Bergedorf. Friedrichsruh wird im Sommer 1898 von Kränzen und Ehrenkompanien überschwemmt. Zwei Fotografen hoffen auf das Bild ihres Lebens.
Es waren ganze Zugladungen voller Kränze, die am Bahnhof Friedrichsruh eintrafen. Genug, um auch das Bismarksche Schloss nebenan zu überfluten: Als der ehemalige Reichskanzler Otto von Bismarck am 30. Juli 1898 stirbt, steht das ganze Deutsche Reich kopf. Dabei ist es da schon mehr als acht Jahre her gewesen, dass der junge Kaiser Wilhelm II. den „Eisernen Kanzler“ in den politischen Ruhestand geschickt hatte – gegen dessen Willen.
Aus dem Mann, der 30 Jahre zuvor die vielen deutschen Kleinstaaten zu einem Reich unter Preußens Führung gemacht hatte, war nur vordergründig „der Einsiedler aus dem Sachsenwald“ geworden. In den Herzen vieler Bürger galt noch immer das berühmte Zitat von Wilhelm I., dem Großvater des jetzt amtierenden Kaisers, das die Machtfülle des einstigen Reichskanzlers Otto Bismarck beschreibt: „Es ist schwer, unter diesem Kanzler Kaiser zu sein.“
150 Jahre bz: Aufmerksamkeit und Hochachtung wie für einen verstorbenen Kaiser
Eine Hochachtung, die 1898 auch unsere Zeitung teilt. Natürlich gibt es ein Extra-Blatt mit der Todesnachricht, wie bis dahin nur beim Tod der beiden deutschen Regenten zehn Jahre zuvor im „Drei-Kaiser-Jahr“ 1888. Und in der folgenden regulären Ausgabe am 2. August 1898 folgen diverse Seiten voller detailreicher Schilderungen über alle Umstände des Todes und der Trauer in Friedrichsruh.
Gleich auf dem Titel der Bergedorfer Zeitung steht in großer Schrift die Würdigung des Staatsmannes, den es in den letzten Jahren seines Lebens in sein Schloss nach Friedrichsruh verschlagen hatte – weit entfernt von der Reichshauptstadt Berlin: „Was er als Reichskanzler für Deutschland getan, ist mit goldenen Lettern verzeichnet in der Geschichte und wird sich forterben in der Erinnerung von Geschlecht zu Geschlecht.“
„In Friedrichsruh im stillen Sachsenwald muss seine letzte Ruhestätte sein“
Und nicht ohne Stolz über diesen großen Bergedorfer Nachbarn heißt es weiter: „Hier in Friedrichsruh im stillen Sachsenwald, wo ihm so viele Beweise von Liebe, Verehrung und Dankbarkeit dargebracht wurden, an dem Ort, den er so sehr liebgewonnen, da muss auch seine letzte Ruhestätte sein. Das ist der Wunsch aller Deutschen. Da ist es denn erfreulich zu hören, dass es der Wunsch des Verstorbenen selbst gewesen ist, in Friedrichsruh beim Hirschdenkmal beerdigt zu werden. Und dort wird ihm die Nation ein Grabmal errichten, so großartig, wie es ihres größten Sohnes würdig ist.“
Viel Pathos, in das zwei Themen so gar nicht passen mochten: Einerseits schaute der Kaiser nur für einen wohl kaum 20-minütigen Besuch am Totenbett in Friedrichsruh vorbei und lud die Familie dann nicht mal zur offiziellen Trauerfeier nach Berlin ein. Ein Nachwirken der alten Feindschaft, hatte Bismarck den jungen Wilhelm II. doch als „Brausekopf“, unreifen Charakter und potenziellen Kriegstreiber bezeichnet, der als Kaiser kaum geeignet sei. Der rächte sich und enthob den allmächtigen Kanzler kaum zwei Jahre nach der Besteigung des Throns im März 1890 des Amtes.
Zwei Hamburger Fotografen verschaffen sich Zugang zum toten Bismarck
Andererseits hatten frühe Paparazzi den verstorbenen Fürsten schon in der ersten Nacht im Schloss ins Visier genommen und ihre Fotos verschiedenen Zeitungen in Berlin angeboten. Sie hatten offenbar die Totenwache bestochen. Am 6. August berichtet unsere Zeitung: „Gegen die Hamburger Fotografen Wilcke und Priester, die in der Nacht von Sonnabend auf Sonntag im Sterbezimmer zu Friedrichsruh mittels Blitzlicht zwei Aufnahmen der Leiche des Fürsten Bismarck gemacht hatten und einem Berliner Verlage zur Vervielfältigung angeboten hatten, ist gestern von der Berliner Kriminalpolizei eingeschritten worden.“
Aus anderer Quelle heißt es in derselben Ausgabe: „Die eingeleitete Untersuchung durch Amtsgerichtsrat Dr. Koeningsmann aus Schwarzenbek hat ergeben, dass der Förster Spörcke unberechtigter Weise in der Nacht um 2 Uhr, als die beiden Kutscher und der Reitknecht Bismarcks unter seiner Leitung abwechselnd die Wache an der Leiche hielten, die Erlaubnis zum Fotografieren der Leiche erteilt hat. Förster Spörcke ist ohne Pension entlassen worden.“
Über 1200 Trauerkränze treffen ein und werden zur „Blumenhecke“ rund ums Schloss
Derweil erlebte Friedrichsruh einen riesigen Ansturm von Menschen: „Tausende aus der Umgebung und von Hamburg trafen im Laufe des gestrigen Tages ein und umstanden das Schloss“, berichtet unsere Zeitung am 2. August 1898. Noch beeindruckender mussten die Berge von Kränzen gewesen sein, für die selbst der Rasen vor Bismarcks Schloss nicht mehr ausreichte: „Man ist dazu übergegangen, das Schloss selbst mit einer Art Blumenhecke zu umziehen“, schreiben wir am 6. August, um zu ergänzen, dass darunter letzte Blumengrüße von Prinzregent Luitpold von Bayern, vom „Deutschen Verein in Lima“, den „Deutschen in Guatemala“ und sogar dem „Deutschen Klub in Bangkok“ seien.
„Acht Mann sind unablässig mit dem Auspacken der Trauergaben beschäftigt. Die Kisten, in denen sie eintreffen, werden immer größer. Einige sind zwei Meter lang und ebenso breit bei einem halben Meter Tiefe“, berichtet die Bergedorfer Zeitung über die letztlich mehr als 1200 Kränze – und bemerkt auch eine Kuriosität am Rande: „Der Maler Ismael Genz ist auf einem Feldstühlchen postiert, und mit der Anfertigung einer farbigen Skizze des Parks mit seinem jetzigen märchenhaften Aussehen voller ständig neu ankommender Kränze beschäftigt.“
Die unzähligen Besucher in Friedrichsruh versetzen Bismarcks Nachfahren in Stress
Zudem fanden sich täglich uniformierte Ehrenabordnungen diverser Militäreinheiten in Friedrichsruh ein. „Jeder Zug bringt Deputationen“, berichteten wir von teils Hunderten Soldaten. Hinzu kamen von Anfang an zahlreiche Journalisten, die sich über mehrere Tage in Friedrichsruh aufhielten – auch um mit Bismarcks Nachfahren Kontakt aufzunehmen.
Wie sehr die Familie gestresst war, berichten wir in der Ausgabe vom 11. August 1898: „Fürst Herbert von Bismarck hat für die nächsten 14 Tage seine Adresse aufgegeben, damit er ganz in Ruhe und Erholung leben kann. In der Tat sind die Tage seit dem 30. Juli wohl die schwersten, welche die fürstliche Familie jemals gehabt hat. Welche Anforderungen die auf den Tod folgenden Tage an ihre Widerstandsfähigkeit gestellt haben, wird auch der ferner Stehende ermessen.“
Kaiser Wilhelm II. schlägt Beisetzung in Berlin vor – Familie Bismarck lehnt ab
Der Leichnam Otto von Bismarcks wurde einbalsamiert und blieb zunächst im Schloss. Bis das Mausoleum auf der anderen Seite der Bahnlinie Hamburg-Berlin in Sichtweise des Familiensitzes fertiggestellt war, sollten noch zwei Monate vergehen. Das Angebot von Kaiser Wilhelm II., den Altkanzler in Berlin beizusetzen, lehnte die Familie mit Hinweis auf den letzen Willen des Verstorbenen ab, in Friedrichsruh seine letzte Ruhestätte zu finden. Zu tief waren die Gräben zwischen beiden, seit Bismarck im Frühjahr 1890 vom jungen Kaiser zum Rücktritt als Reichskanzler gedrängt worden war.
Ein Machtkampf, der in unserer Zeitung seinerzeit eher wenig Beachtung fand und nur unter der üblichen politischen Berichterstattung nachzulesen war. Ganz im Gegensatz zu Bismarcks „Heimkehr“ nach Friedrichsruh, die am 29. März 1890, knapp zwei Wochen nach seinem Rücktritt, feierlich wurde: „Zum Empfange war gestern Abend, 10 Uhr, eine Kompanie des 76. Regiments mit Musik am mit Girlanden feierlich geschmückten und glänzend illuminierten Bahnhof aufgestellt. Auch die Freiwilligen Feuerwehren von Reinbek, Trittau und Friedrichsruh hatten sich eingefunden, um mit brennenden Fackeln vom Bahnhof bis zum Schloss ein Spalier zu bilden.“
Freigabe der Fotos vom toten Bismarck scheitert gleich zweimal vor Gericht
Die Fotos vom toten Bismarck sorgten für ein sechs Monate langes gerichtliches Nachspiel. Am 10. September vermeldet unsere Zeitung das Urteil des Landgerichts, von den beiden Fotografen in zweiter Instanz eingeschaltet worden war, nachdem sie am Amtsgericht mit ihrer Forderung nach Freigabe der Bilder unterlagen. Doch auch der Richter am Landgericht entschied gegen sie: Die Fotoplatten und sämtliche Abzüge wurden beschlagnahmt. Jegliche Veröffentlichung blieb untersagt, obwohl der tote Otto von Bismarck als Person der Zeitgeschichte eindeutig von öffentlichem Interesse gewesen wäre. Immerhin blieben die Fotografen selbst, Willy Wilcke vom Steindamm und Max Christian Priester vom Besenbinderhof, aber straffrei.
Für unsere Zeitung – damals noch ganz ohne Fotos – gab es keinen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Urteils. Schließlich war ja „auf Antrag der Familie Bismarck“ so entschieden worden. Und weil die Fotos „hinter dem Rücken der Herrschaften aufgenommen“ worden waren.
Trotz dieser Obrigkeitstreue sollte es in Bergedorf allerdings lange dauern, bis dem Verstorbenen ein Denkmal gesetzt wurde. Erst nach gut sechs Jahren, am 28. Oktober 1906, wurde auf der Verkehrsinsel auf der Kreuzung Reinbeker Weg/Grasredder im Villengebiet ein massives, vom Künstler Karl Garbers entworfenes Kunstwerk eingeweiht. Mit der eingemeißelten Inschrift „Ihrem großen Nachbarn dankbare Bürger Bergedorfs“ und dem lateinischen Zusatz „In Trinitate Robur“, was „In Dreieinheit Kraft“ bedeutet.
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Die Ergänzung war ein typischer Wappenspruch dieser Zeit. Sie nimmt Bezug auf das Trio Otto von Bismarck, Preußens Generalstabschef Helmuth von Moltke und Preußens Kriegsminister Albrecht von Roon. Zusammen galten sie als Schmiede der deutschen Kaiserkrone, also der Einigung der Kleinstaaten zum Deutschen Reich 1871.
Mitte der 1960er-Jahre wurde Bergedorfs Bismarck-Denkmal an den Rand des Schlossparks versetzt, wo es seither direkt vor dem Café Chrysander steht. Die Familie von Bismarck bewohnt bis heute das Schloss in Friedrichsruh, wo mit Gregor Graf von Bismarck-Schönhausen ein Ururenkel der Reichskanzlers das Erbe leitet.