Hamburg. „Vor uns tat sich hier ein menschlicher Abgrund auf, der fassungslos macht“, sagte einer der Richter im Mordprozess im Fall Edith D.

Da waren diese Fremden, die an ihrer Haustür klingelten. Da waren Menschen, die sie offenbar beobachteten und ihr Leben auskundschafteten. Edith D., 84 Jahre alt, machte sich Sorgen, wem sie überhaupt noch trauen könnte. Die Seniorin wurde ängstlicher und vorsichtiger. Doch es half nichts. Es gab zu allem entschlossene Täter, die es auf die Wertsachen der Frau aus Hamburg-Wilhelmsburg abgesehen hatten.

Die Bande drang in die Wohnung der Rentnerin ein, sie folterten ihr Opfer, sie bestahlen sie. Edith D. war ihren Peinigern hilflos ausgeliefert. Und wurde brutal ermordet.

Mord in Hamburg: Verdächtiger kurz danach gefasst

„Das Leben der Edith D. endete am 17. Juni 2014. Entdeckt wurde das Drama erst zwei Tage später“, erinnert sich Rechtsmediziner Klaus Püschel im Abendblatt-Crime-Podcast „Dem Tod auf der Spur“ mit Gerichtsreporterin Bettina Mittelacher. „Wir wurden von der Mordkommission informiert, dass die Frau tot in ihrer Wohnung aufgefunden wurde.“ Das Opfer lag im Badezimmer in Rückenlage. „Sie war geknebelt und stranguliert worden. Bei der späteren Sektion stellten wir fest, dass die Todesursache ein Ersticken durch Halskompression in Kombination mit Verlegung der Atemwege durch eine Knebelung war.“

Edith D. starb, weil die Täter sie zwingen wollten, die Verstecke von Geld und Schmuck zu verraten, und weil sie die Frau dabei so brutal misshandelten, dass sie erstickte. „Das ist Mord“, erklärt Mittelacher. „Nur wenige Tage nach dem Verbrechen an der Rentnerin wurde ein Verdächtiger gefasst. Sein Name ist Miroslav D. Die Ermittler sind auf die Spur des 41-Jährigen gekommen, weil seine Fingerabdrücke am Tatort sichergestellt wurden.“

Der Mann hatte bereits die Hälfte seines Lebens in polnischen Gefängnissen gesessen, war schließlich nach Deutschland gekommen. Im Prozess vor dem Schwurgericht gab der Angeklagte an, ein Clan habe ihn dazu gedrängt, sich an einem Überfall auf Edith D. zu beteiligen. Getötet habe er die Rentnerin nicht.

Zwei Prozesse gegen Miroslav D.

Das Gericht kam später zu der Überzeugung, dass Miroslav D. sich sehr wohl des Mordes schuldig gemacht habe. „Laut Gericht sind die Täter zu fünft: Miroslav D., sein Auftraggeber Aramis P. sowie drei weitere Komplizen“, erzählt Mittelacher. „Über den Balkon verschafft sich der 41-Jährige Zutritt zur Wohnung – und ist überrascht, wie heftig sich die Frau zur Wehr setzt. Er hält ihr den Mund zu, schlägt sie mehrfach, stößt ihren Hinterkopf gegen einen stumpfen Gegenstand, knebelt sie brutal. Gleichzeitig stranguliert sie ein weiterer Täter mit einem Schal – Edith D. erstickt.“

Die Täter flüchten mit Geld, Bankkarten und Schmuck. Später werden drei weitere Verdächtige gefasst, darunter eine 21-Jährige, die an mehreren Automaten mit den Karten der alten Dame Geld abgehoben hat. „Gegen Miroslav D. ist zweimal verhandelt worden“, so Mittelacher. „In einem ersten Prozess erhielt er 13 Jahre Haft, dann hob der Bundesgerichtshof das Urteil auf. Beim zweiten mal gab es lebenslänglich.“

Der Richter sagte über das Verbrechen: „Es gibt Straftaten, bei denen selbst Richter einer Schwurgerichtskammer eine Gänsehaut bekommen. Vor uns tat sich hier ein menschlicher Abgrund auf, der fassungslos macht.“

„Wir Angehörigen haben lebenslänglich“

In den Prozessen hatte es auch eine Rolle gespielt, inwieweit die Bande die Tötung des Opfers geplant hatte – oder ob sie die Rentnerin vielleicht nur ruhigstellen wollten. „Aber sie haben sie geknebelt und gequält“, erläutert Püschel. „Sie haben viel versucht, damit die Seniorin ihre Geldverstecke und die Pin für ihre Bankkarten preisgibt. Man muss bedenken: Wenn man einem betagten und nicht mehr gesunden Opfer derartig zusetzt, muss man damit rechnen, dass es diese Tortur nicht überlebt. Man nimmt den Tod des Opfers zumindest billigend in Kauf.“

Es gab noch einen dritten Prozess wegen des Verbrechens an Edith D. Diesmal standen drei weitere Verdächtige vor Gericht. Da war der Mann, der den Plan für die Tat entwickelt haben soll, Aramis P., 27 Jahre alt, sowie zwei weitere Angeklagte. Dieser Prozess ging über 119 Verhandlungstage! Und die beiden erwachsenen Kinder von Edith D. reisten an beinahe jedem der Prozesstage an. Sie kämpften um Gerechtigkeit im Namen ihrer Mutter.

Beim Urteil am 30. Juni 2017 gab es allein für Aramis P. als Drahtzieher des Verbrechens eine lebenslange Haftstrafe wegen Mordes. Angelika S. erhielt eine Freiheitsstrafe von elf Jahren und sechs Monaten, Rikardo W. bekam zwölfeinhalb Jahre, beide wegen Raubes mit Todesfolge.

Unmittelbar nachdem das Gericht das Strafmaß verkündete, kam es im Saal zu tumultartigen Szenen, bei denen Angehörige der Angeklagten pöbelten und gegen eine Trennscheibe trommelten. Und auch die Angehörigen von Rentnerin Edith D. waren nicht glücklich mit dem Urteil. Sie hatten gehofft, dass jeder der drei Angeklagten lebenslänglich erhalten würde. „Unsere Mutter, eine so tapfere Frau, wurde bestialisch ermordet“, sagte die Tochter. Und Bernd D. meinte: „Wir Angehörigen haben lebenslänglich.“