Das neue Architektur-Jahrbuch beschreibt einen Wechsel in der Stadt – und liefert einen traurigschönen Nachruf auf eine Hamburgensie.

Wenn sich das Jahr dem Ende entgegen neigt, die Adventskränze gebunden werden, wird es auch in Hamburg Zeit – Zeit für das Architekturjahrbuch. Diese in Deutschland einzigartige Werkschau des Bauens und der Stadtentwicklung erscheint in diesem Jahr zum 34. Mal. Seit 1989 gibt die Hamburgische Architektenkammer den liebevoll gestalteten Band heraus, seitdem übernehmen Dirk Meyhöfer und Ullrich Schwarz die Redaktion.

„Nummer 34 ist fertig – und wir sind stolz, dass es wieder die Qualität hat wie in den Vorjahren“, sagt Meyhöfer. Tatsächlich zeigt das Buch seit Jahrzehnten nicht nur die ambitionierten Projekte der zurückliegenden Monate, sondern auch die großen Trends auf. Und der ist inzwischen nicht mehr der Neubau, sondern die Sanierung und Revitalisierung.

Aus Alt geschickt Neu machen: Architektur-Trend in Hamburg

Eine Vielzahl der Projekte beschreibt in Zeiten des Klimawandels und des Ressourcenschutzes, wie man aus Alt geschickt ein Neu machen kann. So bekommt die Sanierung des CCH ebenso umfassenden Raum wie die Revitalisierung der Stadthöfe oder die denkmalgerechte Sanierung des Halbmondhauses an der Elbchaussee.

Das SOS Kinderdorf in Dulsberg.
Das SOS Kinderdorf in Dulsberg. © Klaus Frahm | Klaus Frahm

Diese Botschaft erzählt passgenau das Teehaus in Planten un Blomen, das eigentlich nur als temporäres Teehaus für die Internationale Gartenschau 1963 gedacht war und nun saniert wurde: „Hinter der gelungenen Auffrischung dieses Schmuckstücks schimmert eine grundsätzliche Botschaft hervor, die man Hamburg gern ins Stammbuch schreiben möchte, wo seit Jahren viel zu eifrig viel zu viele Denkmale zerstört werden: weniger abreißen, besser bewahren.“

Architekturjahrbuch gibt auch Einblicke in die kleinen Projekte Hamburgs

Seit vielen Jahren gliedert sich das Buch in zwei Teile. Zwei Drittel widmen sich den Bauten des Jahres. „Die Architektenkammer will etwas für die Architekten tun“, sagt Meyhöfer. „Alle Architekten wollen ins Jahrbuch, denn unsere Auswahl ist ein Gütesiegel.“ Sie erfolgt durch ein Gremium aus acht bis zehn Experten, die aus der Fülle der Projekte auswählen und Punkte vergeben.

Der Blick fällt dabei nicht nur auf die großen Projekte der Stadt, sondern auch die Kleinode. So bekommt der Leser Einblicke in den Neubau des Max-Planck-Instituts für Struktur und Dynamik („strahlende Campus-Schönheit“), der Factory Hammerbrooklyn („sehr gut gelungen“), der Stadtteilschule in Lurup („ein Leuchtturmprojekt“) oder der gelungenen Nachverdichtung an der Gärtnerstraße.

"Dieses Buch ist einzigartig“

Der zweite Teil des Buches heißt schlicht Feuilleton: „Hier wollen wir stadtpolitische Debatten führen, wissenschaftliche Betrachtungen und Essays einfließen lassen“, sagt Meyhöfer. Ein absoluter Höhepunkt ist das zwölfseitige Gespräch mit Ikonen wie Volkwin Mag, Bernhard Winking, Jan Störmer über Architektur und Städtebau in den 1970er und 1980er Jahren mit all ihren Irrungen und Wirrungen – ein Interview, das zu einer Zeitreise wird. „Wir bekommen jeden, den wir haben wollen. Dieses Buch ist einzigartig“, sagt Meyhöfer nicht ohne Stolz.

Ein Blick in die sanierten Stadthöfe.
Ein Blick in die sanierten Stadthöfe. © Carsten Bruegmann | Carsten Bruegmann

Reiner Nagel, Vorstandsvorsitzender der Bundesstiftung Baukultur befasst sich in einem Essay mit einer der zentralen Fragen der heutigen Stadtentwicklung – warum sind gemischte Quartiere am Ende so selten gemischt? Seine Antwort lässt aufhorchen: Er kritisiert die Baunutzungsverordnungen aus der Ära der funktionsgetrennten Stadt, die strukturelle Langsamkeit der Wohnungsbauwirtschaft und eine gewisse Realitätsferne von Planern.

Traurigschöner Nachruf auf eine Hamburgensie

Sentimental wie traurigschön ist der Nachruf auf eine Hamburgensie, die Buchhandlung Sautter + Lackmann. Es sind solche Stück, die das Jahrbuch zu einem Chronometer der Zeitläufte machen.

Mitunter aber gerät das Jahrbuch etwas zu zeitgeistig. Es wirkt bizarr, in einem Text über das Kapselhotel in St. Georg an kulturelle Aneignung zu denken, manche Autorenstücke sind aufmerksamkeitsheischend durch Gendersätze und es wird der beeindruckenden Revitalisierung der Stadthöfe nicht gerecht, wenn mehr als die Hälfte des Textes sich um die Historie des Gebäudes als Gestapozentrale und die unzureichende Aufarbeitung dreht. Andererseits ist ein Jahrbuch ein Jahrbuch, es ist ein Kind seiner Zeit. Und ohne den Band 2022/23 würde nicht nur Sammlern etwas fehlen, sondern der ganzen Stadt.

Architekturjahrbuch: Übergabe an nächste Generation steht bevor

Schon jetzt beginnen die Herausgeber, am Jahrbuch 2023 zu arbeiten. „Das Buch beschäftigt uns über Monate“, sagt Meyhöfer. „Im Februar haben wir die Jurysitzung, im Sommer wird geschrieben und zusammengestellt. Das Jahrbuch ist ein kleiner Ehrenjob.“

Für Meyhöfer und Schwarz schon seit 1989. „Das erste Buch ist so alt wie mein Sohn. Ich habe drei Oberbaudirektoren erlebt, viele Senatoren und sechs Bürgermeister“, sagt der Journalist Meyhöfer, der schon seit Jahrzehnten über Architektur schreibt. Auch das Team des Jahrbuchs ist geblieben ob Grafiker, Texter oder Redaktion. „Inzwischen zitieren wir uns sogar selbst“, sagt Dirk Meyhöfer. „Ullrich Schwarz und ich gehören beide zu den Leuten, die auch loslassen können. In den kommenden Jahren müssen wir die Übergabe an die nächsten haste Generation hinbekommen.“ Das dürfte bei einem so eingespielten Team nicht ganz einfach werden.

Hamburgische Architektenkammer (Hg.): Architektur in Hamburg. Jahrbuch 2022/23; Junius-Verlag, 224 Seiten, 48 Euro