedem Meter auf der Promenade sei es ruhiger, unbelebter geworden.

Die Idee kam dem Fotografen bei einem Besuch in Lissabon

„Der Ort war hochspannend, da er für große Menschenmassen erdacht und gebaut war, nun aber eine leere, alternde Hülle war. Ich stolperte über viele starke Bilder.“ So entstand die Idee, aus diesen Orten eine fotografische Arbeit zu machen. „Die Expo 2000 war ein guter Startpunkt, da sie die erste Expo im neuen Jahrtausend war und mit dem Ziel an den Start ging, eine Expo neuen Typs zu sein – die Bauten sollten nachhaltig sein“, so Niemann.

Wie so oft bleiben manche Nachhaltigsversprechen am Ende uneingelöst. Immerhin hat sich in den zurückliegenden Monaten etwas in Hannover getan. „Man muss ehrlicherweise sagen, dass meine Aufnahmen nur eine Momentaufnahme sind. Das Areal ist weiterhin im Wandel, und gerade in den letzten drei Jahren gab es sichtbar große Veränderungen“, sagt Niemann. „Aber zum Zeitpunkt meiner Aufnahmen konnte man nicht von einem geglückten Nachhaltigkeitsgedanken sprechen.“

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Piet Niemann, der für namhafte Architekturbüros wie Zaha Hadid Architects (London) und Delugan Meissl Associated Architects (Wien) tätig war, hat nach Hannover bereits neue Pläne: Bald möchte er im japanischen Aichi, wo 2005 die Expo stattfand, eine fotografische Bilanz ziehen. Und später die Reste der Weltausstellungen in Shanghai 2010, Mailand 2015 und Dubai 2020 dokumentieren. „Idealerweise hilft der reflektierende Blick auf die Vergangenheit zu einem verantwortungsvollen Handeln in der Zukunft.“ Eine Rückschau, die nach vorne weist.

Das Buch von Piet Niemann „Expo 2000 - 20 Years later“ ist bei Kerber erschienen
Das Buch von Piet Niemann „Expo 2000 - 20 Years later“ ist bei Kerber erschienen © STUDIO HACKENBERG | Calle Hackenberg

Piet Niemann: Expo 2000 - 20 Years later. Erschienen im Kerber Verlag, 128 Seiten, 68 Euro

Ausstellung in der BDA Hamburg Galerie, Shanghaiallee 6, geöffnet montags bis donnerstags von 10 – 18 Uhr