Hamburg. Auch nach Corona stehen Kunden in Hamburgs Luxuseinkaufsstraße geduldig vor den Geschäften. Ein Experte erklärt das Phänomen.
Der Neue Wall gilt als „die“ Hamburger Luxusmeile. Wie auf der Maximilianstraße in München oder der Goethestraße in Frankfurt geht auf diesem teuren Pflaster shoppen, wer es auf das Besondere abgesehen hat.
Chanel,Louis Vuitton oder Hermès gehören zu den Marken, die hier zahlungskräftiges Klientel anlocken – und die ihre Kunden auch noch nach der Corona-Pandemie nicht selten zu einem ungewöhnlichen Kaufverhalten zwingen: Zum Anstehen vor dem Geschäft – in langen Schlangen.
Neuer Wall in Hamburg: Lange Schlangen vor Louis Vuitton
Der Grund: Es dürfen immer nur wenige Kunden gleichzeitig in den Laden, um die sich die Verkäufer dann intensiv kümmern. Was für andere wiederum bedeutet: Sie müssen zunächst vor der Tür warten.
Insbesondere vor dem Eingang von Louis Vuitton am Neuen Wall ist dieses Schauspiel häufig zu sehen. Geduldig warten hier ganze Gruppen, vor allem jüngere Leute, leger gekleidet in Sweatshirts, mit schwarzen Leggings und Sneakern. Die Stimmung in der Warteschlange ist meist gelassen, Ungeduld lässt sich hier niemand anmerken. Manche tippen auf ihrem Handy, andere stellen sich in der Zeit für ein Selfie vor das Schaufenster.
Dieses dann etwa bei Instagram zu posten und außerdem zu demonstrieren, für welche Produkte sie schwärmen, motiviert inzwischen viele Mittzwanziger, selbst Käufer der Edelmarken zu werden. Auch Influencer verstärken Begehrlichkeiten besonders bei Jüngeren – und machen Modelle wie die Saddle Bag von Dior zu einem Must-have.
Warteschlangen vor Luxusgeschäften sind ein weltweites Phänomen
Nicht nur in Hamburg, auch in Paris und rund um den gesamten Erdball sieht man dieses Bild. Unter den Wartenden sind häufig viele Asiatinnen, etliche Kunden kommen auch aus dem arabischen Raum. Dass der internationale Tourismus nach dem Ende der Corona-Restriktionen zurückgekehrt ist, hat das Luxusgeschäft zusätzlich belebt.
Aber warum gehört die Wartezeit draußen dazu, wenn im Store dann recht schnell ein paar Tausend Euro über den Ladentisch gehen? Für eine Birkin Bag von Hermès oder eine Gucci Marmont?
Das ist im Grunde ein Widerspruch, sagt Johannes Berentzen über das Phänomen. Der geschäftsführende Gesellschafter der BBE Handelsberatung beschreibt Luxus mit den Attributen Genuss und Vergnügen. „Und das Warten ist wohl nicht unbedingt eine große Freude“, so der 44-Jährige. Doch sei das Ausharren in der Schlange wiederum ein Teil der Begehrlichkeit.
Handelsexperte: Gut betuchte VIPs gehen an der Schlange vorbei
Und zwar aus mehreren Gründen: Gut betuchte VIPs würden an den Wartenden vorbeigehen – oder sie machen gleich einen Termin zum Privatshoppen oder zum Hausbesuch, sagt der Handelsexperte. Für viele Touristen und für „Normalos“ ohne Voranmeldung sei es wiederum Teil des Luxuserlebnisses, sich vor der Tür bis zum Einlass zu gedulden.
„Ähnlich wie beim P1 in München“, sagt Berentzen, der in der bayerischen Landeshauptstadt sein Büro hat und auf die abendliche Show vor dem legendären Club an der Prinzregentenstraße 1 anspielt.
Luxusgeschäfte: Termin-Shoppen hat Vorteil für die Verkäufer
Für die Verkäuferinnen und Verkäufer in den Geschäften wiederum haben spätestens die Erfahrungen während der Corona-Pandemie mit wohlorganisierten Shopping-Regeln gezeigt, dass weniger Menschen im Laden die Arbeit angenehmer machen. „Schließlich kümmern wir uns intensiv um unsere Kunden, wir beantworten auch Fragen nach guten Restaurants oder wo es die beste Currywurst gibt in Hamburg“, sagt ein Mitarbeiter von Hermès am Neuen Wall, der die Gäste am Eingang des Geschäfts empfängt.
Der Beratungsbedarf in Sachen Hamburger Attraktionen ist groß, denn etliche Käufer der Edelwaren kommen aus dem Ausland. Ein wachsender Anteil etwa aus Saudi-Arabien, der Direktflug von Dubai vereinfache die Reise, und die Gäste aus der Region schätzten Hamburg inzwischen mehr als München, so der Hermès-Mitarbeiter.
Hermès in Hamburg: Termin kann online gebucht werden
Nach dem Umzug vom Neuen Wall in eine größere Fläche (in den ehemaligen Jil-Sander-Shop) gebe es bei Hermès zwar praktisch keine Warteschlangen mehr, aber immer noch viele Kunden mit Terminen: Die könne man einfach online auf der Seite des französischen Herstellers buchen, sagt der Mitarbeiter, gibt aber zu, dass der Service für viele ältere Stammkunden gewöhnungsbedürftig ist.
Offiziell gab es auf eine Anfrage des Abendblatts allerdings weder von Hermès noch von anderen Marken eine Stellungnahme zu den Einkaufsmodalitäten.
Dass die Kunden trotz derartiger Umständlichkeiten liebend gerne ihr Geld bei Prada, Dior oder Gucci ausgeben, zeigen die Erfolgszahlen der Branche. Der Markt war laut einer Studie der Unternehmensberatung Bain & Company nach den aktuellsten verfügbaren Zahlen 2022 so groß wie nie zuvor.
Ein Volumen von 353 Milliarden Euro erreichten die weltweiten Verkäufe von Accessoires, Brillen, Uhren und Schmuck im vergangenen Jahr. Zum Vergleich: 2020 lag der Umsatz mit diesen Luxusprodukten noch bei „nur“ 220 Milliarden Euro.
Luxusmarken haben Preise stark erhöht
Dabei sei der Zuwachs nicht allein auf die allgemeine Inflation zurückzuführen, betont Handelsberater Berentzen. Die Teuerungen der Rohstoffe wie etwa bei Leder für Taschen seien nicht annähernd so hoch ausgefallen wie die Preiserhöhungen der Luxusmarken für ihre Produkte.
Man hat fast den Eindruck, die Schlangen werden länger, je höher die Preise sind, so der promovierte Betriebswirt, der aber auch den Hang der jüngeren Generation zum Kauf nachhaltiger, langlebiger Produkte als Ursache für den Nachfrageschub sieht.
- Das sind die Pläne der neuen Alsterhaus-Chefin
- Gänsemarkt- So exklusiv wohnt es sich im Deutschlandhaus
- The Klub Kitchen- Berliner Promi-Lokal jetzt auch in Hamburg
Zugleich könne sich der Kauf auch finanziell lohnen, da manche Investitionen am Neuen Wall sogar als Wertanlage durchgehen. „Viele Taschen sind beim Verlassen des Ladengeschäfts schon zehn Prozent mehr wert“, sagt Berentzen über die Accessoires renommierter Marken, die oft auch als Limited Edition angeboten und dadurch noch einmal künstlich verknappt werden.
Nur ein Hype? Schlangen auch vor anderen Shops
Schlangen vor anderen Shops, wie etwa bei neuen Läden der trendigen Streetwear-Marke Live Fast Die Young, die in Hamburg an den Hohen Bleichen T-Shirts und Hoodies verkauft, zeigten indes oft nur einen kurzen Hype, sagt der Marktkenner.
Wie vor einigen Jahren bei Abercrombie & Fitch, die mit halb nackten Männern am Eingang für Furore sorgten, mittlerweile an alte Erfolge aber nicht mehr anknüpfen können und etliche Läden wieder geschlossen haben.
Neuer Wall in Hamburg: Luxus braucht stabilen Markenkern
Luxus dagegen brauche einen stabilen Markenkern, viel Geld für die Pflege der Marke und eine große, lange gewachsene Fangemeinde.
Dass selbst vermeintlich verstaubte Hersteller den Sprung in die angesagte Modewelt schaffen, komme allerdings auch vor, sagt Berentzen und nennt ein Beispiel: Birkenstock, die es als ehemals langweilige Gesundheitslatschen jetzt auch auf die Laufstege und zuletzt sogar in den Kultfilm „Barbie“ geschafft haben.