Hamburg. Angeklagte soll 69-Jährigen in dessen Wohnung in Borgfelde getötet haben. Doch einer Zeugin nach ist sie ganz woanders gewesen.

“Hilfe, Hilfe!“ Dies war das letzte Lebenszeichen, das von Jose L. zu hören war. Es war der Vormittag des 12. Mai vergangenen Jahres, als vom Handy des 69-jährigen Unternehmers ein Notruf abgesetzt wurde. Einige Zeit später wurde der Geschäftsmann tot in seiner Wohnung aufgefunden – sehr wahrscheinlich gewaltsam gestorben durch Angriffe gegen Kopf und Hals.

Kann Catalina R. (Name geändert) die Täterin sein? Die 38-Jährige muss sich zur Zeit wegen Mordes an Jose L. im Prozess vor dem Landgericht verantworten. Die Frau, die zur damaligen Zeit im neunten Monat schwanger war, steht im Verdacht, das Opfer in dessen Wohnung an der Bürgerweide zu Boden gebracht, ihm dabei mehrere Rippen gebrochen und die Atemwege zugedrückt zu haben.

Prozess Hamburg: Zeugin und WhatsApp-Chat deuten auf Alibi der Schwangeren hin

Dadurch sei der 69-Jährige erstickt. Das Opfer wurde tot auf dem Bett gefunden. Die Staatsanwaltschaft wirft Catalina R. Mord aus Habgier vor. Bei der Tat habe die Frau möglicherweise gemeinsam mit einem Mittäter gehandelt, heißt es in der Anklage.

Doch laut einer Zeugin, die an diesem achten Verhandlungstag ausgesagt hat, ist Catalina R. zur Tatzeit möglicherweise kilometerweit vom Tatort in Hamburg-Borgfelde entfernt gewesen. „Wir haben zusammen gearbeitet“, sagte die Mitarbeiterin einer Reinigungsfirma als Zeugin aus. Sie und Catalina R. hätten an jenem Vormittag in einem Hostel an der Kieler Straße Räume geputzt.

Unterstützt wird die Aussage der 40-Jährigen durch einen WhatsApp-Chat auf ihrem Handy, der nahelegt, dass sich Catalina R. und die Zeugin beide in dem Hostel befunden haben, und zwar mindestens bis 10.31 Uhr, wie aus den Inhalten des Chats hervorgeht. Danach, so sagt es die Zeugin aus, hätten sie sogar gemeinsam weitere Zimmer gereinigt – jedenfalls bis mittags, bis sie Feierabend machte.

Mordvorwurf: Heftige Kritik von den Verteidigerinnen an den Ermittlungen

Zu dieser Zeit waren der und die Täter, die Jose L. nach dem Leben trachteten, allerdings mutmaßlich schon in dessen Wohnung. Denn der Notruf, der vom Handy des später Verstorbenen abgesandt wurde, ging um 11.17 Uhr bei der Polizei ein. Hat die Angeklagte damit ein Alibi?

Selber hatte die junge Mutter zum Prozessauftakt zu den Vorwürfen, sie habe Jose L. getötet, keine Stellung genommen. Doch ihre Verteidigerinnen hatten vehement kritisiert, dass ihre Mandantin überhaupt auf der Anklagebank gelandet ist. Die Hauptverhandlung könne „nach vier Tagen mit einem Freispruch beendet werden“, hatten die Anwältinnen vorgebracht und unter anderem aufgeführt, dass Catalina R. für die Tatzeit ein Alibi habe.

Ihr kleines Kind darf die Angeklagte dreimal pro Woche sehen

Die Verteidigerinnen bemängelten zudem, dass Catalina R., die fünf Monate vor ihrer Verhaftung am 14. Dezember vergangenen Jahres Mutter eines Sohnes geworden war, diesen nicht in einer Mutter-Kind-Station eines Gefängnisses bei sich haben könne.

Aktuell ist das Kind, das zunächst nacheinander in zwei Pflegefamilien war, in einer Jugendhilfeeinrichtung untergebracht. Dreimal pro Woche kann die Angeklagte in der Untersuchungshaft ihr Kind sehen.

Die Umstände und der genaue Zeitraum, in dem die jetzt im Prozess gehörte Zeugin offenbar mit Catalina R. zusammengearbeitet hatte, könnten ein wesentlicher Aspekt bei der Frage sein, inwieweit die Angeklagte überhaupt noch als dringend verdächtig gilt, den Mord an Jose L. begangen zu haben. Die Verteidigung der 38-Jährigen verweist in dem Zusammenhang außerdem auf das Gutachten eines Kölner Experten, das zusätzlich entlastend sei.

Der Verdacht: Angeklagte müsse Täterin sein

Dieses bezieht sich auf die DNA an dem Leichnam des 69-jährigen Jose L. beziehungsweise dessen Kleidung, die Ermittler damals sicherstellten.. Sie sei sehr wahrscheinlich Catalina R. zuzuordnen, hieß es später in einem Gutachten des Hamburger Landeskriminalamtes.

Daraufhin war die 38-Jährige am 14. Dezember vergangenen Jahres verhaftet worden. Der Verdacht: Catalina R. müsse die Täterin sein, die den Geschäftsmann umgebracht hat.

Wie kam die DNA der Angeklagten auf die Kleidung des Toten?

Die Frage ist indes: Gibt es mehrere Möglichkeiten, wie die DNA der Angeklagten in die Wohnung und an den Toten geraten sein kann? Kann es dafür auch unverfängliche Erklärungen geben?

Zu dieser Frage war Prof. Dr. Cornelius Courts, Leiter der Forensischen Molekulargenetik Köln und als Experte für die Übertragung von DNA bekannt, von der Verteidigung beauftragt worden, im Fall Catalina R. ein Gutachten zu erstellen.

Sachverständigen-Gutachten von einem Experten aus Köln erwartet

Und dieses komme zu dem Ergebnis, so die Argumentation der Rechtsanwältinnen jetzt im Prozess, dass die DNA von Catalina R. in der Wohnung des Toten auch durch Haushaltstätigkeiten zu erklären seien.

Solche Tätigkeiten habe die 38-Jährige in der Wohnung des Geschäftsmannes fünf Tage vor dessen Tod vorgenommen, sagen die Verteidigerinnen. Demnach habe Catalina R. damals, nachdem Jose R. per Anzeige nach einer Haushaltshilfe gesucht habe, bei ihm zur Probe gearbeitet und unter anderem dessen Wäsche gebügelt. Der DNA-Experte soll nun an einem der nächsten Prozesstage als Sachverständiger gehört werden.

Unterdessen will die Kammer voraussichtlich bis spätestens Ende dieser Woche entscheiden, ob weiterhin ein dringender Tatverdacht gegen Catalina R. angenommen werden könne – oder ob sie aus der Untersuchungshaft entlassen werde. Einen entsprechenden Antrag haben die Anwältinnen der 38-Jährigen mittlerweile erneut gestellt.

Verteidigerinnen: „Sehen Sie sich die Angeklagte an!“

Dass eine Haftentlassung aus ihrer Sicht geboten sei, darauf hatten die Verteidigerinnen bereits seit Prozessbeginn hingewiesen.

„Sehen Sie sich die Angeklagte an!“, hatten die die Anwältinnen das Gericht und die Staatsanwaltschaft aufgefordert. „Sie soll einen Mann, den sie erst einmal gesehen hat, mit bloßen Händen getötet haben?“ Der Prozess wird fortgesetzt.