Hamburg. Vor 125 Jahren starb der „Eiserne Kanzler“ in Friedrichsruh. Zwei Sensationsfotografen drangen kurz darauf in sein Anwesen ein.
Im Morgengrauen des 31. Juli 1898 verschafften sich die Hamburger Fotografen Willy Wilcke und Max Christian Priester Zugang zum Anwesen der Bismarck-Familie in Friedrichsruh am Sachsenwald. Sie hatten vom Förster die Nachricht erhalten, dass Otto von Bismarck in der Nacht zuvor im Alter von 83 Jahren gestorben war.
Die beiden Männer wollten den „Eisernen Kanzler“ möglichst noch auf seinem Sterbebett fotografieren, bevor er aufgebahrt wurde, und den Architekten der Deutschen Einheit, den knallharten Realpolitiker, Sozialreformer und Gegner der römisch-katholischen Kirche als toten Mann zeigen.
Bismarck: Zwei Hamburger gelten als die ersten Paparazzi der Mediengeschichte
Wilcke und Priester (sic!) waren die ersten Paparazzi in der modernen Mediengeschichte. Sie lösten einen Presseskandal aus, dessen Folgen die Gesetzgebung bis heute prägen.
Schon zu Lebzeiten musste Otto von Bismarck geahnt haben, welche Sprengkraft das neue Medium der Fotografie besitzt. Der Reichskanzler, dessen Lebenswerk und Denkmäler wie das in Hamburg-Mitte heute stark umstritten sind, sah in der Fotografie zwar Chancen für die eigene Inszenierung, aber auch mögliche Angriffe auf seine Person.
„Man ist jetzt gar nicht mehr sicher, die Kerle lauern überall auf mit ihren Knipsapparaten“, und man wisse nicht, „ob man fotografiert oder erschossen wird“, sagte er einmal.
Otto von Bismarck – das war sein letztes Wort
Am 30. Juli vor 125 Jahren verschlechterte sich der Gesundheitszustand des ehemaligen Reichskanzlers zusehends. Während es zuvor regelmäßig vor dem Frühstück drei Eier mit Cognac, danach Champagner und ein Glas Grog waren, nahm er am Todestag nur noch ein Eigelb im Cognac zu sich, berichtete sein Hausarzt. Als er ihn trank, sagte er: „Vorwärts“. Es sollte sein letztes Wort sein.
Bismarck starb am 30. Juli gegen 23 Uhr. Weil die beiden Hamburger Fotografen den Förster und Ortsvorsteher Louis Spörcke bestochen hatten, eilten sie nach der Todesnachricht unverzüglich auf das Anwesen und verschafften sich über die Fensterbank Zutritt zum Sterbezimmer. Um die Authentizität ihrer Magnesium-Blitzlichtaufnahme zu steigern, stellten sie die Uhr auf 23.20 Uhr. Tatsächlich zeigte sie aber 4 Uhr morgens.
Das Foto von Bismarcks Totenbett wurde in Berliner Zeitungen angeboten
Ganz ohne Photoshop ließen sie wenig später in Hamburg das Bild von einem Retuscheur bearbeiten. Denn „für die Nachwelt“, so Wilcke, wollten sie ein Foto liefern, auf dem „das Nachtgeschirr, ein buntes Taschentuch und das ungeordnete Bett nicht zur Geltung kommen sollten“. Geschäftstüchtig, wie die beiden Paparazzi waren, schalteten sie am 2. August in zwei Berliner Zeitungen eine Verkaufsanzeige: „Bismarck – Für das einzige existierende Bild Bismarcks auf dem Sterbebette ...“
Rasch fand sich mit dem Deutschen Verlag („Berliner Neueste Nachrichten“) ein Käufer, der dafür 30.000 Mark zahlte und 20 Prozent Umsatzbeteiligung versprach. Umgerechnet sind das heute schätzungsweise 200.000 Euro.
Hamburger Amtsgericht erwirkte einstweilige Verfügung gegen Paparazzi
Doch die Fotografen hatten ihre Rechnung ohne den ältesten Bismarck-Sohn Herbert gemacht. Der bekam Wind von dieser Sache und erwirkte mit einer einstweiligen Verfügung durch das Hamburger Amtsgericht die Beschlagnahmung des Fotos und aller Materialien.
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Während sich die Bürger heutzutage auf das Recht am eigenen Bild berufen können und Prominente wie Prinzessin Caroline in den 2000er-Jahren mit dem Hamburger Star-Anwalt Matthias Prinz an ihrer Seite spektakuläre Prozesse in dieser Sache führte, gab es das zu Bismarcks Zeiten noch nicht. Stattdessen wurden Wilcke und Priester wegen Hausfriedensbruchs zu mehrmonatigen Haftstrafen verurteilt.
Bismarck: Das Recht am eigenen Bild – mit diesem Skandal fing alles an
Als Folge dieses Skandals wurde das Recht am eigenen Bild in Deutschland im Jahr 1907 im Kunsturhebergesetz verankert. Auch in heutiger Rechtssprechung ist das Recht am eigenen Bild in den Paragrafen 22 und 23 des Kunsturhebergesetz (KUG) normiert.
Das Bild des toten Bismarck auf seinem Sterbebett wurde erst Jahrzehnte später publiziert – in der „Frankfurter Illustrierten“ 1952, Ausgabe Nr. 50.